Stefan Effenberg: "Ich will und werde mich nicht verstellen"

Stefan Effenberg gehört als Experte mit zum "Doppelpass"-Team bei SPORT1. Auch vor und während der EM läuft die Sendung am Sonntagmorgen. (Bild: Imago / Ulmer, ActionPictures, S. Frej, SPORT1 | Zitt)
Stefan Effenberg gehört als Experte mit zum "Doppelpass"-Team bei SPORT1. Auch vor und während der EM läuft die Sendung am Sonntagmorgen. (Bild: Imago / Ulmer, ActionPictures, S. Frej, SPORT1 | Zitt)

Stefan Effenberg räumt im Interview der deutschen Nationalmannschaft gute Chancen bei der Europameisterschaft ein. Top-Favorit ist für ihn jedoch ein anderes Team. Im Interview erinnert er sich auch an sein eigenes EM-Finale ....

Im Grunde ist es noch gar nicht so lange her, da gehörte Stefan Effenberg noch zu den extrem polarisierenden Personen des Sports. Die einen schätzten ihn ob seines angstfreien Auftretens und erinnerten sich gerne an seine entschlossene Art, im Mittelfeld seiner Clubs den Ton anzugeben. Die anderen warfen ihm Überheblichkeit vor und zitieren Geschichten aus dem Boulevard. Vor 20 Jahren beendete der "Tiger" von einst seine Laufbahn als Aktiver. Champions-League-Sieger 2001, Weltpokalsieger 2001, Deutscher Meister 1999, 2000 und 2001, zweimal DFB-Pokalsieger, 35 Länderspiele - so liest sich die trockene Bilanz. Seine neue Heimat hat "Effe" längst bei SPORT1 gefunden. Seit 2018 ist er dort Experte im sonntäglichen "Doppelpass" und erntet seither viel Lob vom Publikum. Der 55-Jährige setzt auf Unterhaltung und Sachlichkeit gleichermaßen, lechzt aber nicht wie andere spürbar nach Schlagzeilen. Auch während der Europameisterschaft geht der Talk auf Sendung. Im "Doppelpass Spezial - Der EM-Countdown - live aus dem Strauss Alea Resort Bad Orb" blickt Moderator Florian König gemeinsam mit Effenberg und weiteren Gästen am Sonntag, 9. Juni, 11.00 Uhr, voraus auf das Turnier. Bis zum Endspiel am Sonntag, 14. Juli, folgen fünf Ausgaben von "Der fenster.com EM Doppelpass", ebenfalls jeweils sonntags zu gleichen Zeit.

teleschau: Werfen wir einen Blick zurück: der 26. Juni 1992. Sie waren in Göteborg ...

Stefan Effenberg: Der Tag unseres EM-Finals gegen Dänemark. Wir gingen als Favorit ins Spiel und verloren dann gegen den Underdog. Klar, die haben es damals gut gemacht. So schwer die Niederlage auch war für mich, ein bisschen freute ich mich auch für Brian Laudrup, der damals einer meiner besten Freunde war. Dänemark schrieb Geschichte. Für uns war es extrem bitter.

teleschau: Wer an Ihre aktive Karriere denkt, spricht meist über Vereinserfolge oder über die WM 1994. Aber bei dieser Europameisterschaft gehörten Sie neben Marco van Basten, Ruud Gullit, Laurent Blanc und anderen zum All-Star-Team. Und Sie waren erst 23 ...

Effenberg: Es war schon ein besonderes Turnier für mich, wobei die Berufung ins All-Star-Team natürlich am Ende keine große Bedeutung mehr hat. Wir verloren das Finale! Aber Niederlagen gehören unbedingt zu einer sportlichen Karriere. Erst danach lässt sich erkennen, wer bereit ist, immer wieder aufzustehen und weiterzumachen.

teleschau: Sie hatten durchaus die eine oder andere Niederlage zu verwinden: eben diese EM, das Champions-League-Finale 1999, ein DFB-Pokalfinale. Mit Florenz sind Sie sogar mal in die zweite Liga abgestiegen.

