Freier Eintritt? "Werden einige Klubs nicht mitmachen können"

Kostenlos ins Stadion? Viele Fans von Fortuna Düsseldorf werden zunächst an einen schlechten Scherz gedacht haben.

Der Zweitligist plant eine Revolution im Fußball: Im Pilotprojekt „Fortuna für alle“ soll es in der kommenden Saison bei drei Spielen auch freien Eintritt geben.

Willi Lemke hat einen ähnlichen Versuch vor mehr als drei Jahrzehnten schon bei Werder Bremen gewagt: Das Weserstadion war dank stark reduzierter Tickets ausverkauft - ein Sponsor bezuschusste das Projekt.

Der 76-Jährige spricht im SPORT1-Interview über den Plan der Düsseldorfer und blickt zurück auf Werders Versuch 1989.

Kuriose Idee angelehnt an Werder-Spiel von 1989

SPORT1: Herr Lemke, was war Ihr erster Gedanke, als Sie vom Fortuna-Projekt gehört haben?

Willi Lemke: Ich habe sofort an unser verkauftes Spiel 1989 gedacht, das wir mit Hilfe des Autoherstellers Citroën durchgeführt haben. Ich hatte sie an dem Spieltag als Exklusiv-Partner gewonnen. Der Hintergrund war, dass wir das Weserstadion gegen den damaligen Tabellen-Letzten Waldhof Mannheim gut füllen wollten. Das wäre unter normalen Bedingungen schwierig gewesen. Also habe ich mir etwas Besonderes einfallen lassen. Die Preise für die Tickets wurden drastisch gesenkt, es war nicht umsonst.

Als ich das jetzt mit der Fortuna gelesen habe, habe ich natürlich erstmal eine WhatsApp an Klaus Allofs geschickt (früher Werder-Manager, aktuell Sportvorstand von Fortuna Düsseldorf, d. Red.) und ihm gratuliert zu dieser Idee und für den Mut, das durchzuführen. Ich habe ihm viel Erfolg gewünscht. Ganz problemlos wird das nicht gehen.

SPORT1: Gab es damals bei Ihrer Aktion Probleme?

Lemke: Es gab Kritik, denn ganz glücklich war man bei Waldhof Mannheim nicht, dass wir ein ausverkauftes Haus hatten. Natürlich ist man als Auswärts-Team nicht gerade daran interessiert, dass ein Stadion beim Gegner ausverkauft ist.

Fortuna muss „das Echo aushalten“

SPORT1: Besteht denn die Gefahr, dass der Fußball durch dieses Pilotprojekt der Fortuna seinen Wert verliert?

Lemke: Nein. Grundsätzlich nicht. Die Verträge mit den Sponsoren kenne ich natürlich nicht. Es gehört wirklich eine Menge Mut dazu, so etwas anzugehen und durchzuziehen. Und das Echo auch auszuhalten. Es soll tatsächlich komplett kostenlos sein. Das wird in der darauffolgenden Saison auch den einen oder anderen Dauerkarten-Inhaber dazu bringen, möglicherweise seine Karte nicht mehr zu kaufen.

SPORT1: Wie war das damals bei Ihnen mit den Dauerkarten-Besitzern?

Lemke: Bei meinem Modell hatten die Dauerkarteninhaber ihre Tickets schon gekauft, waren aber nicht sauer, weil Leute billig oder mit geschenkten Karten reingekommen sind. Aber geschenkte Tickets hat jeder Verein bei jedem Spiel - für karitative Zwecke. Bei Heimspielen gegen die Bayern haben wir natürlich keine Freikarten verschenkt. Das kam für uns nicht infrage.

Jetzt bei dem Pilotprojekt der Fortuna wird es noch viele Fragezeichen geben. Ich dachte, es wären schon mehr Spiele verkauft, jetzt sind es drei. Ich habe damals Sponsoren nur für ein Heimspiel gewinnen können, weil danach der Drops gelutscht war. Das war damals eine Sensation, dass es überhaupt geklappt hat. Wir haben es damals sogar in die Tagesthemen geschafft. Für Citroën war das eine tolle, preiswerte Aktion.

Fluch oder Segen für Fortuna Düsseldorf?

SPORT1: Ist es denn eher Fluch oder Segen für die Fortuna? Kann man dem Klubchef der Düsseldorfer nur gratulieren, weil nur selten das Stadion ausverkauft ist?

Lemke: Das ist genau das Problem. Er will das Stadion füllen und wird es voll kriegen. Diese drei Spiele werden ausverkauft sein. Wenn die Düsseldorfer clever sind, haben sie den Sponsoren nicht die Topspiele wie zum Beispiel gegen den HSV gegeben, wenn er nicht aufsteigen sollte. Ich denke, dass sie eher Partien gegen Sandhausen vermarkten wollen, ohne dem Verein etwas Böses zu wollen. Ich werde mir genau anschauen, wie das alles organisiert wird. Es wird auf jeden Fall spannend.

SPORT1: Damals war es in Bremen so ein bisschen Party für alle, oder?

Lemke: Das kann man so sehen, ich denke gerne daran zurück. Das Resultat dieser Aktion war total klasse. Wir hatten das Doppelte eingenommen. Ich hatte immer eine Kalkulation gemacht und wir hatten mit 50.000 DM an den Tageskassen als Umsatz kalkuliert. Das waren aber dann 100.000 DM.

SPORT1: Kommen denn in Düsseldorf dann auch diejenigen, die mit Fußball eigentlich nichts am Hut haben?

