Sozialer Wohnungsbau in Wien: Was verbirgt sich hinter den Fassaden?
Wien gilt in ganz Europa als Best-Practice-Beispiel für die Verwaltung von Sozialwohnungen. Die Stadtverwaltung ist Eigentümerin, Miteigentümerin und Verwalterin von rund 50 Prozent der städtischen Wohnimmobilien, die sich auf viele verschiedene Sozialprogramme verteilen. Dadurch kann sie Zehntausenden Familien bezahlbare Mieten anbieten. Rund eine Million Menschen, etwa die Hälfte der Wiener Bevölkerung, leben in Sozialwohnungen oder anderen geförderten Wohnformen. Der soziale Wohnbau hat dazu beigetragen, dass Wien seit langem als die lebenswerteste Stadt der Welt gilt.
Sozialer Wohnungsbau in Wien: Eine trügerische Idylle?
Doch in jüngster Zeit scheint sich die Lage irgendwie verschlechtert zu haben. Kritiker behaupten, dass die Mietpreise gestiegen sind, die Wartelisten immer länger werden und der Anteil des sozialen Wohnbaus am gesamten Wohnungsmarkt stark gesunken ist - Opfer einer langen Phase der durch niedrige Zinssätze geförderten Spekulation.
Ist das System so perfekt und idyllisch, wie es scheint? Wir sind in Österreichs Hauptstadt gereist, um herauszufinden, was sich hinter den Fassaden verbirgt.
Wiens Jahresbudget für den sozialen Wohnbau liegt bei über 400 Millionen Euro
Verwaltungsangestellte Tesbire Keskin zeigte uns die 70 Quadratmeter große Wohnung, in der sie mit ihrer Familie seit fast 20 Jahren lebt. Für die ideal gelegene Wohnung zahlt sie 500 Euro im Monat - weit unter dem Marktwert. "Der Kindergarten ist direkt gegenüber, die Schule ist zehn Minuten zu Fuß entfernt. In zwei Minuten bin ich bei der U-Bahn", erzählt sie uns. "Als meine Kinder klein waren und ich nicht von der Arbeit nach Hause kam, holten die Nachbarn sie vom Kindergarten ab. Es ist sehr schön hier, es ist grün, ruhig. Ich bin sehr glücklich und zufrieden."
VertreterInnen der Abteilung Wohnen der Stadt Wien führten uns durch einige der ältesten Sozialbauten Wiens. Im Gegensatz zu Berlin und anderen Städten mit historischem Grundbesitz hat die ehemalige Hauptstadt des riesigen österreichisch-ungarischen Kaiserreichs ihren riesigen Grundbesitz nie verkauft. Wiens Jahresbudget für den sozialen Wohnbau liegt bei über 400 Millionen Euro - viel höher als das von größeren EU-Hauptstädten wie Rom, Madrid oder Lissabon.
"Unser Wohnmodell wird durch eine Wohnbausteuer abgesichert und finanziert, die jeder Österreicher zahlt", sagt Christian Schantl, Leiter der Abteilung Internationale Beziehungen bei Wiener Wohnen. "Es ist ein kleiner Beitrag vom Bruttoeinkommen. Auch der Arbeitgeber leistet einen kleinen Beitrag, und dieses Geld ist speziell für den Wohnungsbau in ganz Österreich bestimmt."
Wolken über dem Mieterparadies
Dennoch gibt es einige Wolken über diesem Mieterparadies. Die lang anhaltende Niedrigzinsphase führte zu intensiver Spekulation. Die Kosten für Grundstücke, Materialien und Instandhaltung schossen in die Höhe und verdrängten den sozialen Wohnungsbau. Experten der NGO Volkshilfe, die Obdachlose beim Zugang zu Sozialwohnungen unterstützt, sagen, dass vor Jahrzehnten 80 % der Neubauten Sozialwohnungen und 20 % Privatwohnungen waren.
"Vor zehn oder fünfzehn Jahren wurden noch zwei Drittel aller Wohnungen im sozialen Wohnungsbau errichtet. Jetzt ist es genau umgekehrt. Zwei Drittel aller Wohnungen werden von privaten Investoren gebaut. Die Folge sind natürlich höhere Wohnungspreise. Wir sollten versuchen, das wieder umzukehren. Die Hauptlösung wäre, mehr Land und mehr Möglichkeiten für den Bau von Sozialwohnungen zu bekommen", erklärt Martin Orner, Leiter der Wohnungspolitik der NGO.
Immer längere Wartelisten
Auch die Wartelisten für den Zugang zu Sozialwohnungen werden immer länger, wie andere Kritiker behaupten.
Trotz seiner Einschränkungen scheint das Modell des sozialen Wohnbaus in die Identität der Stadt eingebettet zu sein. Wir besuchten eine Dauerausstellung über das sogenannte "Rote Wien" in den 1920er- und 1930er-Jahren.
Die Kuratoren erklärten, dass das sozialdemokratische Modell damals die Stadtentwicklung und den kulturellen und sozialen Charakter der Stadt prägte - und nun auch die Gegenwart bestimmt. "Es war eine Stadt in der Stadt, und die Menschen mussten ihre Wohnungen kaum verlassen, weil alles vorhanden war, auch Arztpraxen, Geschäfte und so weiter", erklärte Lilli Bauer, die Ko-Kuratorin der Ausstellung. _"Damals gab es in diesen städtischen Gebäuden sogar Tuberkulose-Pflegezentren zur Bekämpfung dieser Krankheit. Auch jetzt, während der Pandemie, waren die Orte, an denen die Tests durchgeführt und die Impfungen verabreicht wurden, sehr d_ezentralisiert und über die ganze Stadt verteilt und leicht zugänglich."
Die Stadt gibt an, dass sie jedes Jahr zwischen 5.000 und 7.000 neue Wohnungen subventioniert.