Krise beim Weißen Ring im Norden nach Belästigungsvorwürfen

Der gemeinnützige Verein Weißer Ring setzt sich für Opfer von Straftaten ein. 3200 ehrenamtliche Mitarbeiter haben ein offenes Ohr und Rat für Geschädigte, helfen nach einer Straftat bei Behördengängen, organisieren psychologische Betreuung und juristischen Beistand. Foto: Jens Büttner
Der gemeinnützige Verein Weißer Ring setzt sich für Opfer von Straftaten ein. 3200 ehrenamtliche Mitarbeiter haben ein offenes Ohr und Rat für Geschädigte, helfen nach einer Straftat bei Behördengängen, organisieren psychologische Betreuung und juristischen Beistand. Foto: Jens Büttner

Es klingt makaber: Beim Weißen Ring in Lübeck soll ein Mitarbeiter Frauen, die Unterstützung bei der Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer suchten, sexuell belästigt haben. Die Spitze des Landesvorstands ist zurückgetreten, um weiteren Schaden abzuwenden.

Lübeck (dpa) - Der Weiße Ring in Schleswig-Holstein kämpft um seinen guten Ruf: Nach Vorwürfen, ein früherer Mitarbeiter habe Frauen sexuell belästigt, nahm die Spitze des Landesverbandes ihren Hut.

Der Landesvorsitzende der Hilfsorganisation für Verbrechensopfer, der frühere Justizminister Uwe Döring, erklärte mit sofortiger Wirkung seinen Rücktritt - ebenso sein Stellvertreter Uwe Rath. Er wolle Schaden vom Weißen Ring, der sich seit Jahrzehnten engagiert für Kriminalitätsopfer einsetze und auf Spenden angewiesen sei, abwenden, sagte Döring in Neumünster. Er war seit sieben Jahren Landesvorsitzender, Rath seit 18 Jahre Vize.

Der ehemalige Leiter der Lübecker Außenstelle des Weißen Rings steht unter dem Verdacht, Frauen sexuell belästigt und genötigt zu haben, die sich dem Opferhilfeverein anvertrauten. Zwei Frauen im Alter von 40 und 50 Jahren stellten jetzt Strafanzeige gegen den 73-jährigen pensionierten Polizeihauptkommissar, wie die «Lübecker Nachrichten» und das Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» berichteten. Seit dieser Woche lägen der Staatsanwaltschaft die Anzeigen vor.

Insgesamt werfen etwa zehn bis zwölf Frauen laut Döring dem damaligen Mitarbeiter vor, sie sexuell belästigt oder bedrängt zu haben. Döring wandte sich gegen den möglichen Eindruck, der Landesvorstand habe zu spät reagiert. Die ersten Belästigungsvorwürfe seien im November 2016 erhoben worden. Damals habe man entschieden, dass der Mann Frauen, die Opfer von Sexualstraftaten geworden sind, nicht mehr beraten dürfe.

Nachdem im Juli 2017 eine Polizistin belästigt worden sei, sei der Mann aufgefordert worden, freiwillig zu gehen - andernfalls würde er entlassen. Er habe ab sofort keine Beratungstätigkeit mehr ausüben dürfen. Das tatsächliche Ausscheiden aus dem Weißen Ring habe sich wegen Übergabemodalitäten bis zum November 2017 hingezogen.

Bei der betroffenen Frau handelt es sich um eine Angestellte der Polizeidirektion Lübeck. «Der Leiter der Polizeidirektion Lübeck hat die Beschwerde dieser Frau als Anzeige gewertet und im Juli 2017 der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Lübeck übersandt», teilte ein Sprecher der Polizeidirektion Lübeck der Deutschen Presse-Agentur mit. Bereits im November 2016 sei das zuständige Kommissariat angewiesen worden, keine Opfer sexualisierter Gewalt mehr an den Weißen Ring Lübeck zu überweisen.

Der Betreffende wies die Vorwürfe zurück. «Das ist ehrverletzend und widerlich», sagte er der dpa. Er wisse von keiner Anzeige, habe aber selbst Anzeige wegen Verleumdung und übler Nachrede erstattet. Für den Weißen Ring habe er weit mehr als 1000 Fälle betreut.

Die zwei Frauen, die unabhängig voneinander Anzeige erstatteten, untermauerten laut «Lübecker Nachrichten» ihre Aussagen mit Eidesstattlichen Versicherungen. Danach sollen sie in Beratungsgesprächen sexuell belästigt worden sein. Der leitende Mitarbeiter des Weißen Rings habe ihnen zudem empfohlen, als Prostituierte zu arbeiten. Laut «Spiegel» soll sich der Mann vor einer Frau entblößt haben.

Hinweise auf ein Fehlverhalten des Beraters gegenüber Frauen sollen, wie der «Spiegel» berichtete, schon 2012 bei der Lübecker Polizei und der Beratungsstelle Lübecker Frauennotruf eingegangen sein. Döring betonte, die Hinweise von 2012 hätten nicht mit sexueller Belästigung zu tun gehabt.

Auf die Frage, ob für eine Bewertung des Verhaltens des früheren Mitarbeiters nicht erst die juristischen Verfahren abgewartet werden müssten, antwortete Döring: «Wenn zehn oder zwölf Frauen unabhängig voneinander den Vorwurf sexueller Belästigung erheben, ist ein solcher Mitarbeiter für den Weißen Ring untragbar. Hätte ich von dem Umfang der Vorwürfe gewusst, hätte der Weiße Ring sich von dem Mann innerhalb einer halben Stunde getrennt.»

Die Bundesvorsitzende des Weißen Rings, Roswitha Müller-Piepenkötter, zeigte sich erschüttert: «Wir bedauern zutiefst das Leid, das er diesen Frauen verursacht hat.» Das Fehlverhalten des Mannes sei ein Angriff auf das Engagement der über 3000 ehrenamtlichen Mitarbeiter des Weißen Rings. Die Opferhelfer leisteten hervorragende Arbeit. Das zeigten die vielen hunderttausende Fälle seit Gründung des Vereins, in denen Opfer auf Unterstützung vertrauten und der Weiße Ring materiell und ideell helfen konnte.