"Weiß nicht, was der zum Frühstück gegessen hat"

"Weiß nicht, was der zum Frühstück gegessen hat"
"Weiß nicht, was der zum Frühstück gegessen hat"

Als es galt, dem Helden eines der deutlichsten Halbfinals der letzten Jahre zu huldigen, erhob sich ein Großteil der Kulisse in der Kölner Lanxess-Arena von seinen Sitzen und applaudierte lautstark in Emil Nielsens Richtung. Selbst Fans des Gegners, während der Torwart des FC Barcelona acht Minuten vor dem Spielende ausgewechselt wurde. Denn was er zuvor gezeigt hatte, ist mit einem einzigen Wort vollumfänglich zu beschreiben: Weltklasse.

Beim furiosen 30:18 der Katalanen, die im Endspiel der Champions League nun auf Aalborg treffen, scheiterte der THW Kiel in erster Linie an ihm. Nielsen war Garant und Stabilisator eines Teams, das sich dank der Paraden ihres Keepers in einen wahren Rausch spielte - und den Norddeutschen die letzte Hoffnung auf einen versöhnlichen Saisonabschluss raubte. Am Ende kam der Däne auf sagenhafte 15 Paraden bei 32 Würfen der Zebras, was einer überragenden Fangquote von 46,88 Prozent entspricht.

Wenig verwunderlich, dass Kiels Linksaußen Rune Dahmke auf die Frage, was denn der ausschlaggebende Grund für die herbe Klatsche gewesen sei, bloß eine schlichte und einfache Antwort parat hatte. „Emil Nielsen. Wir haben es am Anfang gar nicht so schlecht gemacht. Dann fanden wir nach und nach nicht mehr so viele Lösungen - und die wenigen Lösungen, die es noch gab, nimmt Nielsen weg“, erzählte der deutsche Nationalspieler und fügte anerkennend hinzu: „Der macht uns fast im Alleingang kaputt.“

„Weiß nicht, was der zum Frühstück gegessen hat

Tatsächlich war alles dabei. Viele Fernwürfe. Unzählige freie Abschlüsse aus jeder denkbaren Position. Und als Sahnehäubchen wehrte Nielsen auch noch alle drei Siebenmeter der Kieler ab. Harald Reinkind wirkte entsprechend ratlos. „Ich weiß nicht, was der zum Frühstück gegessen hat. Emil gehört zu den besten Torhütern der Welt. Heute war er wieder einmal sensationell, dazu werfen wir schlecht. Wenn diese Kombination zusammenkommt, sieht das eben so aus“, meinte der niedergeschlagene Norweger.

Nielsen hingegen wollte sich selbst gar nicht großartig in den Mittelpunkt stellen, wie es für seinen Charakter typisch ist. „Das war eine reine Mannschaftsleistung, ganz klar. Die Verteidigung war heute sehr stark, wir haben rundherum einen tollen Job gemacht, jeder hat seinen Teil dazu beigetragen“, lautete sein schnörkelloses Resumee des Abends: „Niemand sonst hätte das schaffen können, es geht nur um Teamwork. Jetzt müssen wir uns auf morgen konzentrieren und sicherstellen, dass wir die gleiche Intensität beibehalten.“

Immerhin sei dieser Sieg lediglich der erste Schritt zu Barcelonas großem Ziel, dem Gewinn der Champions League. „Wir sind glücklich und es war toll, nach dem Spiel ein bisschen zu feiern. Aber sobald wir die Umkleidekabine verlassen, müssen wir weitermachen und uns auf‘s Neue konzentrieren. Wir sind gut, wir haben eine tolle Mannschaft, aber wir müssen dran bleiben, sonst verlieren wir morgen das Finale“, mahnte der alles überragende Mann des Siegers - der auf dem Parkett eine echte Erscheinung ist. (CL-Finale: Aalborg - Barcelona ab 18 Uhr im LIVETICKER)

Einst stand Nielsens Karriere auf der Kippe

Was einem sofort ins Auge fällt: Der Däne mit dem Babyface ist ein massiger Kerl. Bei 1,95 Metern Körpergröße wiegt er 120 Kilogramm. „Emil erfüllt nicht die Anforderungen an einen Leistungssportler“, sagte dessen Nationaltrainer Nikolaj Jacobsen gar noch im Mai 2019, weil dem in Aarhus geborenen Profi das Torhütertrikot gehörig um die Hüften spannte. Bis heute hat sich das nicht geändert, an Top-Leistungen hindert ihn das aber offenbar nicht. Nielsen ist äußerst flink, beweglich und versteht es wie nur ganz wenige andere, fast alle Würfe der Gegner zu antizipieren.

Schon zu Beginn seiner Karriere konnte Nielsen so nachhaltig auf sich aufmerksam machen, er lief bereits im zarten Alter von nur 18 Jahren in der ersten dänischen Liga auf - und wurde dort auf Anhieb zum besten Torhüter gewählt. Doch kurz darauf erkrankte er schwer an Meningitis, einer Hirnhautentzündung. Nielsen schwebte zeitweise in Lebensgefahr, kämpfte sich erst nach einer langen Auszeit zurück. Über Skjern Handbold und einen Wechsel in die französische Liga nach Nantes spielte er sich dann auf das Radar der Katalanen, wo er nun Gonzalo Pérez de Vargas den Rang abgelaufen hat.

Nielsen? „Er macht uns jeden Tag im Training fertig“

Überrascht von Nielsens brillanter Leistung im Halbfinale war Teamkollege Melvyn Richardson deshalb nicht. „Er macht uns jeden Tag im Training fertig. Er zwingt uns, immer noch besser zu werden, deswegen kann ich mir vorstellen, wie schwer es die Gegner haben, gegen ihn zu bestehen. Einen solchen Torhüter im Rücken zu haben, ist für uns natürlich eine große Hilfe“, sagte der französische Rückraum-Shooter: „Und vergessen wir nicht Gonzalo, der ebenfalls einen tollen Job gemacht hat, als er den Platz betrat.“

Wohl wahr: Pérez de Vargas, der zukünftige Kieler, setzte da an, wo Nielsen vorher aufgehört hatte. Drei Paraden in Folge bejubelte er in seinen ersten zwei Spielminuten. Und jede davon mündete in einem Konter, der auch erfolgreich abgeschlossen wurde. Bis die finale Sirene ertönte, verbuchte der Spanier sogar mehr Paraden als die beiden THW-Torhüter Samir Bellahcene und Tomas Mrkva im gesamten Match zusammen. Mehr geht nicht.