Lemke: Das wäre gar nicht schlecht. Dann könnte man eine neue Klientel mit einem Stadion-Besuch locken. Ich weiß, dass der erste Stadion-Besuch die Leute immer anfixt, also süchtig macht auf dieses gemeinschaftliche Erlebnis. Die ganzen Emotionen kann man nicht am Fernseher erleben. Nun küsst dir einer die Glatze, den du gar nicht kennst. (lacht)

SPORT1: Die wirtschaftliche Bedeutung der Spieleinnahmen nimmt im Fußball kontinuierlich ab. Früher finanzierten die Vereine ihr Budget zu 80 Prozent aus Eintrittskarten, heute liegt der Anteil bei vielen Klubs bei zehn bis 20 Prozent.

Lemke: Das ist korrekt. Solange wir in Bremen ausverkaufte Häuser haben, mache ich mir keine Sorgen. Wir haben ein kleines, attraktives Stadion und bei uns war es immer so, dass wir keine Angst haben mussten, wenn es am Wochenende regnet. Wir verkauften nämlich viele Dauerkarten. In Berlin oder in Düsseldorf müssen die Verantwortlichen befürchten, dass die Leute mittags in den Himmel schauen und sagen ‚Es könnte regnen, da gehe ich nicht ins Stadion.‘ In Bremen ist das Stadion fast immer ausverkauft.

Deshalb ist es auch wichtig, solche Aktionen wie jetzt bei der Fortuna zu unternehmen. In Düsseldorf steht ein schönes, riesiges WM-Stadion und das muss gefüllt werden. Selbst bei 30.000 Zuschauern wirkt es ja noch leer. Das ist ein ganz wichtiger Faktor, dass sie jetzt diesen neuen Weg mal beschreiten wollen.

„Einen Euro müssen wir dafür schon nehmen“

SPORT1: Aber was nichts kostet, ist nichts wert.

Lemke: Das stimmt. Deshalb sagen wir auch bei vielen Dingen ‚Einen Euro müssen wir dafür schon nehmen‘. Obwohl der Einkaufswert 1,10 Euro beträgt. Wenn du etwas verschenkst, bleibt es auch liegen. Ich würde aber nie eine Theater- oder Opernkarte verfallen lassen, für die ich 50 oder 80 Euro bezahlt habe.

Wenn ich die geschenkt bekommen hätte, kann man schon eher auf den Besuch verzichten. Dann ist es keine Katastrophe. Das ist ein Argument, mit dem man sich in Düsseldorf auseinandersetzen muss. Nicht auszudenken, die Fortuna verschenkt 60.000 Karten und es wird nur halb voll. Blamabler geht es dann nicht.

SPORT1: Droht nicht auch die Gefahr, dass keine Stimmung aufkommt, wenn die Kundschaft kommt, die sonst nicht zum Fußball geht?

Lemke: Nein. Je mehr Leute kommen, umso mehr Stimmung entsteht. Da wird jeder mitgerissen. Der harte Kern der Fortuna-Fans wird ja ohnehin im Stadion sein. Die reißen die anderen mit.

SPORT1: Seit die 2. Liga wieder in Free-TV läuft, nehmen mehr Leute als nur die Fans der jeweiligen Klubs an den Spielen teil. Da ist ein kleiner Boom entstanden.

Lemke: Absolut. Früher habe ich mich nie für die 2. Liga interessiert. Inzwischen schaue ich mir Freitagabend Spiele an oder auch das Topspiel am Samstagabend bei SPORT1. Weil sie mein Interesse geweckt haben durch das eine Jahr, das wir in der 2. Liga dort spielen mussten.

„Ob sich das durchsetzt, steht auf einem ganz anderen Blatt“

SPORT1: Kann sich das Pilotprojekt der Düsseldorfer durchsetzen?

Lemke: Ich warte noch auf Antwort von Klaus Allofs. Wahrscheinlich wird er mit etlichen WhatsApp-Nachrichten bombardiert. Ich wollte ihm nur signalisieren, dass ich diese Aktion sehr gut finde und mutig. Ob sich das durchsetzt, steht auf einem ganz anderen Blatt. Es gibt ja Vereine, die werden keine großen Sponsoren finden, die bereit sind, mal eben rund 45 Millionen Euro auf den Tisch zu legen.

Das ist schon eine große Hausnummer. Da werden einige Klubs nicht mitmachen können. Düsseldorf hat eine super Infrastruktur und ist mit einer der reichsten Städte in Deutschland. Da kann man bei den Sponsoren ordentlich Geld einsammeln. In Zwickau oder Aue wird das schon schwieriger. Auch hier will ich den Vereinen nichts Böses.

„Das ist ganz schön mutig von der Fortuna“

SPORT1: Kommt nicht auch Neid auf bei den kleinen Klubs?

Lemke: Ich hoffe nicht. Die Fortuna ist für mich ein Traditionsverein. Wenn das jetzt in Hoffenheim oder in Leipzig gemacht werden würde, dann wäre die Kritik möglicherweise sehr stark. Bei der Fortuna kann ich mir das nicht vorstellen. Natürlich wird das diskutiert und deshalb betone ich nochmal: Das ist ganz schön mutig von der Fortuna.

SPORT1: Glauben Sie, dass die Ultras jetzt auf die Barrikaden gehen, die ja kein Freund von Kommerzialisierung sind?

Lemke: Das glaube ich nicht. Sie werden es doch auch gut finden, wenn ihr Stadion voll und nicht nur halb leer ist. Und wenn die Ultras umsonst kommen dürfen, wird das sicher auch dankend angenommen. Im Winter- und Sommerschlussverkauf fallen die Leute auch übereinander her. Es ist ein spannendes Projekt, was da jetzt gestartet wird. Man muss versuchen, alle mitzunehmen. Ein volles Stadion ist besser als ein halb volles.