Medien: Möglicher Doping-Vertuschungsfall vor Tokio 2021

WADA-Präsident Witold Banka (Fabrice COFFRINI)
WADA-Präsident Witold Banka (Fabrice COFFRINI)

Eine gemeinsame Recherche der ARD-Dopingredaktion und der New York Times stellt die Glaubwürdigkeit von Chinas Anti-Doping-System und die Wächterfunktion der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) infrage. Demnach wurden 23 chinesische Spitzenschwimmer vor den Olympischen Sommerspielen 2021 positiv getestet, allerdings nicht sanktioniert. Drei von ihnen gewannen in Tokio Olympiagold. Die WADA sprach in einer Reaktion am Samstag von "irreführenden und möglicherweise diffamierenden Medienberichten", bestätigte allerdings positive Befunde.

Die ARD-Dopingreaktion beruft sich auf einen chinesischen Untersuchungsbericht, welcher die Grundlage für die Recherche zur Dokumentation "Die Akte China" bildet. Der Bericht sei offiziell von der chinesischen Anti-Doping-Agentur CHINADA verfasst worden, als untersuchende Behörde sei aber das Ministerium für öffentliche Sicherheit angegeben, ein Arm des chinesischen Geheimdienstes. ARD und New York Times ließen das Dokument nach eigenen Angaben durch mehrere Quellen verifizieren.

Dem Bericht zufolge wurden Anfang 2021 23 der besten chinesischen Schwimmerinnen und Schwimmer bei einem Wettkampf in Shijiazhuang positiv auf das verbotene Herzmittel Trimetazidin getestet, die Substanz, wegen der die russische Eiskunstläuferin Kamila Walijewa im Januar für vier Jahre gesperrt wurde. 13 der mutmaßlich positiv getesteten Chinesen starteten dennoch bei Olympia 2021 und gewannen Medaillen in fünf Wettbewerben.

Dem Bericht zufolge seien die positiven Fälle durch Kontamination in einer Hotelküche zustande gekommen, die verbotene Substanz ohne Wissen der Sportler in deren Körper gelangt und die positiven Fälle im März 2021 korrekt in das offizielle WADA-Meldesystem eingegeben worden. Anstatt einen offiziellen Anti-Doping-Regelverstoß zu melden, habe jedoch die interne chinesische Untersuchung stattgefunden. Steht ein Regelverstoß im Raum, greift normalerweise umgehend eine vorläufige Sperre.

Die WADA verzichtete laut der Recherchen auf eine eigene Untersuchung und teilte der ARD mit, sie habe auf Basis der Analysedaten "keine Grundlage" gesehen, die "Erklärungen der Kontamination anzufechten" und verwies unter anderem auf niedrige Konzentrationen und schwankende Werte.

Am Samstag erläuterte die WADA ihr Vorgehen. Aufgrund der "extremen Einschränkungen durch die COVID-bedingte Abriegelung" sei es den Wissenschaftlern und Ermittlern der Agentur "nicht möglich" gewesen, ihre Untersuchungen vor Ort durchzuführen. Man habe aber unter anderem "unabhängige Experten" konsultiert, um die Kontaminations-Theorie zu überprüfen. Die WADA sei schließlich zu dem Schluss gekommen, "dass sie nicht in der Lage war, die Möglichkeit einer Kontamination als Quelle von Trimetazidin zu widerlegen".

Travis Tygart, Chef der US-Anti-Doping-Agentur USADA, hatte gegenüber der ARD-Dopingredaktion von "schockierenden Enthüllungen" und einem "Messer im Rücken aller sauberen Athleten" gesprochen. Der Fall rieche "nach Vertuschung auf den höchsten Ebenen der Welt-Anti-Doping-Agentur".

In ihrem Statement bemerkte die WADA, dass die USADA der Organisation im April 2023 einen Hinweis gegeben habe, dass Trimetazidin-Fälle verheimlicht worden seien. Dies bestritt die WADA, die Fälle seien ja bekannt gewesen. Man habe weiter angeboten, "die USADA-Quelle zu befragen, doch wurde dieses Angebot nicht angenommen".

Der WADA-Direktor für Nachrichtendienste und Ermittlungen, Günter Younger, hielt fest: "Die WADA hat sich in jeder Phase an die üblichen Verfahren gehalten und ist jedem Hinweis und jeder Spur in dieser Angelegenheit sorgfältig nachgegangen."