Erster Weltkrieg: Film als Propaganda-Instrument

Französische Filmaufnahmen. Foto: Daniel Reinhardt

Allzuviel ist es nicht, was an Filmen aus dem Ersten Weltkrieg erhalten ist. Und das Wenige war bisher kaum zugänglich: Die Filmrollen verstaubten in Archiven.

Jetzt sind rund 660 Stunden historisches Material für jedermann online - dank des Deutschen Filminstituts in Frankfurt. Georg Eckes und Julia Welter koordinieren von hier aus das Projekt «European Film Gateway 1914». Im Februar soll es abgeschlossen sein.

Zwei Jahre lang haben 21 europäische Filmarchive und Kinematheken aus 15 Ländern rund 2500 Titel - Wochenschauen, Dokumentationen, Spielfilme und Animationsfilme - digitalisiert. Die Hälfte der Kosten von rund 4,2 Millionen Euro trägt die EU. Diese Filme zugänglich zu machen, sei «ein europäisches Erinnerungsprojekt von immenser Bedeutung für die wissenschaftliche und journalistische Recherche», sagt Claudia Dillmann, Direktorin des Deutschen Filminstituts.

Nur rund 20 Prozent der zwischen 1914 und 1918 produzierten Filme sind erhalten, berichtet Projektleiter Eckes, vieles sei verbrannt, zum Beispiel, als das Reichsfilmarchiv im Zweiten Weltkrieg von einer Bombe getroffen wurde. Bisher war es für Wissenschaftler und Dokumentarfilmmacher aufwendig, an dieses Material heranzukommen. Nun besteht erstmals die Möglichkeit, die gesamte Filmproduktion dieser Zeit zu sichten - und zwar ohne nationale Brille.

Das ermöglicht vielleicht keine radikale Neubewertung des Ersten Weltkriegs, aber doch verblüffende Erkenntnisse. Zum Beispiel über die Alpenfront: In einem österreichischen Wochenschau-Film von 1917 wird der «Heldenkampf in Schnee und Eis» in handkolorierter Bergkulisse als alpines Abenteuer verkauft. Der italienische Dokumentarfilm «Krieg in den Alpen» von 1917 zeigt hingegen die Mühsal der Gebirgsjäger mit schwerem Gerät in eisigen Höhen.

Die Filme aus dieser Zeit wurden streng zensiert, «deshalb gibt es auch kaum Aufnahmen des eigentlichen Kampfgeschehens», wie Filmmuseums-Sprecherin Frauke Haß erklärt. Viele Streifen dienten der Propaganda: «Im Ersten Weltkrieg wurde die Wirkmacht des Films erstmals bewusst propagandistisch eingesetzt.»

Die Briten machten 1916 vor, wie das geht: «Der Film "Battle of the Somme" machte aus einer militärischen Niederlage einen moralischen Sieg», erklärt Eckes, «der Film hatte innerhalb weniger Monate so viele Zuschauer wie "Titanic".» Die Deutschen waren baff - und kopierten die Masche ein Jahr später. Leider war «Bei unseren Helden an der Somme» ziemlicher Murks und auch kein Kassenschlager.

Nicht nur für die Geschichte des Ersten Weltkriegs sind die Filme aus dieser Zeit interessant, auch für die Geschichte des Kinos. So sind die Grenzen zwischen Dokumentar- und Spielfilm noch fließend. «Man nahm dokumentarisches Material und schnitt es suggestiv zusammen», erklärt Projektmanagerin Julia Welter. Auffällig auch: Je länger der Krieg dauerte, desto mehr fiktionale Filme entstanden. «Die Menschen waren der drögen Wochenschau-Filme überdrüssig, man musste sie direkter ansprechen, um sie emotional zu erreichen.»

Bei der Digitalisierung entdeckten die Mitarbeiter immer wieder Neues - zum Beispiel den Film eines amerikanischen Arztes, der 1919 aus deutschen Wochenschau-Aufnahmen den Dokumentarfilm «Hunger Blockade Germany» zusammenschnitt, um den US-Bürgern drastisch die Folgen von Mangelernährung in Deutschland vor Augen zu führen.

Bis 1914 war die Filmproduktion internationaler als in Zeiten der Globalisierung; vor Erfindung des Tonfilms gab es schließlich keine Sprachhürde. «Mit dem Ersten Weltkrieg bricht das abrupt ab», berichtet Eckes. Die verfeindeten Nationen boykottierten die Streifen des Kriegsgegners und drehten ihre eigenen, national gefärbten Filme. Und dabei ähnelten sie sich am Ende doch: Die Propaganda-Mechanismen waren die selben.

European Film Gateway

Projekthomepage