Effenberg: Ja, das war keine einfache Zeit. Es ging damals bei der Führung dort drunter und drüber. Im Grunde hatte ich schon einen Vertrag beim AC Mailand unterschrieben, aber Florenz ließ mich nicht gehen. Also ging ich mit in die zweite Liga, und wir stiegen ja auch gleich wieder auf. Solche Zeiten gehören eben immer auch dazu.

Stefan Effenberg ist gebürtiger Hamburger. In zweiter Ehe ist er mit Claudia Effenberg verheiratet. (Bild: Getty Images/Alexander Hassenstein)
Stefan Effenberg ist gebürtiger Hamburger. In zweiter Ehe ist er mit Claudia Effenberg verheiratet. (Bild: Getty Images/Alexander Hassenstein)

"Fußball ist eben meine große Liebe"

teleschau: Kommen wir zur Heim-EM 2024. Eine einfache Frage vorab: Wer wird Europameister?

Effenberg: (lacht) Ich wünsche mir Deutschland, logisch. Aber ich sehe andere Länder, die mehr Qualität haben. Frankreich ist sicher der Topfavorit. Dann Spanien und England, aber wir sind in dieser Reihe auch schon zu nennen. Ich gehe davon aus, dass wir weit kommen. Nur: vorhersagen lässt sich eben nichts. Siehe Dänemark 1992.

teleschau: Was muss neben dem Kader noch passen, damit ein Turnier ein gutes wird?

Effenberg: Nun, es geht schon zuvorderst darum, dass es eine homogene Mannschaft gibt, die sich versteht und füreinander da ist. Das zeigten die Dänen, die Griechen 2004 - beide wurden Europameister, weil sie als Team funktionierten. Wie Deutschland 2014 zum Beispiel auch. Frankreich hat Mbappé - aber er alleine genügt nicht, um Titel zu holen.

teleschau: Sehen Sie die atmosphärischen Grundlagen diesmal geschaffen?

Effenberg: Auf jeden Fall. Zum einen wurden schon vor einigen Monaten bei der Zusammenstellung des Kaders für die Partien gegen Niederlande und Frankreich Zeichen gesetzt. Zum anderen entfachten die Spiele selbst eine Vorfreude. Ob die gar zu Euphorie wird, muss man sehen. Das hängt viel vom Auftakt gegen Schottland ab. Natürlich sind wir da, bei allem Respekt für die Schotten, Favorit. Kommen wir gut ins Turnier, wird sicher im Land die Unterstützung entstehen, die es braucht, um weit zu kommen.

teleschau: 2006 kümmerte sich ja auch der Kaiser selbst noch ums beste Wetter beim Turnier.

Effenberg: Na ja, wenn es paar Regentage gibt und Deutschland spielt gut, wäre mir das Wetter dann auch egal ...

teleschau: Die vielen schlechten Turniere sorgten dafür, dass sich die Fans ein Stück weit entfernt haben von der Nationalmannschaft. Wie war es bei Ihnen: Haben Sie noch jedes Spiel gesehen seither?

Effenberg: Doch doch, das ist ja meine Aufgabe. Und Fußball ist eben auch meine große Liebe. Natürlich schaue ich. Aber klar ist ein bisschen was von der früheren Euphorie in diesen letzten Jahren kaputtgegangen. Nicht nur bei mir, sondern auch bei vielen anderen Fans - das sieht man ja an den Einschaltquoten. Klar ist das Team jetzt auch in der Pflicht, das eigene Land mitzunehmen. Die Mannschaft muss liefern, die Initialzündung geben, damit der Support kommt.

teleschau: Bei der WM in Katar schwang darüber hinaus noch vieles mehr mit. Dort wurden viele gesellschaftliche Fragen auf den Rücken der Profis ausgetragen.

Effenberg: Ich hoffe doch, dass die Verantwortlichen daraus gelernt haben. Die Jungs sind da, um Fußball zu spielen und Leistung zu bringen. Nichts anderes ist für die Spieler entscheidend.

