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Arbeitslose können auf mehr Geld hoffen

Berlin (dpa) - Millionen Bedürftige können im kommenden Jahr auf höhere staatliche Leistungen und eine gründlichere Betreuung durch die Jobcenter hoffen. Nach einer Einigung zwischen Union und Ampel-Koalition zum geplanten Bürgergeld vom Vortag rechneten Vertreterinnen und Vertreter beider Seiten am Mittwoch mit einer raschen Einigung im Vermittlungsausschuss. Das Gremium von Bundestag und Bundesrat sollte am Abend den Kompromiss zu der Nachfolge-Reform von Hartz IV besiegeln.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte in der Generaldebatte im Bundestag: «Wir sorgen dafür, dass Arbeit sich mehr lohnt als zu jedem Zeitpunkt einer CDU-geführten Bundesregierung.» Das Bürgergeld soll zum 1. Januar 2023 mit deutlich höheren Regelsätzen in der Grundsicherung starten. Wesentliche Teile der Reform sollen erst zum 1. Juli in Kraft treten: So sollen die Jobcenter mit jeder und jedem betroffenen Arbeitslosen einen Kooperationsplan aufstellen, in dem der vorgesehene Weg zurück zu regulärer Arbeit festgelegt wird.

Scholz verteidigte die Reform gegen frühere Kritik aus der Union. Was die Bundesregierung und CDU und CSU unterscheide, sei «offenbar das Bild, das wir von den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes haben». CDU und CSU hatten in ihren Augen zu milde Regeln bemängelt und gewarnt, dass diese von Betroffenen auf Kosten der Steuer- und Beitragszahler ausgenutzt werden könnten.

Frei: «Ich rechne nicht mit einem Scheitern»

Viele Menschen würden sich in der aktuellen Krise nicht nur um hohe Energie- und Lebensmittelpreise sorgen, sondern vor allem um ihren Arbeitsplatz und die Zukunft ihres Betriebs, sagte Scholz. «Das zeigt doch eines ganz klar: Die Bürgerinnen und Bürger wollen arbeiten und sie wollen von ihrer Arbeit anständig leben können.»

Weil der Bundesrat anders als der Bundestag dem Entwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) nicht zugestimmt hatte, wurde der Vermittlungsausschuss angerufen. Er soll nun zu einer Sitzung zusammenkommen. Bis Freitag sollen beide Häuser abschließend zustimmen.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU), sagte vor der Sitzung des Ausschusses im Deutschlandfunk: «Ich rechne nicht mit einem Scheitern.» Die Ampel-Koalition sei in den wesentlichen Kritikpunkten auf die Union zugegangen. In der Sitzung werde man sich die konkreten Gesetzestexte anschauen.

SPD-Chef Lars Klingbeil zeigte sich ebenfalls zuversichtlich. «Ich bin sehr stolz darauf, dass wir das auf den Weg gebracht haben und bin sehr froh darüber, dass es jetzt anscheinend im Vermittlungsausschuss ein gutes Ergebnis gibt und dass dann am Freitag auch endgültig im Bundesrat die Reform zum Bürgergeld auf den Weg gebracht wird», sagte er in der RTL/ntv-Sendung «Frühstart».

Klingbeil sieht «wirklichen Kulturwandel»

Auf die Frage, ob Hartz IV damit Geschichte sei, sagte Klingbeil: «Ja, definitiv.» Das Bürgergeld bringe einen «wirklichen Kulturwandel». «Wir sorgen für wirkliche Qualifizierung und wir bekämpfen damit auch den Fachkräftemangel, den es in Deutschland gibt.»

Der Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Das Bürgergeld kann kommen und Hartz IV beenden.» Audretsch sagte weiter: «Die größte Sozialreform seit 20 Jahren bedeutet eine Weiterbildungsoffensive, ein Perspektivwechsel in den Jobcentern und Sanktionen nur in maßvollen Stufen statt unsachliche Härte.»

Auf Druck der Union soll eine «Vertrauenszeit» aus Heils Entwurf gestrichen werden. Anders als ursprünglich vorgesehen sollen Arbeitslose auch in den ersten sechs Monaten des Bezugs dadurch mögliche Leistungskürzungen hinnehmen müssen, wenn sie sich anders als mit dem Jobcenter verabredet etwa nicht auf einen Job bewerben. Im Vergleich zum Ursprungsentwurf sieht der Kompromiss unter anderem auch vor, dass den Beziehenden des Bürgergelds 40 000 statt 60 000 eigenes Vermögen zugestanden werden soll.

Der Oberbürgermeister von Münster und Städtetagspräsident, Markus Lewe (CDU), sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): «Das Bürgergeld verbessert die Instrumente, um arbeitslose Menschen zu qualifizieren und weiterzubilden.» Der Chef des CDU-Arbeitnehmerflügels, NRW-Sozialminister Karl-Josef Laumann, sagte dem RND, das Gesetz sei eine «gute Grundlage». Er fürchte jedoch, «dass die Angestellten in den Jobcentern nicht genug Ressourcen haben werden, den Geist des Gesetzes auch umzusetzen».

Kipping: «In allen Punkten eine Verschlechterung»

Die Gewerkschaft Arbeit und Soziales, in der Beschäftigte der Jobcenter organisiert sind, lobte dagegen den Kompromiss. «Wir finden es positiv, dass die Vertrauenszeit gestrichen wurde. Sie hätte falsche Anreize gesetzt», sagte vbba-Chef Waldemar Dombrowski «The Pioneer». Gerade Jüngeren hätte sie dazu verleitet, «sich erst einmal nicht anzustrengen».

Berlins Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) nannte den Kompromiss im RBB-Sender radioeins «in allen Punkten eine Verschlechterung»: «Die Union, die Truppe von Friedrich Merz, hat sich bei diesen Verhandlungen wirklich von ihrer sozial kältesten Seite gezeigt.»