Seitenhieb gegen Steffi Lemke: Am Aschermittwoch verspielte Markus Söder seine Kanzlerkandidatur

Mit seiner "grünen Margot Honecker" hat sich Söder verzockt

Ministerpräsident Markus Söder (CSU) beim politischen Aschermittwoch in Passau (Bild: REUTERS/Leonhard Simon)
Ministerpräsident Markus Söder (CSU) beim politischen Aschermittwoch in Passau (Bild: REUTERS/Leonhard Simon)

Der bayerische Ministerpräsident stichelte gegen die Grünen. Das ist normal wie erwartbar. Dann aber schoss der Christsoziale übers Ziel hinaus, diffamierte eine Ministerin und verhedderte sich in ostdeutschen Biografien. Diese Geschichtsvergessenheit und Ignoranz gegenüber ganzen Regionen Deutschlands rücken ein großes Ziel in weite Ferne: Im Osten verzockt Söder seine Chancen auf die Kanzlerkandidatur.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Manchmal entfalten einzelne Worte erst Wochen später ihre fatale Wirkung. Dass sie politische Zeitbomben sind, ahnen ihre Absender nicht sofort. So ergeht es gerade Markus Söder.

Vom Ministerpräsidenten Bayerns und CSU-Chef wurde erwartet, dass er liefert. Und zwar Deftiges: Am politischen Aschermittwoch öffnete sich für Söder in Passau ein großer Saal, da sollte er austeilen, weil es sich so gehört. Eine Tradition, die durchaus ihren Wert hat; auch für den derben Witz unter der Gürtellinie braucht es einen Platz. Dann ist er eingezäunt. Ein Problem ist natürlich, dass sich Deutschland zu einer Zone von 365 Aschermittwochen im Jahr entwickelt – aber das ist ein anderes Thema.

Söder jedenfalls legte los. Die größte Zielscheibe, die er sich seit je gebastelt hat, ist bei ihm ganz grün, er bashte also gegen die Partei der Grünen. Doch dann drehten ihm die Reifen durch.

Ins Visier geriet die grüne Bundesumweltministerin Steffi Lemke. Diese sei, rief Söder in die versammelte Menge hinein, ein Musterbeispiel für den Versuch der Grünen, die Freiheit der Fleißigen durch immer neue Auflagen einzuschränken, als „grüne Margot Honecker“. Und weiter: „Die Grünen machen so viel Mist, eigentlich müssten sie selbst unter die Düngeverordnung fallen.“

Was Steffi Lemke zu Markus Söders Worten sagt, sieht man im Video zu ihrem Auftritt bei Markus Lanz, wo auch der dazugehörige Ausschnitt aus der Söder-Rede gezeigt wird:

Abgesehen davon, dass Söder beim letzten Satz Subjekt mit Objekt verwechselte und das Wunder im Raum stehen ließ, wie Menschen zu Mist mutieren können und dies auch noch staatlich geregelt wird, ist Söders Fleiß hinlänglich bekannt. Den hat er wirklich. Was gut ist für einen Politiker. Auch mag er griffige Formulierungen, als ehemaliger Volontär des Bayerischen Rundfunks ist er vom Fach, also „Freiheit der Fleißigen“ klingt mindestens so gut wie „Aufstand der Anständigen“ oder gar das Quadrupel „Freie Fahrt für freie Bürger“.

Steffi Lemke. (Bild: REUTERS/Annegret Hilse)
Steffi Lemke. (Bild: REUTERS/Annegret Hilse)

Diese Worte waren gewohnt niveautief, also södernormal. Dann aber kam es.

Was man eben nicht erlebte

Die „grüne Margot Honecker“ war ein Schlag ins Wasser. Zum einen erinnert diese Namensnennung viele Bürger an einfach nur Leid. Die Ehefrau des „DDR-Chefs“ Erich Honecker war als Bildungsministerin gefürchtet. Sie galt nicht nur als linientreu, sondern gab die Linie mit vor und achtete mehr als andere führende Funktionäre der Einparteiendiktatur, das sie auch eingehalten wurde. Schüler wurden misshandelt, in Biografien griff man willkürlich ein, verbot dies und verordnete das. So sieht das aktuelle Bundesumweltministerium gewiss nicht aus.

Doch es kommt noch krasser. Die gescholtene Lemke kennt die Verhältnisse unter Margot Honecker anders als Söder aus eigener Anschauung. Der in der DDD aufgewachsenen Schülerin wurde der Weg zum direkten Abitur verwehrt – und an den Noten lag es wohl nicht. Über die Kreisvolkshochschule holte Lemke nach eigener Aussage das Abi nach, war damals tagsüber Briefträgerin. Und danach studierte sie Agrarwissenschaften, weil sowas in der DDR angesagt war und viele andere Fächer ihr nicht erlaubt wurden. Dies war Alltag in der DDR. Blöd, tragisch und traurig, indes normal. Nun aber diese Verhältnisse dem damaligen Opfer um die Ohren zu hauen, ist nichts anderes als eine Ohrfeige für alle Ostdeutschen.

Margot und Erich Honecker. (Bild: Sven Simon/United Archives via Getty Images)
Margot und Erich Honecker. (Bild: Sven Simon/United Archives via Getty Images)

Zu sehr auf sich geschaut?

Und da tut es nichts zur Sache, wem die Chance aufs Abi vom Staat verbaut wurde und wem nicht. Es geht nicht darum, „wie viel“ man Opfer des Regimes war. Es blieb ja eine autokratische Herrschaft, die Freiheit mit Füßen trat.

Den Ostdeutschen ist dies klar, es ist Teil ihrer gelebten Geschichte. Dass Söder nun daherkommt und diesen schmerzhaften Part der deutschen Historie für einen Aschermittwochskalauer gebraucht, zeugt von größtmöglicher Distanz zu diesen Erfahrungen. Söder sagt damit: Des interessiert mich net. Er schlägt den Leuten in Ostdeutschland die Tür zu. Das kann er als Ministerpräsident seines selbst erklärten und auch wirklich schönen Bayern gern machen.

Aber seine Ambitionen, vor allen Deutschen für die Kanzlerschaft zu kandidieren, kann er damit begraben. Denn dafür demonstrierte Söder am vergangenen Aschermittwoch fehlendes Interesse, mangelnde Empathie und im Gegenzug Geschichtsvergessenheit sowie Ignoranz. Bis heute übrigens hat er sich bei Lemke nicht öffentlich entschuldigt.