"Ich will und werde mich nicht verstellen", sagt Stefan Eeffenberg. "Ich sage meine Meinung. Mit dem Unterschied, dass ich früher dabei Vereine vertreten musste. Heute bin ich neutral." (Bild: Getty Images/Alexander Hassenstein)
"Ich will und werde mich nicht verstellen", sagt Stefan Eeffenberg. "Ich sage meine Meinung. Mit dem Unterschied, dass ich früher dabei Vereine vertreten musste. Heute bin ich neutral." (Bild: Getty Images/Alexander Hassenstein)

"Leistung zählt natürlich"

teleschau: Ihnen wurde während Ihrer aktiven Zeit stets die Fähigkeit zugesprochen, eine Mannschaft zu führen. Braucht es Spieler mit diesen Fähigkeiten heute noch? Und haben wir sie?

Effenberg: Ja, natürlich braucht es die. Und wir haben durchaus Führungsspieler. Kroos, dessen Rückkehr ganz entscheidend war. Neuer, Rüdiger, auch Tah. Trotzdem haben sich natürlich die Zeiten geändert ...

teleschau: War es wichtig, dass die Vertragsverlängerung von Bundestrainer Julian Nagelsmann schon vor der EM fix gemacht wurde?

Effenberg: Ja, natürlich. Sonst kommt man in den nächsten Wochen immer wieder bei den Pressekonferenzen in Erklärungsnot. Jetzt ist Ruhe, und jeder weiß: Die nächsten beiden Turniere werden mit Nagelsmann gespielt. Das war eine richtige Entscheidung, die sicher auch mit Rudi Völler zu tun hatte.

teleschau: Es gibt ja so ein paar Trainer und Fußballer, die alle in diesem Land lieben: Uwe Seeler, Christian Streich oder zuletzt auf anderer Ebene Spieler wie Fabian Klos oder Sebastian Rode, die sich verabschiedeten. Und natürlich Rudi Völler ...

Effenberg: Das liegt sicher an seinem fußballerischen Werdegang, aber auch an der Art und Weise, wie er Fußball gespielt und gearbeitet hat. Das kam einfach gut an. Es ist großartig, dass jetzt die Nationalmannschaft von Rudi Völler profitieren kann. Jemand mit seiner Erfahrung hat in dem Verband gefehlt.

teleschau: Sie selbst waren als Aktiver lange beim FC Bayern, wie zum Beispiel Lothar Matthäus oder Oliver Kahn auch. Ist es eigentlich unmöglich, Everybody's Darling zu werden, wenn man eine lange Karriere bei den Bayern hatte? Der Verein polarisiert ...

Effenberg: Ach, das hängt schon alles von einem selbst ab. Leistung zählt natürlich. Und wenn du am Ende deiner Karriere ein paar Titel und sogar einen großen internationalen Titel errungen hast, dann wirst du geliebt.

teleschau: Das mag für Sie gelten bei den Bayern-Fans. Die Schalker werden das womöglich anders sehen.

Effenberg: Ja klar, das ist ja auch normal.

2002 stand Stefan Effenberg in Diensten des VfL Wolfsburg. (Bild: 2002 Getty Images/Stuart Franklin)
2002 stand Stefan Effenberg in Diensten des VfL Wolfsburg. (Bild: 2002 Getty Images/Stuart Franklin)

"Lachen konnten wir am Schluss, wenn wir was gewonnen hatten"

teleschau: Dennoch hat man den Eindruck, dass der "Doppelpass" Ihren Beliebtheitswerten gutgetan hat. Eine Weile lang wurde ja zu Beginn der Sendung der Applaus für die Gäste verglichen. Das lässt man jetzt wieder sein - es bekommt ohnehin keiner so viel Beifall wie Sie.

Effenberg: Das hängt schon damit zusammen, dass ich fast immer da bin. Ich selbst wünsche mir ebenfalls, dass die Sendung und die Menschen, die sie schauen, davon profitieren können, dass ich selbst lange gespielt und schon auch noch ein gutes Netzwerk habe. Dafür bin ich da. Wenn ich dann Applaus bekomme, freut mich das aber natürlich.

teleschau: Sie verfallen nicht in dem zunehmenden Marketingsprech, der auch in der Sportberichterstattung um sich greift.

