Wie kaputt ist Snooker wirklich?

Wie kaputt ist Snooker wirklich?
Wie kaputt ist Snooker wirklich?

Das hatten sich die Verantwortlichen sicherlich komplett anders vorgestellt - so unmittelbar vor dem Start des Masters am Wochenende.

Doch das neue Jahr begann, wie das alte geendet hatte: Mit einem lauten Knall in der sonst so leisen Snooker-Welt.

Die Manipulationsaffäre um angeblich verschobene Spielergebnisse zieht immer größere Kreise, macht dabei auch vor Topspielern nicht Halt - und bringt deshalb sogar die deutsche Szene gehörig in Wallung.

Nicht der erste Snooker-Skandal

„Es wundert mich nicht bei diesen Summen, die dort im Spiel sind. Es ist in der Vergangenheit ja auch schon öfter passiert“, sagt Helmut Biermann bei SPORT1.

Der Präsident der Deutschen Billard-Union (DBU) mit Sitz in Herne zeigt sich fassungslos - weil der aktuelle Skandal eben keineswegs ein Einzelfall ist.

„Der Fall John Higgins zum Beispiel (viermaliger Weltmeister aus Schottland, der nach Spielmanipulationen 2011 eine sechsmonatige Sperre und eine finanzielle Strafe verbüßte / Anm. d. Red.). liegt mehr als zehn Jahre zurück. Den hat man mit Handschuhen angefasst, er hat ein sehr mildes Urteil bekommen“, meint Biermann.

Deutsche Billard-Union in Wallung

Für den 66-Jährigen ist deshalb klar: „Da müsste man knallhart durchgreifen. Für mich müsste ein solcher Sportler für ein paar Jahre ausgeschlossen und gesperrt werden - wie beim Doping.“

Das Ausmaß des gegenwärtigen „Match-Fixing“-Skandals spricht für eine neue Dimension - und wirft einen Schatten auf das Masters 2023, bei dem sich die Top 16 der Welt ab Sonntag im Londoner Alexandra Palace misst. (ARTIKEL: Snooker-Skandal - 6 Spieler suspendiert)

Der Vorwurf: Ergebnisse sollen abgesprochen worden sein, um mit Wetten hohe Geldsummen einzuheimsen. Einzelfälle sind es kaum mehr, der Umfang des Betrugs ist zu gewaltig.

Kurz vor Weihnachten hatte der Weltverband WPBSA zunächst den Weltranglisten-93. Chen Zifan im Zuge der Untersuchungen vorläufig gesperrt.

Nicht nur China-Stars im Brennpunkt

Nach Neujahr folgten mit Zhao Xintong, Nummer neun der Welt und eine Art „Ziehsohn“ des Snooker-Superstars Ronnie O‘Sullivan, sowie Zhang Jiankang dann die nächsten beiden Profis. (SERVICE: So funktioniert Snooker)

Den Auftakt im Oktober hatte die Sperre des ehemaligen English-Open-Gewinners Liang Wenbo gemacht, seither wuchs die Liste auf zehn chinesische Spieler an. Neben Xintong ist mit dem Master-Champion von 2021, Yan Bingtao, ein zweiter Akteur der Top 16 betroffen.

Wie kaputt ist der Snooker-Sport nun also? Ist es das Ende des Gentleman-Images? Auch Rolf Kalb zeigt sich fassungslos.

„Als ich die neuesten Nachrichten gelesen habe, hatte ich richtige Knoten im Bauch“, sagt Deutschlands wohl bekanntester Experte der Präzisionssportart, der seit knapp drei Jahrzehnten für Eurosport nahezu jedes Turnier moderiert, im SID-Gespräch.

Weltverband untersucht die Vorfälle

Für das Masters, eines der drei wichtigsten Turniere überhaupt neben der WM und der UK Championship, sei der Skandal und die Sperren der chinesischen Topspieler neben dem „sportlichen Verlust“ nichts anderes als eine „Rufschädigung“.

Denn: Bei jedem überraschenden Ergebnis bleiben inzwischen hochgradig Zweifel. Ein Beispiel: Xintongs 9:0-Triumphzug gegen Bingtao beim German Masters im vergangenen Februar.

„Es war erst das zweite Mal in der Geschichte des Snookers, dass ein Finale über eine solch lange Distanz zu null ausgegangen ist“, erklärt Kalb, der die Diskussionen in den Sozialen Medien verfolgt: „Natürlich fragen sich dann die Leute, ob ein ehrliches Match gespielt wurde oder nicht - das kann man nicht verdenken.“

Noch gilt die Unschuldsvermutung für die vorläufig gesperrten Spieler. Der Weltverband teilte mit, dass die Untersuchungen weit fortgeschritten seien. Erste Erkenntnisse sollen „in Kürze“ veröffentlicht werden.

„Werden alle über einen Kamm geschoren“

Was dann dabei herauskommen mag, lässt Biermann bei SPORT1 offen. Nur soviel: An wirklicher Bestrafung habe „die Main-Tour kein Interesse, weil sie die Topspieler natürlich behalten wollen.“

Was ihn aber so oder so ärgert: „Wir werden da alle über einen Kamm geschoren. Der Fernsehzuschauer wird uns sicher mit ins Boot holen, weil er keine Differenzierung sieht.“

Biermann („Ich finde dieses Matchfixing verwerflich“) meint damit, dass seine Institution mit dem Gebaren des Weltverbands WPBSA nur wenig gemein hat.

„Ich behaupte ganz flapsig, dass der deutsche Snookersport bei diesem Skandal unbeteiligt ist“, sagt Biermann: „Wir haben zwar zwei Spieler, die auf der Welttour mitspielen. Aber im Fernsehen sieht man nie deutsche Spieler.“

Mehr noch: Events in Deutschland fänden vielmehr statt „ohne Zusammenarbeit mit der Deutschen-Billard-Union. Da wollen die uns auch als Verband gar nicht dabei haben.“

Abschreckung also vergebens?

Kalb ist sich gleichwohl sicher: „Es wird zu Urteilen kommen, ich rechne auch mit längeren Sperren.“

Der TV-Experte betont dabei, dass Schuld dann nicht gleich Schuld sei. Es müsse unterschieden werden zwischen Drahtziehern oder Serientätern einerseits und Mitwissern oder Genötigten andererseits, die beteiligt waren, weil sie „vielleicht unter Druck gesetzt“ wurden.

Für Profis, die nachweislich betrogen haben, sei die Rehabilitation „sehr, sehr schwer“ - und für Mehrfachtäter fast unmöglich. Ihre Sperren, prophezeit Kalb, fielen so hart aus, „dass es keine realistische Chance gibt, den Weg zurückzufinden“.

Was Biermann durchaus anders sieht mit Blick auf die Vergangenheit, in der Abschreckung nicht wirklich funktioniert habe.

Wie hoch ist der Schaden für die Integrität des Snookers?

Wie hoch ist also der Schaden für die Integrität des Snookers?

Biermann vermag dabei allein die eigene zwangsläufige Hilflosigkeit vorherzusagen: „Wir können leider nichts dagegen tun. Wir sind machtlos. Es weiß ja nicht mal jemand, wer der beste deutsche Spieler ist.“

Nur in einem ist sich Biermann sicher: „Ich kann nicht erkennen, dass konsequentes Handeln den Sportverbänden schaden würde.“

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Mit Sport-Informations-Dienst (SID)