Wegweisendes Urteil im Fall Schlittig?

Wegweisendes Urteil im Fall Schlittig?
Wegweisendes Urteil im Fall Schlittig?

Die deutsche Gewichtheberin Vicky Schlittig ist durch ein möglicherweise richtungweisendes Gerichtsurteil vom Vorwurf des Dopingmissbrauchs freigesprochen worden. Das teilte das Amtsgericht Chemnitz am Dienstag auf SID-Anfrage mit. Demnach habe auch die Staatsanwaltschaft diesen Freispruch beantragt, „weil die Umstände der Aufnahme der verbotenen Substanz nicht geklärt werden konnten und die Angeklagte aufgrund der geringen aufgenommenen Menge keinen Vorteil hatte“.

Schlittigs Fall ist bemerkenswert, weil er das Spannungsfeld zwischen Straf- und Sportrecht verdeutlicht und das im Sportrecht übliche Prinzip der Beweislastumkehr infrage stellt. 2021 war die Athletin bei der Junioren-EM in Finnland positiv auf das Steroid Oral-Turinabol getestet worden, sie bestreitet aber, gedopt zu haben - eine Verabreichung des Mittels von außen scheint dabei möglich.

Wie die ARD-Sportschau berichtet, entlaste Schlittig ein vom Gericht in Auftrag gegebenes Gutachten eines Kontrolllabors in Kreischa bei Dresden. Zudem sei auch der niederländische Experte Douwe De Boer zu der Einschätzung gekommen, dass Schlittig sich das Mittel wohl nicht selbst verabreicht habe. Er stütze sich dabei auch auf Erkenntnisse eines Experiments aus der ARD-Doku "Geheimsache Doping: Schuldig", bei dem bewiesen worden war, dass positive Dopingtests auch durch Hautkontakt mit Dritten hervorgerufen werden können.

Der Freispruch vor dem Amtsgericht ist dabei allerdings nur ein kleiner Schritt für Schlittig: Vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS steht noch die sportrechtliche Entscheidung an. Straf- und Sportrecht unterscheiden sich darin, dass der oder die Beschuldigte vor dem CAS die eigene Unschuld beweisen muss. Im Fall einer möglichen Berührung durch eine Drittperson mit Manipulationsabsicht gestaltet sich dieser Nachweis jedoch schwierig. Vor dem Hintergrund des Schlittig-Falls stellt sich daher die Frage nach der zukünftigen Haltbarkeit dieses Grundsatzes der Beweislastumkehr.

Die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) hält derweil wenig davon, an diesem Schuldprinzip zu rütteln. "Wären die Regeln anders, könnte jeder sagen: 'Ich weiß es nicht. Vielleicht hat mir jemand was gespritzt. Ich habe keine Ahnung, also trifft mich keine Schuld", sagte Olivier Rabin, wissenschaftlicher WADA-Direktor, im ARD-Interview.