Effenberg: Ich will und werde mich nicht verstellen. Ich sage meine Meinung. Mit dem Unterschied, dass ich früher dabei Vereine vertreten musste. Heute bin ich neutral.

teleschau: Aber Sie waren neulich für den FC Bayern in China.

Effenberg: Ich bin Markenbotschafter beim FC Bayern, aber das hat mit meiner Arbeit bei SPORT1 nichts zu tun. Wenn ich den Bayern gegenüber kritisch sein muss, dann bin ich das. Wichtig ist mir nur, dass ich es auf eine andere Art tue als manch anderer. Ich werde nicht persönlich. Und Kritik muss immer sauber begründet sein.

teleschau: Immer wieder kommt es zu netten Frotzeleien mit dem Moderator Florian König. War das so geplant?

Effenberg: Nein, es ist einfach irgendwann entstanden. Wir mögen und schätzen uns sehr. Da kann so etwas auch mal dazugehören. Der "Doppelpass" ist dann eben auch Unterhaltung. Das wird beim "Dopa" während der EM sicher ganz genauso sein.

teleschau: Fußballfans werden bestätigen, dass während Ihrer aktiven Zeit alles rund um Stefan Effenberg eine ziemlich ernste Angelegenheit war. Humor war da selten zu erkennen. Heute indes sind Witz und Augenzwinkern bei Ihnen immer wieder spürbar.

Effenberg: Ja, und so bin ich ja auch. Aber Sie müssen das verstehen: Als aktiver Fußballer hatte ich etwas zu verteidigen. Jemand wollte mir etwas wegnehmen: nämlich den Sieg. Es gab da keinen Humor für mich. Drumherum haben meine Mitspieler schon auch einen humorvollen Effenberg erlebt. Nur, Sie da draußen sahen den eben nicht. Meine Aufgabe als Führungsspieler war nicht die Unterhaltung. Lachen konnten wir am Schluss, wenn wir was gewonnen hatten.

teleschau: Ihre Arbeit als Experte beim "Doppelpass" geht auch in der kommenden Saison weiter?

Effenberg: Ja, das ist bereits klar. Es macht mir riesigen Spaß, mit dem ganzen Team zusammenzuarbeiten.

Seine größten Erfolge feierte Stefan Effenberg (rechts) als Spieler des RFC Bayern, hier mit Mehmet Scholl (links) und Lothar Matthäus. (Bild: Getty Images)
Seine größten Erfolge feierte Stefan Effenberg (rechts) als Spieler des RFC Bayern, hier mit Mehmet Scholl (links) und Lothar Matthäus. (Bild: Getty Images)

"Es waren einfach so viele schöne Momente"

teleschau: Zum Schluss: Was war eigentlich Ihr schönster Moment als Fußballer?

Effenberg: Das kann und will ich nicht auf einen Augenblick runterbrechen. Das erste Bundesliga-Spiel 1987, bei dem ich auf dem Bökelberg kurz vor Schluss eingewechselt wurde. Das erste Bundesliga-Tor. Der Pokalsieg mit Gladbach 1995, die Champions League mit Bayern 2001 - eine Rangliste will ich da nicht machen. Es waren einfach so viele schöne Momente.

teleschau: Ihr erstes Tor war ...

Effenberg: Gegen Hannover 1988 mit Gladbach. Mit dem schwachen Fuß aus der Distanz. Und es war ein recht wichtiges, das 1:1. Diese Momente vergesse ich nicht.

Stefan Effenberg hofft darauf, dass während der Heim-EM Störgeräusche für die Spieler ausbleiben: "Die Jungs sind da, um Fußball zu spielen und Leistung zu bringen. Nichts anderes ist für die Spieler entscheidend." (Bild: Getty Images/Alexander Hassenstein)
Stefan Effenberg hofft darauf, dass während der Heim-EM Störgeräusche für die Spieler ausbleiben: "Die Jungs sind da, um Fußball zu spielen und Leistung zu bringen. Nichts anderes ist für die Spieler entscheidend." (Bild: Getty Images/Alexander Hassenstein)