"Songbird": Warum der umstrittene Corona-Thriller Hoffnung stiften kann

Ein Hollywood-Thriller mit 110 Millionen Corona-Toten: "Songbird" ist der wohl umstrittenste Film des Jahres. Das Werk von Michael Bay könnte dennoch Trost in düsteren Zeiten spenden.

Will man das wirklich sehen? Ausgerechnet jetzt? Vor wenigen Tagen wurde der erste Trailer zu "Songbird" veröffentlicht, einem Film mit zwar harmlosem Titel (auf Deutsch: "Singvogel"), aber happigem Inhalt. In dem Film von Krawall-Produzent Michael Bay ("Pearl Harbor", "A Quiet Place 2") wird ein düsteres Zukunftsszenario entworfen: Im vierten Jahr der Corona-Pandemie ist das Virus mutiert und greift nun das Gehirn an. Mehr als 110 Millionen Menschen weltweit sind der Pandemie bereits zum Opfer gefallen, wer sich infiziert hat, wird in riesige Quarantänelager gesperrt. Während die Gesundheitsbehörde erkrankte Menschen mit Gewalt aus ihren Wohnungen holt, erzählt "Songbird" auch eine Liebesgeschichte: Ein von Sofia Carson ("Descendants - Die Nachkommen") und KJ Apa ("Riverdale") gespieltes junges Paar versucht, den Virus-Horror gemeinsam durchzustehen. Doch die beiden sind getrennt voneinander und müssen im abgeriegelten Los Angeles wieder zueinanderfinden.

Als die Pläne zu "Songbird" Ende Mai bekanntgeworden waren, lösten sie - gelinde gesagt - einige Irritation aus. Dem kürzlich veröffentlichten ersten Trailer folgte dann ein regelrechter Shitstorm. "Geschmacklos. Unangemessen. Ziemlich dumm" - so der Tenor vieler Kommentare, die bei YouTube unter dem knapp dreiminütigen Clip gepostet wurden. Für Prof. Dr. Marcus Stiglegger, Film- und Kulturwissenschaftler aus Berlin, birgt ein Film wie "Songbird" hingegen "Hoffnung für das Publikum".

"Die Pandemie ist allgegenwärtig, die Zukunft ungewiss und die Effektivität von Maßnahmen äußerst fraglich. Das verunsichert die betroffenen Menschen, die nach Perspektiven und Antworten suchen", sagt Stiglegger, Herausgeber des gerade erschienenen "Handbuchs Filmgenre". "Dystopische - also negativ gesteigerte - Spekulationen wie die polizeistaatliche Abriegelung L.A.s in dem Film schaffen einen Rahmen, der zugleich noch bedrohlicher ist als die Gegenwart, aber auch Identifikationsfiguren anbietet, die sich aktiv den Widrigkeiten stellen." Kurzum: Filme wie "Songbird" zeigen, dass die Wirklichkeit noch viel schlimmer aussehen könnte, als sie es tatsächlich ist. "Aber selbst dann gibt es Menschen, die sich den Problemen stellen."

Schlimmer als die Wirklichkeit

Dass da etwas dran ist, konnte man zu Beginn der Pandemie sehen. Ende März fand sich plötzlich der neun Jahre alte Seuchen-Thriller "Contagion" ganz oben in den Streamingcharts von Amazon und Co. "Dystopische Fiktionen, die unsere Probleme steigern und weiterdenken, können uns helfen, mit der eigenen Realität umzugehen, Hoffnung und Kraft zu sammeln in der Identifikation mit den Überlebenden, die wir als Helden sehen", erklärt Stiglegger. "Insofern können auch auf den ersten Blick negativ anmutende Modelle Kraft spenden. Zugleich verpacken diese Filme etwas schwer Greifbares wie eine virale Pandemie in eine fassbare Erzählung und verleihen ihr so eine Art Sinn. Auch das kann tröstlich sein."

Gedreht wurde "Songbird" von Regisseur Adam Mason ab Anfang Juli in Los Angeles - also inmitten der Pandemie. Beim Dreh sollen alle geltende Abstands- und Hygieneregeln eingehalten werden, hieß es damals. Man wolle auch auf Szenen verzichten, in denen sich Schauspieler zu nahe kommen, so die Produzenten bei der ersten Ankündigung des Projekts. Der Trailer spricht allerdings eine andere Sprache, hier sieht man durchaus mehrere Menschen, die sich dicht vor der Kamera drängen. Laut den Produzenten sollen die Filmteams in Gruppen zu je maximal 40 Personen aufgeteilt worden sein, man habe die Schauspieler (unter anderem Demi Moore in einer Nebenrolle) voneinander getrennt und außerdem regelmäßige Tests durchgeführt.

""Filme über die verlorene Normalität lassen sich aktuell nicht produzieren"

Die Idee zu dem Film sei Regisseur Mason und seinem Koautor Simon Boyes schon zu Beginn der Pandemie gekommen. Während der Ausgangssperre in New York hätten sie an einem ersten Drehbuchentwurf gearbeitet, erklärte Mason kürzlich im Interview mit "Entertainment Weekly".

Überraschend ist es dennoch, wie schnell sich Hollywood der Corona-Pandemie angenommen hat. Diverse US-Serien, etwa "This Is Us", "Grey's Anatomy" und "The Good Doctor", behandeln das Thema Covid-19 zwar bereits. Ein ganzer Spielfilm aber, der sich um ein Thema dreht, das noch brandaktuell ist - das gibt es selten. "Es dauerte fast ein Jahrzehnt, bis der Vietnamkrieg direkt in Filmen dargestellt und verarbeitet wurde, denn er war ein sehr unpopuläres Phänomen, das die Gesellschaft spaltete", sagt Filmwissenschaftler Stiglegger. "Ebenso finden sich Filme über die Irak-Kriege oder 9/11 erst nach einer gewissen 'Schonfrist'".

Dass ein Film wie "Songbird" die Pandemie nun schon so früh thematisiere, habe auch einen ganz pragmatischen Grund: Die Pandemie habe auch das Filmdrehen an sich schwierig gemacht, meint Stiglegger. "Filme über die verlorene Normalität lassen sich aktuell nicht produzieren. So geht es nicht nur um das inhaltliche Bedürfnis nach Verarbeitung, sondern auch um technische Zwänge einer sozial distanzierten Filmcrew."