Schwarzer Wald, schwarzer Humor?
Über achtmal 30 Minuten erzählt die ARD-Streamingserie "Höllgrund" eine dunkelhumorige Heimatfilm-Krimi-Arztstory aus dem Schwarzwald. Sie haben Probleme, sich dieses Genre vorzustellen? Die Kreativen des SWR-Produktes machen in der Tat einiges richtig - und doch passieren ihnen ein paar Schnitzer.
Könnte der nette, gutaussehende Landarzt Fabian (August Wittgenstein), der neu in eine Schwarzwaldgemeinde gekommen ist, ein Serienkiller sein? Mit dieser Frage spielt die achtteilige Serie "Höllgrund", die zuerst in der Mediathek (ab Freitag, 16.9.) und deutlich später im SWR-Programm (Montag, 31.10, und Dienstag 1.11., jeweils vier Folgen ab 20.15 Uhr) zu sehen ist. Im Mittelpunkt steht Dorfpolizistin und Single-Frau Tanja (sehr überzeugend: Lou Strenger), die tief in ihrer Gemeinde verwurzelt scheint. Ein väterlich freundschaftliches Verhältnis pflegt sie zu Landarzt Hajo (Heiner Lauterbach), der sich aber zum Unmut der Bewohner bei bester Gesundheit zur Ruhe setzen möchte. Alles sei arrangiert, so Hajo, und sein junger Nachfolger bereits auf dem Weg.
Am Tag, als der junge Arzt ankommen soll, hängt der zuvor grundzufrieden mit seinem Leben wirkende Hajo tot von einem Balken seines Schwarzwälder Holzhauses. Tanja und die Gemeindemitglieder sind geschockt. Die junge Polizistin bezweifelt eine erste offizielle "Diagnose", dass Hajo Suizid begangen hat. Als die hinterbliebenen Dörfler zum Trost in der Kneipe ein paar Bier und Schnäpse kippen, kommen sich Tanja und Landarzt Fabian, der noch im Gasthof wohnt, näher. Doch das Sterben im Schwarzwald-Idyll hört nicht auf. Was seltsam ist: Landarzt Fabian scheint immer verdächtig nah, wenn mal wieder einer der Dorfbewohner das Zeitliche segnet.
Mehr altes Fernsehen als neues
"Höllgrund" stammt aus der Feder von Marc O. Seng, einem der Hauptautoren des internationalen deutschen Netflix-Mystery-Hits "Dark", aber auch der ambitionierten Mediensatire "Lerchenberg". Doch was will Seng dem Publikum mit diesem trojanischen Serienpferd des bösartigen Land-Thrillers im Gewand von althergebrachten Azrtserien und Regionalkrimis mit auf den Weg geben? Wohl den Spagat zwischen "altem Fernsehen", das hier sanft auf die Schippe genommen wird, und einer moderneren, doppelbödigen Thriller-Kultur à la "Fargo" und Konsorten. Vielleicht auch ein bisschen "Mord mit Aussicht" mit deutlich dunklerem Farbton. Die Kreativen des SWR-Produktes machen da einiges richtig: Sie nehmen sich viel Zeit für die Figuren, vor allem Lou Strenger, die zuletzt unter anderem die junge Mutter des Titelhelden in "Horst Lichter - Keine Zeit für Arschlöcher" spielte, ist als Dorfpolizistin fantastisch. Von der 30-jährigen Theatermimin darf man in Zukunft noch viel erwarten.
Auch die anderen Dorfbewohner sind gut und durchaus prominent besetzt: Heiner Lauterbach als entspannter Best-Ager, der Tanja auch nach seinem Ableben immer wieder in Tagträumen erscheint, August Wittgenstein (der homosexuelle Ehemann in der ZDF-"Ku'damm"-Reihe) als smarter, undurchschaubarer Landarzt, Nicki von Tempelhoff, Ulrike C. Tscharre - schauspielerisch ist hier alles am rechten Fleck. Was der recht langen Erzählung (über vier Stunden!), die durchaus stimmungsvolle, lustige und auch wunderbar düstere Momente hat, fehlt, ist ein wenig das Timing der Episoden. Nach der einführenden ersten Folge legt das Drehbuch in Folge zwei überaus spannende Fährten, die aber im Anschluss viel zu schnell aufgelöst werden, um wieder in neue Plots einzusteigen.
Die Serie wirkt dann plötzlich gehetzt und sabotiert durch zu viele Wendungen ihr Plot-Modell, wie es Alfred Hitchcock 1941 mit Cary Grant und Joan Fontaine in "Suspicion" ("Verdacht") exemplarisch für viele weitere Filme vorführte. Die spannende Frage, "ist er's oder ist er's nicht" wird hier viel zu früh aufgelöst und in arg vielen Wendungen und Handlungsideen ertränkt. Unterhaltsam bleibt "Höllgrund" wegen schöner Schauspielmomente und feiner Ideen zwischendurch trotzdem. Unterm Strich steht jedoch: "Höllgrund" ist mehr altes Fernsehen als neues.