Der neue FC Bayern des Handballs?

Der neue FC Bayern des Handballs?
Der neue FC Bayern des Handballs?

„Sehr, sehr oft“, ist Magdeburgs Linksaußen Lukas Mertens dieses „komische Wort“ schon zu Ohren gekommen, seit er im Kölner Radisson Blu eingecheckt hat. Jenes Hotel beherbergt alle Klubs, die das prestigeträchtige Final Four der Champions League erreicht haben. Dennoch würde der 28-Jährige, so verriet er gegenüber SPORT1, diese andererseits auch stolze Bezeichnung „gerne noch öfter hören und natürlich annehmen“, sollte der Fall eintreten und die Bördestädter tatsächlich Geschichte schreiben.

Es geht um, na klar, das Quadruple. Der Triumph in vier verschiedenen Wettbewerben innerhalb einer Saison ist in der langen Historie des deutschen Handballs noch keiner Mannschaft gelungen - was gewiss seine guten Gründe hat. Neben all den planbaren Faktoren hängt der maximale Erfolg schließlich von vielen Zufällen und Glücksumständen wie Entscheidungen der Schiedsrichter oder Verletzungen ab. Spiel für Spiel gilt das. Halbzeit für Halbzeit. Umso verblüffender, dass der SCM das erste Aufgebot zu stellen scheint, welches völlig resistent gegen jegliche Arten der Unwägbarkeiten ist.

Ohne Schwächephase fegte der ostdeutsche Traditionsverein bisher über die nationale wie internationale Konkurrenz hinweg, stresste seine Gegner permanent durch einen beinahe in Perfektion fabrizierten „Heavy-Metal-Handball“ und bot stets viel Spektakel. Den DHB-Pokal, die Meisterschaft und den Super Globe haben sie so in dieser Saison schon gewonnen. Jetzt sollen für einen perfekten Abschluss aber alle guten Dinge nicht drei bleiben, sondern vier werden. Sie selbst haben es in der Hand, ihren Vorjahreserfolg in der Königsklasse zu wiederholen und das Undenkbare zu schaffen.

Mertens warnt vor Handball-Legenden

Am Wochenende wird es ernst: Da trommelt das Final-Four-Turnier die vier besten europäischen Klubvertretungen zusammen. Auf dem Papier sind die Magdeburger favorisiert und in bestechender Form, bereits am Samstag bekommen sie es im Halbfinale aber mit einer nicht zu unterschätzenden Mannschaft, die „mit Stars gespickt“ ist, zu tun: Aalborg Handbold. „Die werden uns richtig Probleme bereiten“, mahnte Mertens und verwies auf langjährige Größen des Sports wie Torhüter Niklas Landin und Mikkel Hansen. Beides „Go-to-Guys“, welche die Dänen in ihren Reihen haben.

Erst einmal war der skandinavische Spitzenklub in Köln dabei, 2021 mussten sie sich im Finale Barcelona geschlagen geben. Mertens und seine Magdeburger wollen nun dafür sorgen, dass für Aalborg diesmal früher Schluss ist - und das Halbfinale selbst als Sprungbrett nutzen. Denn gelänge am Ende wieder der große Wurf, wäre der SCM, im letzten Jahr noch als Außenseiter ins Rheinland gereist, endgültig zum derzeit erfolgreichsten Handballverein der Welt aufgestiegen - was die Hierarchie nicht nur in Deutschland umschreiben würde.

„Der SCM hat sich mittlerweile viel erarbeitet“

Lange galt bekanntlich eine simple Faustformel: „Der THW Kiel ist der FC Bayern des Handballs.“ Mit 23 Titeln sind die Norddeutschen unangefochtener Rekordmeister, 15 Mal holten sie die Meisterschale alleine in diesem Jahrtausend an die Förde. Viele Experten wie Bob Hanning sehen allerdings nicht erst seit dieser Saison eine Wachablösung. „Magdeburg ist das Maß aller Dinge, wie es früher der THW Kiel war. Sie haben den Handball neu geprägt und in eine neue Dimension geführt“, sagte der Geschäftsführer der Füchse Berlin, also eigentlich einer der Hauptrivalen, bereits im März.

Mertens gab sich auf eine entsprechende Nachfrage noch bescheiden und betonte, dass ihm zur Zementierung einer neuen Rangordnung ein gutes Stück fehle. „Man muss ehrlich sein. Es ist nicht das, was der THW Kiel oder der FC Bayern in den vergangenen 20 Jahren geleistet haben“, antwortete der deutsche Nationalspieler, fügte aber hinzu: „Der SCM hat sich mittlerweile viel erarbeitet, vor allem in den letzten fünf Jahren. Wir wollen das weiter aufrechterhalten, dafür legen wir gerade den Grundstein.“

Bennet Wiegert: Der Vater des Erfolgs

Die größte Mitwirkung an all dem hat zweifellos der Trainer: Bennet Wiegert. Anfang des Jahrtausends stand „Benno“, wie ihn alle rufen, noch selbst als aktiver Spieler auf der Platte. Er bekam den Handball von Papa Ingolf in die Wiege gelegt und ist ein echtes Kind der Stadt. Nach seinem Karriereende war der heute 42-Jährige zunächst als Jugendkoordinator tätig, ehe er 2015 die Seitenlinie des Profi-Teams wechselte und einen schlafenden Riesen als Übungsleiter in einen gierigen Titelhamster verwandelte. Das gilt vor allem für die Zeit nach der Corona-Krise.

Seit der SCM 2021 die European League gewonnen hat, geht es an der Elbe rasant aufwärts. Drei Klub-Weltmeisterschaften in Folge haben sie inzwischen gefeiert, holten erstmals nach über zwei Jahrzehnten wieder die Deutsche Meisterschaft und im Vorjahr auch die Champions League. „Benno hat seinen Plan, er hat seine Philosophie, die er seit Jahren durchdrückt und damit große Spuren hinterlassen hat. Ich bin stolz, ein Teil davon sein zu dürfen. Er hat hier ein Mannschaftsgefüge gestaltet, das extrem stark ist. Wenn jemand einen schlechten Tag erwischt oder mal verletzt ist, kommt ein adäquater Ersatz von der Bank rein“, schilderte Mertens.

„Wir haben 17 oder 18 Spieler im Kader, da gibt es keinen Qualitätsverlust. Da hinzukommen ist sehr stark. Nicht nur sportlich, auch wirtschaftlich. Der SCM hat sich bravourös entwickelt“, urteilte Mertens über die Arbeit seines Trainers, die jetzt vielleicht in einem historischen Höhepunkt gipfelt. Eine Titelverteidigung hat es beim großen Final Four übrigens erst einmal gegeben. 2022 vom ruhmreichen FC Barcelona, der wie der THW Kiel in einem möglichen Finale warten könnte. Mertens sagte zur Aussicht, die Trophäe erneut mitzunehmen, nur: „Das wäre schon geil.“