Der Bayern-Fokus verschiebt sich gefährlich

Als Thomas Tuchel um 18:31 Uhr die Arena verließ, wirkte er nicht verbissen. Vielmehr konnte man Erleichterung in seinen Augen sehen. Da freute sich jemand ehrlich über seinen Feierabend.

Zuvor hatte der Bayern-Trainer echte Schwerstarbeit leisten müssen - neben dem Platz, aber besonders an den Mikrofonen. Die Attacke von Klub-Patron Uli Hoeneß auf den bayerischen Coach überlagerte den Sport komplett.

Eintracht Frankfurt? Real Madrid? An diesem Samstag drehte sich fast alles um den Ehrenpräsidenten und seine Aussage, die Tuchel in kein gutes Licht rückte.

„Er [Tuchel – Anm. d. Red.] meint nicht, dass er einen Davies, Pavlovic oder Musiala verbessern kann. Wenn es nicht klappt, sollte man einen anderen kaufen“, hatte Hoeneß am Freitag auf einem Kongress der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) gesagt. Der Vorwurf des 72-Jährigen an Tuchel: Er kauft lieber Spieler, als junge Talente zu entwickeln.

Tuchel fassungslos

Tuchel, im Interview mit Sky vor dem Spiel, sichtlich gekränkt, reagierte so scharf, wie es wohl kaum ein anderer Bayern-Trainer vor ihm gewagt hat. „Das ist natürlich so meilenweit an der Realität vorbei, dass es schon fast gar kein… Ich weiß gar nicht, wie ich darauf antworten soll“, sagte Tuchel.

Es ist nicht das erste Mal, dass Hoeneß einen Termin, der nicht im Einflussbereich des Vereins liegt, für klare Botschaften nutzt. Wirtschaftskongresse, Fachtagungen, Charity-Events - immer wieder kam der Klub-Patron bei eben jenen Terminen ins Plaudern und brauchte seine klaren Botschaften unters Volk. Frei nach dem Motto: Ein Hoeneß in Plauderlaune ist am gefährlichsten.

Doch diesmal scheint er den Bogen überspannt zu haben. Schon seit Jahren wünscht man sich beim FC Bayern weniger Wortmeldungen des Ehrenpräsidenten. Weiß man doch klubintern um die mögliche Brisanz seiner Aussagen. Ein Hoeneß-Satz am falschen Ort zur falschen Zeit kann eine ganze Woche lang die Harmonie beim Rekordmeister zerstören.

Aktuell ist es die Vorbereitung auf das anstehende Duell mit Real Madrid in der Champions League, die der Mann vom Tegernsee sorglos torpediert. Ein Hauch von FC Hollywood…

Eberl steht seinen Mann

„Ich finde nicht, dass es FC Hollywood ist“, sagte Max Eberl nach der Partie. Der Sportvorstand schien zu spüren, dass er nun gefragt war, die Wogen zu glätten.

Tapfer stellte er sich den Reportern und suchte sichtlich ausgleichende Worte: „Das sind zwei Männer, die werden sich zusammenraufen und fokussieren, um die letzten Spiele bestmöglich zu gestalten“, sagte Eberl.

Der 50-Jährige ist nicht um seine Rolle zu beneiden. Er steht zwischen dem Mann, den er offen als sein Vorbild bezeichnete und dem Trainer, dem er angesichts der sportlichen Aufgaben natürlich den Rücken stärken muss.

Auch die Tatsache, dass Hoeneß' Worte ja auch mögliche Trainerkandidaten wie Ralf Rangnick abschrecken könnte, lächelte Eberl gekonnt weg. Dabei wäre es nicht überraschend, wenn der Sportvorstand vor Wut schäumen würde. Schließlich hatte Hoeneß auf der gleichen Veranstaltung fast nebenbei den Eindruck bestätigt, Ralf Rangnick sei nur dritte Wahl im bayerischen Trainer-Karussell.

Hoeneß kann es nicht lassen

Hoeneß ist es mit seiner einstündigen Plauderei bei der FAZ gelungen, den ganzen Verein und sein Umfeld in Aufruhr zu versetzen. Denn ein weiteres Detail fiel auf: Der Ehrenpräsident lobte explizit Xabi Alonso dafür, dem FCB abgesagt zu haben. Mit seinem Bekenntnis zu Bayer Leverkusen habe der Spanier Charakter bewiesen.

Doch was bedeutet das im Umkehrschluss für die Verhandlungen mit Rangnick? Wäre es in Hoeneß' Augen also charakterlos, wenn der „Fußball-Professor“ der Nationalmannschaft Österreichs den Rücken kehrt?

Fakt ist: Hoeneß darf sich jederzeit zum FC Bayern äußern. Der Verein ist sein Baby.

Fakt ist aber auch: Dem Patron scheint das feine Gespür für Timing abhandengekommen zu sein. Einst zündete er verbale Nebelkerzen, um die Mannschaft zu schützen. Mittlerweile macht er es mit seinen Worten dem Team eher schwer, den Fokus zu behalten.

Müller nimmt es locker

Denn nicht jeder Profi ist so abgebrüht wie ein Thomas Müller. Das Urgestein entpuppte sich nach dem Spiel gegen Frankfurt neben Eberl als zweite wichtige Stimme, die den Wagen in der Spur halten will.

Er kann über die aktuellen Diskussionen nur lachen. „Das interessiert mich überhaupt nicht“, sagte Müller im Interview mit SPORT1. Und fuhr lachend fort: „Wenn mich die Nebengeräusche beim FC Bayern immer negativ beeinflusst hätte, hätten ich keine Karriere machen können…“

Wie geht es mit Hoeneß weiter?

Mag der Rauch zwischen Tuchel und Hoeneß womöglich bald verzogen sein, wirft die aktuelle Diskussion natürlich trotzdem ein Schlaglicht auf die zukünftige Rolle des Patriarchen. SPORT1-Informationen zufolge macht sich Rangnick durchaus Gedanken, ob er sich den Job in München wirklich zumuten sollte – auch wegen Hoeneß' großen Einfluss.

Dass Tuchel den 72-Jährigen bei Sky als „unseren Boss“ bezeichnete, zeigt deutlich, wie die Machtverhältnisse noch immer liegen. Hoeneß hat das Sagen – auch wenn er auf dem Papier nur noch einfaches Aufsichtsratsmitglied ist. Er selbst bekannte vor wenigen Wochen noch, dass er sich weiterhin einmischen werde, sofern er das Gefühl habe, dem Verein helfen zu können.

Es ist eine Hilfe, auf die so mancher Entscheidungsträger gerne verzichten würde. Allen voran Thomas Tuchel.