Kontra für Hanning: "Eines darf man nicht vergessen"

Kontra für Hanning: "Eines darf man nicht vergessen"
Kontra für Hanning: "Eines darf man nicht vergessen"

Spielern wie Fans des THW Kiel brachte die am Sonntag endende Saison allerhand Frusterlebnisse. Im DHB-Pokal scheiterten die „Zebras“ früh an der HSG Wetzlar, auch in der Bundesliga hinkten sie den Erwartungen als Vierter weit hinterher. Das Final Four der Champions League ist nun die letzte Gelegenheit, um doch noch alles halbwegs zu retten. Am Samstag treffen die Norddeutschen im Halbfinale auf den FC Barcelona, der SC Magdeburg oder Aalborg Handbold würden in einem möglichen Endspiel warten.

Was den Optimismus am Leben hält: International kann es die Mannschaft von Filip Jicha mit den Besten der Besten aufnehmen, das hat sie auf dem Weg zu diesem so prestigeträchtigen Finalturnier in Köln bewiesen. Erst gingen die Kieler als Gruppensieger direkt ins Viertelfinale, dort fegte der viermalige Titelgewinner dann im Rückspiel Montpellier mit 31:21 aus der Halle und machte eine 30:39-Klatsche aus dem Hinspiel wett - ein unglaubliches Comeback. SPORT1 hat mit THW-Geschäftsführer Viktor Szilagyi gesprochen.

SPORT1: Herr Szilagyi, welche Gedanken gingen Ihnen durch den Kopf, als Sie am Morgen des Montpellier-Rückspiels aufgestanden sind?

Szilagyi: Mit der Zuversicht auf eine magische Nacht - die es, ganz wie erhofft, auch wurde.

Kiels irres Viertelfinale als Sinnbild der ganzen Saison

SPORT1: Wirklich?

Szilagyi: Ja. Dieser Glaube hatte sich über die Woche zwischen den beiden Spielen gegen Montpellier entwickelt. Klar, wenn man die Mannschaft direkt nach dem Hinspiel gesehen hätte, dann hätte man nicht mehr viel Glaube erkannt. Das Team war natürlich wahnsinnig enttäuscht. Aber dann ist es dem Trainerteam und dem ganzen Verein perfekt gelungen, diesen Glauben zurückzuholen. Spätestens, als die Jungs eingelaufen sind und noch die Unterstützung unserer Fans gespürt haben, waren wieder positiv gestimmt.

SPORT1: Mit dem Begriff des „Wunders“ sollte man im Sport ja vorsichtig hantieren. Hier trifft er aber voll und ganz zu, oder?

Szilagyi: Absolut, es wurde eben diese magische Nacht. Wobei wir in unserer Analyse auch einbeziehen müssen, warum es eigentlich nötig war, eine magische Nacht zu brauchen (lacht). Da gehören immer zwei Spiele dazu. Ich finde, dieses Viertelfinale sagt vieles über unsere gesamte Saison mit all den Aufs und Abs aus. Wir sind voller Vorfreude hier, aber es wissen noch nicht alle, was von uns zu erwarten ist.

SPORT1: Borussia Dortmund hatte am vergangenen Wochenende eine ähnliche Situation. Ist die Champions League die einzige Chance, die verkorkste Saison noch zu retten? Immerhin droht die erste titellose Saison seit 2017/18.

Szilagyi: Wir sollten das nicht von diesem Final Four abhängig machen. Es ist ein anderer Wettbewerb, in dem wir bisher großartig aufgetreten sind und zu Recht unter den vier besten Mannschaften sind. Natürlich werden wir diese Saison sehr genau analysieren müssen, aber das wird unabhängig vom Ausgang hier in Köln passieren.

„Wir wollen Barcelona überraschen“

SPORT1: Unzufriedener Vierter in der Bundesliga, im größtmöglichen Final Four in Europa - was sind die Gründe für diese enorme Diskrepanz?

Szilagyi: Uns ist es nur in der Champions League gelungen, konstant die Leistung auf die Platte zu bringen. Es gibt sicherlich mehrere Gründe dafür. Eine richtige Erklärung fehlt mir aber auch noch. Vor der Saison hatten wir uns so viel vorgenommen, eine unterschiedliche Gewichtung der drei Wettbewerbe gab es nie. Wir wollten überall Vollgas geben, das ist uns nicht immer gelungen.

SPORT1: Barcelona ist ohne Niederlage durch die heimische Liga marschiert und hat Paris Saint-Germain im Viertelfinale nahezu mühelos ausgeschaltet. Wie will Kiel die spanischen Titelsammler stoppen?

