Kimmich-Überraschung bei Geheimtest
Hansi Flick war stinksauer! „Ich glaube, es geht los hier“, schrie der Bundestrainer seine Mannschaft an.
„Wir spielen eine Weltmeisterschaft. Es liegt an euch, Männer. Ganz alleine. Es liegt an euch, Charakter zu zeigen. Das kann nicht mehr wahr sein. Die sind so blind und wir machen die stark. Wenn wir so weitermachen, fahren wir nach Hause.“
Die Szene wird in der Amazon-Doku „All or nothing – die Nationalmannschaft in Katar“ gezeigt, die ab Freitag (8.9.) zu sehen ist – und das brachiale Scheitern der DFB-Elf bei der Wüsten-WM 2022 dokumentiert. Hansi Flick brüllte in der Pause des entscheidenden Spiels gegen Costa Rica völlig verzweifelt in der Kabine des Al-Bayt-Stadions seine Spieler an.
Neun Monate später hat sich Flick mit seinem Team in Wolfsburg versammelt, um sich auf die beiden richtungsweisenden Länderspiele am Samstag gegen Japan (in Wolfsburg) und drei Tage später gegen Frankreich (in Dortmund) vorzubereiten. Zwei Spiele, die für Flicks Zukunft entscheidend sein werden und demnach als Job-Endspiele bezeichnet werden können.
Großer Druck für Flick
Der Stuhl des stark kritisierten Bundestrainers wackelt – erst nach den enttäuschenden Vorstellungen der vergangenen Monate. Nach SPORT1-Informationen hat die Verbandsspitze um Präsident Bernd Neuendorf, Vize Hans-Joachim Watzke und Sportdirektor Rudi Völler bereits nach den schwachen Resultaten im Juni gegen Ukraine (3:3), Polen (0:1) und Kolumbien (0:2) im Hintergrund Optionen und Rahmenbedingungen für eine mögliche Flick-Trennung ausgelotet.
Der Druck auf Flick ist immens. Laut Sportdirektor Völler müsse man als Bundestrainer den Gegenwind ertragen. „Jeder Fan jeder Experte hat eine eigene Idee. Ich musste das damals aushalten, Hansi muss es heute“, sagte Völler im Interview mit dem RND, ohne dabei aber ein klares Treuebekenntnis in Richtung Flick auszugeben.
Der angeschlagene Coach selbst sagt über den großen Druck: „Damit beschäftige ich mich nicht, es wäre kein guter Ratgeber. So kann ich doch nicht in die Spiele gehen!“
Gosens: „Wir stehen beim Trainer in der Schuld“
Zwölf Siege, sieben Remis und fünf Niederlagen. Nur vier Siege aus den letzten 16 Spielen. Ein Punkteschnitt von 1,79. Das ist die ernüchternde Bilanz von Hansi Flick als Bundestrainer. Der 58-Jährige ist damit der zweitschlechteste DFB-Trainer seit Erich Ribbeck.
Die nackten Zahlen sprechen gegen Flick, der im Brennglas der Kritik steht. Das spürt auch die Mannschaft. „Wir sprechen darüber“, sagte ein ehrlicher Robin Gosens in Wolfsburg.
„Wir sind mit einem Scheißgefühl in die Sommerpause gegangen und wissen, wie viel auf dem Spiel steht. Wir stehen beim Trainer in der Schuld, weil die Resultate fehlen. Wir sind diejenigen, die auf dem Platz stehen und liefern müssen. Das werden wir tun!“
„Endlich“ ein festes System?
Am Mittwoch hat Flick, der sich über die Anreise des angeschlagenen Hoffnungsträgers Jamal Musiala freuen kann, mit seiner Truppe ein geheimes Testspiel gegen die U20-Nationalmannschaft bestritten. In drei Halbzeiten über je zwölf Minuten konnte er wichtige Erkenntnisse sammeln.
Dort rückte Joshua Kimmich auf die Position des Rechtsverteidigers - durchaus sinnvoll, weil mit Robin Gosens und Benjamin Henrichs nur zwei gelernte Außenverteidiger im Kader stehen. Auf der linken Seite stand mit Nico Schlotterbeck ebenfalls ein „fachfremder“ Spieler.
Dennoch: Die Zeit der Experimente soll ein für alle Mal beendet sein. Flick, der zuletzt unverständlicherweise mit einer Dreierkette spielen ließ und damit auch einige Spieler verwunderte, soll künftig wieder auf sein 4-3-3-System setzen.
„Es gab eine Zäsur, eine neue Phase hat begonnen: Ab jetzt wollen wir die Kernmannschaft einspielen lassen“, sagte Flick. „Dafür waren die Erfahrungen der Vergangenheit wichtig. Wir haben viel ausprobiert: neue Aufstellungen, neue Systeme. Und obwohl die Ergebnisse nicht optimal waren, sind wir einen Schritt weitergekommen.“
Spannend: Bei diesem Lehrgang hat der frühere Erfolgscoach des FC Bayern überraschenderweise auf die Top-Stars Leon Goretzka und Timo Werner verzichtet, auch Thilo Kehrer, David Raum, Karim Adeyemi oder Marius Wolf wurden nicht berücksichtigt. In Robin Gosens und Benjamin Henrichs sind gar nur zwei gelernte Außenverteidiger im Kader.
Ter Stegen: „Wir müssen eine andere Leistung zeigen!“
„Wir haben Innenverteidiger, die auch auf der Außenbahn spielen können“, kündigte Flick an und meint damit vor allem Niklas Süle, den er nach deinem Denkzettel wieder zurückgeholt hat. Auch Neuling Pascal Groß oder Jonas Hofmann können im Notfall auf den Außenpositionen spielen.
Leverkusen-Star Hofmann sagt vor dem Match gegen WM-Schreck Japan (1:2): „Druck gibt es immer und den machen wir uns auch selbst. Jeder würde lügen, wenn er sich nicht an die WM zurückerinnern und kneifen muss bei dem Gedanken an das Spiel gegen Japan. Es wird aber ein anderes Spiel. Wir wollen zeigen, dass es ein Ausrutscher war.“
Und Barcelona-Torwart Marc-André ter Stegen, der zurzeit die deutsche Nummer eins im Tor ist, ergänzt: „Der Trainer wird seine Ansätze und Gedanken haben. Er wird sicherlich die richtigen Entscheidungen treffen. Wir haben zuletzt nicht alles aufgerufen, was wir können. Wir müssen eine andere Leistung zeigen!“
Zeigt die Mannschaft diese nicht, wird es für Flick richtig eng. Auf den Bundestrainer warten zwei Endspiele.