Show-Publikum verzockt Geld - weil keiner auf Verona Pooth hörte
"Dann seid ihr selber schuld und alles ist super." Chris Tall brachte es bei der Premieren-Show von "Wer isses?" (ProSieben) ganz schön auf den Punkt. Das hätte allerdings seine Ratepartnerin Verona Pooth sagen sollen. Denn die hatte im Finale den besseren Riecher - aber niemand hörte auf sie.
Der Suchbegriff "Rate-Show" ergibt bei Google 23,4 Milliarden Treffer. Es ist also nicht allzu leicht, das Rate-Rad neu zu erfinden. Einen neuen Versuch startet ProSieben mit "Wer isses?". Nach dem Auftakt der auf fünf Folgen angelegten Reihe darf man festhalten: Das neu aufgehübschte Rad rollte nicht holperfrei über seine knapp zweistündige Jungfernfahrt. Am Ende hätte ein Teil des Publikums pro Nase einen Hunderter abgreifen können. Hätte man nur auf Verona Pooth gehört. Hat man aber nicht.
Natürlich ist dieses Rad nicht gänzlich neu, allenfalls getunt. Zwei Promiteams à zwei Personen müssen, grob gesagt, Behauptungen veri- oder falsifizieren, die in mehreren Quizrunden 60 Normalbürgern untergeschoben werden. "Wer ist tätowiert?", "Ist der Vorname echt oder Fake?", "Wer hat im Hochzeitskleid ein Schaf gerettet?".
Zum Auftakt mühten sich die Promis Chris Tall (32) und Verona Pooth (55) gegen Ralf Schmitz (49) und Viviane Geppert (32) ab. Steven Gätjen (51) moderierte fröhlich, aber sein "Ich bin ganz sicher, Sie zu Hause haben genauso viel Spaß wie die Promis und das Studiopublikum" hatte auch was von "Da war der Wunsch der Vater des Gedankens".
"Wer isses?" stammt aus Amerika
Wer sagt die Wahrheit? Darum geht es seit mittlerweile 65 Jahren bei "Sag die Wahrheit", das 1959 seine Deutschland-Premiere feierte. Das Konzept wurde auch schon mit Oliver Geissen bei RTL für "Es kann nur E1NEN geben" und beim BR in "Fakt oder Fake" zweit- und drittverwertet. Und selbst diese neue Version ist keine deutsche Erfindung, sondern mit seinem pyramidischen Kandiatenaufbau aus Amerika übernommen.
Dort war "The Line-up" ursprünglich eine Rubrik in "The Late Late Show with James Corden" und so überschaubar erfolgreich, dass sie nicht einmal im wirklich umfassenden Wikipedia-Eintag derselben als erfolgreiche Rubrik gelistet wird. Der französische (!) Sender TF1 machte daraus eine eigenständige TV-Show: Sie lief 2022 in zwei zweistündigen Pilot-Ausgaben. Das war's dann.
Die entscheidende Frage: Chris Tall betet auf Knien
"Es geht um Menschenkenntnis, Vorurteile, geschultes Auge und Fingerspitzengefühl", erklärte Gätjen. Weil bei Fragen wie "Wer spricht fließend Klingonisch?" auch mal Promis mit ihrem Latein am Ende sind, darf bei "Wer isses?" auch das Publikum - lautstark - mit grübeln. Je zur Hälfte teilte sich der Saal in "Team Rot" (Geppert und Schmitz) oder "Team Blau" (Pooth, Tall).
Jede richtige Antwort wurde mit 300 Euro belohnt, und am Ende wurde die erzockte Siegprämie an die siegreiche Publikumshälfte ausgeschüttet. Der Gewinn war am Ende so spektakulär wie die Show: 51,30 Euro gab's. Aber daran, Tall sagte es ja, war dann das Publikum selbst Schuld.
Bis zur letzten Frage der Vorrunde führten Geppert/Schmitz. Dann aber ordneten sie nur einen von sechs Kandidaten der richtigen Sportart zu und vermasselten auch noch die "Zusatzfrage": "Wer hat schon eine Auszeichnung der kolumbianischen Polizei erhalten?" Geppert/Schmitz lagen falsch, weshalb Pooth/Tall übernehmen konnten. Und die - Talls Gebet auf Knien wurde erhört - rieten richtig: Hannah, ehemalige "Miss Alemannia", war in Kolumbien für ihren Mut ausgezeichnet worden - sie hatte einen Hindernisparcours zu (fremdem) Pferde bewältigt.
Es geht um 50 Euro: War Blanca noch "niemals in New York"?
Die letzte Frage entschied - das war tatsächlich der Spannungshöhepunkt der Show. Vorher ging das Publikum mit La-Ola-Wogen und Gebuhe oder Gejohle (je nachdem, wessen Promis gerade was sagten oder taten), wurde aber mit fortschreitender Dauer auch etwas lauer.
Das Finale war so aufgebaut, dass die entscheidende Frage, die über eine Verdopplung des bis dato erspielten Gewinns entschied, von Anfang an feststand. Das heißt wiederum, die hinführenden drei Fragen ("Wer ist Staubsaugervertreter?", "Wer übernachtete schon mal in seinem Auto?" und "Wer hat Drogenhunde trainiert?") ungefähr so wichtig waren, wie sie sich anhören - es geht auch ohne.
Am Ende ging es darum - und wie gesagt, von Finalanfang an -, ob Gast Blanca "Tür an Tür mit Alice" lebte, ob sie "noch nie in New York" war, mit "Theo nach Lodz fuhr", mal die "Zuckerpuppe in der Bauchtranztruppe" oder "der goldene Reiter" war. Wortspiele mit Musikklassikern - voll abgefahrene Idee.
Verona Pooth ist auf dem richtigen Weg - aber keiner folgt ihr
Verona Pooth ahnte es gleich. "In New York, das ist - Achtung: Fremdwort - so trivial. Aber das kann doch jeder Fünfte sagen." Chris Tall war's zu einfach, der wollte es gleich ausschließen. Er sah die Fahrt mit Theo nach Lodz vorn. Verona: "Das ist mir zu abgefahren."
Der ausgeschiedene Ralf Schmitz brachte dann alle auf den Trip mit der Zuckerpuppe. Die favorisierte auch das Publikum, und Tall schloss sich an. Verona war fair: "Wir sind ja zu dritt." Also Tall, das Publikum und sie. Und so wurde die Zuckerpuppe eingeloggt - und die Kohle verzockt.
Es wäre "New York" gewesen, denn da war Blanca noch nie. So einfach. So schlicht. So trivial. Und doch ne Menge wert, 51,30 Euro nämlich. Beinahe ein Flugticket. Die bekamen die 115 "blauen" Studiogäste dann. Anstatt 102,6 Euro, die möglich gewesen wären. So kann's gehen, wenn das Rad ein bisschen holpert.