Szilagyi: Sie sind es in ihrer nationalen Liga gewohnt, dass ihre Systeme immer funktionieren. Deswegen wollen wir Barcelona überraschen und vor neue Aufgaben stellen, das muss unsere Chance sein. Wir haben deutlich mehr Erfahrungen mit knappen Spielen als sie, dazu liegt der Druck nicht auf unserer Seite. Barcelona definiert ihre gesamte Saison über das Abschneiden bei den Final Fours. Wir müssen nicht nur einen Glauben entwickeln, sondern das auch ausstrahlen. Wir müssen sehr selbstbewusst auftreten. Es bringt nichts, wenn wir passiv abwarten, was passiert. Dafür ist Barcelona zu gut in Form.

SPORT1: Gonzalo Pérez de Vargas, Barcelonas Torwart, kommt in einem Jahr nach Kiel. Da hätte man ihn doch mal fragen können, ob er es etwas lockerer angehen lässt ...

Szilagyi: Ich wünsche ihm ein gutes Final Four, aber nicht unbedingt gegen uns (lacht). Wir sind alle Profis, der Umgang ist sehr respektvoll. Gonzalo wird sicherlich alles dafür tun, dass sein Verein erfolgreich ist - und das gleiche bald für uns.

THW-Boss lobt deutsche Klubs

SPORT1: In der Bundesliga ist der THW fast immer der große Favorit, gegen Barcelona auf dem Papier nur Außenseiter. Es ist ja oft so, dass Underdogs in Köln eine besondere Rolle spielen.

Szilagyi: Mit solchen Themen um Außenseiter und Favorit befassen wir uns eigentlich gar nicht, das ist ein mediales Ding. Trotzdem brauchen wir nicht drum herumreden, dass die bisherigen Ergebnisse ein deutliches Bild vermitteln. Gegen Magdeburg haben wir beide Spiele in der Liga verloren, gegen Aalborg nur einen Punkt in der Gruppenphase geholt und gegen Barcelona noch gar nicht gespielt. Das zeigt schon, dass andere Teams die Favoriten sind. Für den THW ist das etwas ungewohnt, als Außenseiter anzureisen, aber auch eine Möglichkeit, die wir nutzen sollten. Von uns erwartet man dieses Jahr nicht so viel.

SPORT1: Erstmals seit zehn Jahren ist die Bundesliga wieder mit zwei Vereinen in Köln dabei - Zufall oder kein Zufall?

Szilagyi: Das spricht definitiv für den deutschen Handball und die Bundesliga. Es ist ja nicht nur das Final Four der Champions League, sondern auch das Final Four der European League, bei dem Deutschland sogar drei Teams gestellt hat. Wenn man insgesamt acht Final-Four-Teilnehmer hat und davon fünf aus Deutschland kommen, dann zeigt das eindrucksvoll, wie stark die Bundesliga ist.

„Das ist ein klassisches All-in-Wochenende“

SPORT1: Bob Hanning hat im März gegenüber dem kicker gesagt: „Der SC Magdeburg ist das Maß aller Dinge, wie es früher der THW Kiel war. Sie haben den Handball neu geprägt und in eine neue Dimension geführt.“ Stimmen Sie ihm zu?

Szilagyi: Es ist nicht unser Ziel, zu zeigen, dass Bob Hanning Unrecht hat. Magdeburg hat es total verdient, gelobt zu werden. Sie haben sich das, was sie jetzt gerade haben, über viele Jahre aufgebaut. Ob man dieses Lob immer direkt mit etwas Negativem bei einem anderen Verein verbinden muss, ist hier die andere Frage. Eines darf man nämlich nicht vergessen: Wir waren letztes Jahr noch Deutscher Meister. Jetzt haben wir eine Saison, die unseren Erwartungen nicht entspricht, wir mit unserem Kader aber auch in einem Umbruch sind. Deswegen geht es darum, das so schnell wie möglich zu vollziehen und wieder angreifen zu können - dann wird auch Bob Hanning das womöglich honorieren.

SPORT1: Und zu guter Letzt die Frage aller Fragen: Wer gewinnt das Final Four?

Szilagyi: Ich wage keine Aussage dazu zu treffen. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass alle vier Mannschaften, die sich qualifiziert haben, über die gleichen Chancen verfügen. Wir werden sehr knappe Spiele erleben. Jeder, der die Champions League regelmäßig verfolgt, hat schon alles gesehen. Hier wurden große Rückstände aufgeholt. Hier sind Mannschaften, mit denen man nicht gerechnet hat, mit dem Pokal nach Hause gefahren. Es ist das Ende der Saison, da gibt es keinen Grund, jemanden zu schonen oder etwas aufzusparen. Das ist ein klassisches All-in-Wochenende.