Ihre Tränen sind unvergessen - nun kehrt sie zurück

Ihre Tränen sind unvergessen - nun kehrt sie zurück
Ihre Tränen sind unvergessen - nun kehrt sie zurück

Es war der Lauf ihres Lebens, den Lea Meyer vor 20 Monaten im Münchner Olympiastadion auf die Tartanbahn hinlegte. So jedenfalls brüllte es ARD-Kommentator Ralf Scholt an diesem verregneten Spätsommerabend ins Mikrofon.

Von der ohrenbetäubenden Stimmung der deutschen Fans getragen, stürmte die Hindernisläuferin hinter der Albanerin Luiza Gega sensationell auf Platz 2 und krönte ihre wilde Achterbahnfahrt des Jahres 2022, die bei der WM in Eugene mit einem kapitalen Bauchklatscher im Wassergraben ­begonnen hatte.

Unvergessen bleiben aber vor allem ihre Tränen, die Meyer nach dem Gewinn der Silbermedaille live i­­­m TV vergoss, als sie ihres verstorbenen Trainers Henning von Papen gedachte und ihm die Plakette widmete.

„Zu diesem Zeitpunkt hat es sich so angefühlt, als wäre das erst der Startschuss für den nächsten Schritt, der noch kommen kann“, sagt die heute 26-Jährige im Gespräch mit SPORT1. „Ich hatte nicht das Gefühl, dass das alles war, was ich erreichen kann.“

EM-Heldin Meyer: „Ich hätte mir das auch anders gewünscht“

Der nächste Schritt ließ allerdings auf sich warten und ist bis zum heutigen Zeitpunkt ausgeblieben. Zwischen ihrem Silber-Coup von München und der anstehenden EM in Rom liegen beinahe zwei Jahre, doch Meyer wurde durch einige Verletzungen ausgebremst und geriet ein bisschen in Vergessenheit.

„Ich hätte mir das auch anders gewünscht, zumindest die Häufigkeit der Auftritte“, sagt die blonde Athletin nun. „Ich habe immer mal wieder versucht zurückzukommen, aber gerade die letzten elf Monate hat sich alles länger hingezogen als am Anfang gedacht.“

Vor allem eine Sehnenentzündung im Oberschenkel machte ihr zu schaffen und verhinderte unter anderem ihre Teilnahme bei der WM 2023 in Budapest. „Viel kam aus dem Rücken und der Bandscheibe – aber geäußert hat es sich hauptsächlich im Oberschenkel.“

Die quälend lange Zeit zu überstehen, half ihr, an das Rennen in München zurückzudenken. „Der Lauf dient definitiv als Motivation, immer weiterzumachen und hat mich in der schweren Zeit angetrieben. Es war meine erste lange Verletzung, aber genau für diese Momente wie in München lohnt es sich, noch ein bisschen mehr Geduld zu haben.“

Trainerwechsel und Umzug nach Boston

Das Video ihres Laufes konnte sich Meyer dennoch erstmal nicht anschauen, zu sehr wühlten sie die Ereignisse von damals auf. „Tatsächlich habe ich es das erste Mal, glaube ich, nach vier oder fünf Monaten angesehen. In Summe vielleicht fünfmal. Wenn ich es mir jetzt noch anschaue, dann ist es pure Freude, aber es macht mich auch sehr emotional.“

Als es endlich wieder aufwärts ging, entschloss sie sich für einen Trainerwechsel – und den Umzug an die Ostküste der USA. In ihrer Trainingsgruppe „New Balance Boston“ wird sie nun von Marc Coogan gecoacht „Bislang war ich nur übergangsweise in Boston, mein kompletter Umzug in die USA findet wahrscheinlich im Herbst statt“, verrät Meyer.

Die lange Verletzungspause, dazu noch ein neuer Trainer – die gebürtige Niedersächsin hatte mit zahlreichen Unwägbarkeiten zu kämpfen, als sie vor einigen Wochen zum ersten Mal wieder an der Startlinie stand.

„Es ist für viele wahrscheinlich ein bisschen fragwürdig, wie man sich so kurz vor Olympischen Spielen entscheiden kann, einen Standort- und Trainerwechsel durchzuführen“, sagt Meyer. „Dadurch ist vieles neu, was es für mich manchmal schwierig macht, mich selbst einzuschätzen.“

“... dann kommt da noch der Wassergraben, wie ging das noch mal?“

Noch dazu hatte sie es im Training weitestgehend vermieden, über Hindernisse und in Wassergräben zu springen.

„Deshalb wusste ich nicht, wie mein Körper auf diese Wettkampfbelastung reagiert“, sagt Meyer. „Ich wusste, dass ich fit bin, aber in dem Moment, wenn man da steht und weiß, ‚okay, jetzt muss ich noch ein paar Hindernisse überwinden und dann kommt da noch der Wassergraben, wie ging das noch mal?‘, dann ist man schon nervös.“

Bereits nach einer Runde sei die Nervosität gewichen, erinnert sie sich. „Es war dann so, wie ich es mir erhofft hatte: In dem Moment, als der Startschuss fiel, sind alle Sorgen und Ängste weggefallen und nach 400 Metern wusste ich auch wieder, wie es geht und kam immer mehr rein. Das hat sich dann schon fast wieder wie gewohnt angefühlt.“

In 9:22,51 Minuten unterbot Meyer auf Anhieb die Olympianorm und sorgte gleich in ihrem ersten Hindernisrennen des Jahres für ein Ausrufezeichen – und große Erleichterung.

Dabei stellt sie klar, dass die am Freitag beginnenden Titelkämpfe in der italienischen Hauptstadt nur ein Etappenziel Richtung Olympia darstellen.

Comeback von Leichtathletik-Star Gesa Krause? „Es ist alles Wahnsinn“

„Ich muss ganz klar sagen, dass das Hauptziel und der Fokus auf Paris liegt“, sagt Meyer. „Es ist definitiv nicht so, dass Rom für mich der Höhepunkt darstellt. Ich bin der festen Überzeugung, dass ich in zwei Monaten noch ein Stück besser drauf bin als jetzt. Nichtsdestotrotz ist es eine Meisterschaft, und ich freue mich drauf.“

Bereits am Freitagmittag (ab 13.05 Uhr) wird Meyer bei den Vorläufen über 3000 Meter Hindernis an der Startlinie stehen – zusammen mit Olivia Gürth und Gesa Krause.

Dass sich Krause nach ihrer Babypause schnell wieder in Topform zurückmeldete, nötigt Meyer jede Menge Respekt ab, auch wenn sie nicht daran zweifelte.

„Es ist alles Wahnsinn. Allerdings bin ich nicht überrascht“, sagt Meyer. „Ich weiß, wie weh Gesa das damals getan hat, dass sie nicht bei der EM 2022 in München starten konnte. Von daher freut es mich sehr, dass sie so schnell zurückgekommen ist.“

Nun wird Lea Meyer zusammen mit Gesa Krause und Olivia Gürth um die Medaillen laufen und mal wieder auf den Lauf ihres Lebens hoffen - als verspäteter Startschuss für den nächsten Schritt.