So sieht der Krieg in der Ukraine auf Tiktok aus

Auf Tiktok ist die Ukrainerin Valeria Shashenok mit Videos aus dem Kriegsgebiet weltbekannt geworden. Sie präsentiert auf der Videoplattform Krieg in einer Weise, wie er noch nie erlebt wurde.

Ende Februar: Ein ukrainischer Soldat filmt mit seinem Smartphone ein zerstöstes Gebäude in der Hauptstadt Kiew
Ende Februar: Ein ukrainischer Soldat filmt mit seinem Smartphone ein zerstöstes Gebäude in der Hauptstadt Kiew. Foto: Pierre Crom / Getty Images

Schon Anfang März schrieb das einflussreiche Magazin New Yorker, dass der russische Angriffskrieg auf die Ukraine der erste Krieg ist, der nicht mehr nur in klassischen Medien, sondern auch – oder sogar: vor allem – in sozialen Medien stattfindet.

Dadurch ändert sich die Ästhetik, in der die Welt den Krieg erlebt. Beispielsweise auf Tiktok werden Videos typischerweise ohne Einordnung oder gar journalistischen Kontext, dafür mit Popmusik untermalt, veröffentlicht. Und dazu kommt, dass jede:r senden, und damit zu Berühmtheit kommen kann.

Putin, Smiley

So ist es auch Valeria Shashenok ergangen. Die 20-Jährige ist während des Krieges zu einer der bekanntesten Tiktokerinnen geworden, weil sie Memes aus dem Kriegsgebiet heraus veröffentlicht hat.

Am häufigsten wurde ihr Video aus dem Luftschutzbunker in ihrer Heimatstadt Tschernihiw angesehen: über 50 Millionen Mal.

Zu den fröhlichen Klängen von „Che La Luna“ und der Überschrift „Ich lebe das beste Leben“ zeigt sie darin, wie sie sich im Bunker wäscht, wie ihre Mutter kocht oder welche Spuren russische Bomben an der Oberfläche hinterlassen haben. Dazu schreibt sie: „Mal schauen, was Putin mit meiner Heimatstadt angestellt hat“. Es folgen eine Menge Lachgesichter.

Die Ukraine ist stark genug, um Witze zu machen

Wie aber passt das zusammen, die Verschmelzung von laienhafter Kriegsberichterstattung, sarkastischen Kommentaren und der Tiktok-Ästhetik? „Den ganzen Tag hörte ich Sirenen und mein Gehirn wollte diese Information nicht wahrhaben. Deswegen habe ich entschieden, mich darüber lustig zu machen“, das sagte Shashenok in einem Spiegel-Beitrag, der kürzlich über sie erschienen ist. Sie sei damit auch nicht die Einzige, denn die ganze Ukraine mache Witze über Russland. „Für uns ist das ein Teil unserer Kultur, es bedeutet: Wir sind stark genug, dass wir Witze darüber machen können“, sagt sie.

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Ihren Humor bezeichnet sie als „sehr einfach“. Wenn sie etwa ihren Vater zeigt, der Kaffee mit einem Bunsenbrenner kocht, weil es keinen Strom gibt: „Ich stelle mir dann einfach vor, dieses Feuer an Putins Hintern zu halten.“ Das sei der einfachste Weg, den Leuten zu vermitteln, was los sei. Denn: „Ich kann die Wahrheit zeigen“, so Shashenok.

Macht sie sich aus dem sicheren Exil lustig?

Mittlerweile ist sie aus ihrem Heimatland geflohen – nach 17 Tagen im Schutzraum. Über Polen und Deutschland erreichte sie Italien, wo in Mailand eine Gastfamilie auf sie gewartet hat. Seither berichtet sie aus dem Exil. Nicht immer mit dem Einverständnis ihrer Familie, die in der Ukraine geblieben ist. So hat Shashenok veröffentlicht, dass ihr 18 Jahre alter Cousin ums Leben gekommen ist. „Ich wollte den Leuten zeigen, dass mir das passiert ist, dass es die Realität ist und kein Witz.“ Daraufhin habe sie ihr Vater angerufen und gefragt, wieso sie das poste und ob es ihr nur um Klicks gehe.

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Ähnliche Kritik findet sich mittlerweile unter manchen ihrer Beiträge. Der Tenor: Sie sei im Ausland in Sicherheit, mir ihren Videos mache sie sich daher nur noch über das Leid in der Ukraine lustig. Im Spiegel-Beitrag verneint sie das. Stattdessen sagt sie: „Wollen diese Leute, dass ich weiter im Bunker sitze oder dass mich jemand umbringt? Ich bin mit mir selbst im Reinen.“

Die beste und einzige Informationsquelle

Die Gefahr, dass soziale Medien die User:innen immer klickgetriebener handeln und deshalb krassere Inhalte veröffentlichen lasse, wird auch in dem New Yorker-Text aufgegriffen.

Darin kommt der Autor zu dem Schluss, dass die Flut an Tiktok-Kriegsvideos einerseits dazu führen könnte, dass die Welt nur noch Anteilnahme empfindet, solange sie durch die Timeline wischt. Andererseits könnten die Videos aus Gebieten ohne Journalist:innen aber auch zur zuverlässigsten, weil einzigen, Informationsquelle werden. Sie würden damit zwar zu unperfekten, aber sehr wichtigen Zeitzeugen werden.

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