Kommentar: Bayern-Beben: Kann das Projekt Tuchel gut gehen?

Die Bayern haben sich in der kritischsten Phase des Jahres zu einem radikalen Schritt entschieden. Thomas Tuchel soll die Saison retten und den alten Glanz wieder herstellen. Aber wird das auch wirklich funktionieren?

Ein Kommentar von Moritz Piehler

Genialer Trainer, aber menschlich nicht immer einfach: Thomas Tuchel soll bei den Bayern schnellen Erfolg bringen. (Bild: Paris Saint-Germain Football/PSG via Getty Images)
Genialer Trainer, aber menschlich nicht immer einfach: Thomas Tuchel soll bei den Bayern schnellen Erfolg bringen. (Bild: Paris Saint-Germain Football/PSG via Getty Images)

Auf den ersten Blick wirkt es wie ein Hauruck-Entscheidung der Bayern. Nach nur einer knappen Niederlage feuert man den Coach, und ersetzt ihn kurz vor dem Topspiel gegen den ärgsten Konkurrenten. Dabei war Thomas Tuchel schon lange ein Wunschkandidat in München. Doch jetzt muss der Ex-Chelsea-Trainer schnell liefern.

Ist bei den Bayern genug Raum für einen Typen wie Tuchel?

Mit radikal modernen Trainer-Typen haben es die Bayern ja eher nicht so. Das Umbruch-Konzept Klinsmann scheiterte zum Beispiel krachend. Der Ex-Spieler wollte zu viel Einfluss auf die verschiedenen Bereiche des Rekordmeisters. Das könnte auch bei Thomas Tuchel zur großen Gefahr werden. Denn der penible Trainer arbeitet gerne autark und gilt nun wirklich nicht gerade als umgänglicher Typ. Davon kann man in Dortmund und auch in Chelsea ein Liedchen singen. Nachwuchsspieler ignoriert er gerne mal, Neuverpflichtungen soll er schon öfter einfach nicht erkannt haben. Und auch bei den Transfers will er meist ein Wörtchen mitreden. So etwas kommt an der Säbener Straße in der Regel nicht gut an.

Positionsgerangel beim FCB

Bei den Bayern gibt es traditionell eine Menge Alpha-Männchen und viel Positionsgerangel. Das hat sich auch unter der Führung von Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic nicht geändert und es dürfte letztlich der Grund für das doch überraschende Aus von Julian Nagelsmann gewesen sein. Bei aller spieltaktischen Genialität, die Tuchel einbringen mag, gilt er doch als jemand, der durchaus Eigenheiten und Empfindlichkeiten hat. Der raue Ton bei den Bayern könnte das schneller als gewünscht zum Vorschein bringen. Tuchels Vorteil ist, dass er erklärter Wunschkandidat von Karl-Heinz Rummenigge war. Der wollte ihn schon vor fünf Jahren holen, doch es scheiterte seinerzeit an der Nibelungentreue von Ex-Präsident Uli Hoeneß zu seinem Freund Jupp Heynckes.

Thomas Tuchel am Ziel seiner Träume. Nachdem er 2021 mit Chelsea die Champions League gewann, soll er den Erfolg nun mit dem FCB wiederholen. (Bild: Pool via REUTERS/Susana Vera)
Thomas Tuchel am Ziel seiner Träume. Nachdem er 2021 mit Chelsea die Champions League gewann, soll er den Erfolg nun mit dem FCB wiederholen. (Bild: Pool via REUTERS/Susana Vera)

Von Null auf Hundert: Der Monat der Wahrheit

Nun kommt es also im zweiten Anlauf zum Versuchsaufbau FCB-Tuchel. Dieser wird direkt im April heftig auf die Probe gestellt. Zuerst gibt es das wohl vorentscheidende Duell um die Meisterschaft am 1. April gegen Tuchels Ex-Verein Borussia Dortmund. Drei Tage danach wartet im DFB-Pokal mit dem SC Freiburg eine machbare, aber auch nicht zwingend einfache Aufgabe. Und im Viertelfinale der Champions League (11.04. / 19.04.) wartet Pep Guardiola mit Manchester City. Die letzten drei Partien verlor Tuchel als Chelsea-Coach gegen die "Skyblues" jeweils mit 0:1. Wenn es ganz übel läuft, steht Tuchel nach nur drei Wochen bereits mit dem Rücken zur Wand. Damit das nicht passiert, muss er aus den zuletzt oft - neben und auf dem Platz - nicht sehr souveränen Bayern wieder ein funktionierendes Team formen.

Hammer: FC Bayern trennt sich von Julian Nagelsmann

Dass er mit großen Stars und deren Empfindlichkeiten durchaus umgehen kann, hat Tuchel bereits bei PSG und auch bei Chelsea bewiesen. Auch, dass er weiß, wie man schnell einen Umschwung zum Erfolg hinbekommt. Schließlich führte er die "Blues" 2021 im Eiltempo auf den Champions League-Thron, nachdem er dort erst Monate zuvor übernommen hatte. Dafür wurde der 49-Jährige zum FIFA Welttrainer des Jahres gewählt. Mit PSG bliebt ihm dieser Triumph allerdings zuvor versagt und der aktuelle Absturz des FC Chelsea ins graue Tabellen-Niemandsland der Premier League hinterließ zumindest ein Fragezeichen hinter dem einstigen Wunderkind der deutschen Trainerszene.

Haben die Bayern Geduld mit Tuchel?

Erfolg schützt vor Entlassung nicht
Erfolg schützt vor Entlassung nicht. (Bild: Statista)

Die Frage ist nun, ob die Bayern mit Tuchel wirklich ein langfristiges Konzept umsetzen und dafür auch den gelegentlichen sportlichen Rückschlag in Kauf nehmen. Oder ob ihnen, wie bei Nagelsmann, dessen Vertrag eigentlich noch bis 2026 läuft, die Geduld ausgeht. Denn der Trainerwechsel kurz vorm Saison-Endspurt birgt einiges an Risiken, für Tuchel und für Bayern München. Langfristig könnte das Projekt Tuchel in München gutgehen und die Bayern auf europäischem Top-Niveau halten. Kurzfristig könnte es sie - mindestens - die Meisterschaft kosten. Für die Liga und alle Nicht-Bayern-Fans wäre das sicherlich zu verschmerzen. Für Tuchel allerdings alles andere, als ein optimaler Einstand in seine Münchener Zeit.

Im Video: Niederlage gegen Leverkusen: Fehlt dem FC Bayern die Meistergier? | 2 nach 10