Sterneritter? Eher Fighter der müden Gestalt
200.000 Fans strömen ins Autodromo Enzo e Dino Ferrari. Mehr als jemals zuvor bei einem Formel 1 GP in der Emilia Romagna. Bestätigung eines Trends, der gerne so weitergehen darf. Und damit ein herzliches Hallo, liebe F1 Fans.
Es ist nicht das mitreißendste Rennen des Jahres. Der Start läuft glatt, kontrolliert, ohne Probleme. Pole-Setter Verstappen hat alle vom ersten Meter an im Griff, holt sich seinen nächsten GP-Sieg. Soweit business as usual. Und trotzdem wird die Sause zunehmend interessanter.
Denn der Niederländer kann nicht mehr nach Belieben mit der Konkurrenz spielen, wie noch im vergangenen Jahr. Der Freitag verläuft desaströs mit neuen Teilen am Auto. Selbst Red-Bull-Motorsportberater Dr. Helmut Marko bezweifelt leise, dass man im Verlauf des Wochenendes die Welt wieder auf links drehen kann.
Um die Pole zu holen, muss Verstappen alles rausquetschen, was geht, und eine Fabelrunde hinlegen. Für eine Strecke wie Imola, die eng ist und wenig Überholchancen bietet, ist der Startplatz eminent wichtig. Er schafft es!
Verstappen ist ein Vollblut-Racer durch und durch. Er weiß, dass er in Führung liegend durch die erste Kurve gehen muss, will er den Sieg holen. Und er schafft es wieder!
Hier kann keiner Verstappen das Wasser reichen
Er ist so im Tunnel, dass ihn nichts ablenkt oder irritiert. Wenn es darauf ankommt, alles auf den Punkt zu bringen, ist kein anderer in der Formel 1 derzeit in der Lage, ihm in dieser Sparte annähernd das Wasser zu reichen.
Bei den Starts legt Verstappen in dieser Saison eine unglaubliche Konstanz hin, ohne jeglichen Wackler. In der jüngeren Vergangenheit durchaus hin und wieder ein Problem, derzeit überhaupt kein Thema!
Er hat früh eine Verwarnung wegen Missachtung der Track-Limits. Was dazu führt, dass er in der Schlussphase, als Lando Norris ihm immer näher auf die Pelle rückt, sich keinen Ausrutscher mehr leisten kann. Eine Fünf-Sekunden-Strafe hätte den Verlust des Sieges zur Folge.
Passiert Verstappen aber nicht. Weil er will, dass das nicht passiert! In Imola zeigt der Neuzeit-Dominator, dass er wie kein anderer im Feld über ein perfektes Timing verfügt und Rennen lesen und berechnen kann.
Das Team startet schwach ins Wochenende - Verstappen gewinnt trotzdem, aufgrund seiner Fähigkeiten und seiner Rennintelligenz. Der Punktevorsprung ist wieder auf dem Stand wie vor der Niederlage in Miami.
Konkurrenz holt Verstappen aus der Komfortzone
Und trotzdem: Die Konkurrenz rückt näher, holt Verstappen raus aus seiner Komfortzone und zwingt ihn dazu, immer wieder ans Limit gehen zu müssen.
McLaren ist auf einem Top-Weg. Jede Entwicklungsstufe sitzt, die Windkanalwerte lassen sich 1 zu 1 auf die Strecke übertragen. Die Fertigung neuer Teile hat eine enorme Geschwindigkeit erreicht.
Ebenso bei Ferrari. Auch bei den Roten aus Maranello greifen die Updates, im Gegensatz zu den vergangenen Jahren überzeugt die Truppe von Fred Vasseur jetzt durch Konstanz und Zuverlässigkeit. McLaren holt für die Konstrukteurs-Wertung in Imola mehr Punkte als Red Bull, Ferrari nur vier Punkte weniger.
Verstappen wird die Entwicklung genau beobachten. In Imola war sein Red Bull mit der harten Reifenmischung im zweiten Teil des Rennens deutlich anfälliger, zeitweise langsamer als der McLaren, der sehr reifenschonend unterwegs ist.
Auch Ferrari hat dieses Thema deutlich besser im Griff als in den vergangenen Jahren, als die rote Diva eine Reifen-Mörderin war.
Maximum-Max kaschiert noch die Red-Bull-Probleme
Die Jäger sehen und spüren, dass sie näher rankommen. Das erhöht die Motivation. Wer Blut leckt, will mehr, und gibt entsprechend Gas.
Bei Red Bull hegen viele Ingenieure Abwanderungsgedanken, weil hausintern der Weg nach oben versperrt ist, in anderen Teams Verbesserungen der eigenen Position locken. Dazu kommt der fragile, erzwungene Hausfriede im Gerangel zwischen Teamchef Christian Horner und der Gegenfraktion rund um Dr. Helmut Marko und dem Verstappen-Clan.
Auf weitere Geniestreiche von Adrian Newey kann die Truppe nicht mehr bauen. Destabilisierungsfaktoren, derzeit noch gut kaschiert durch das überragende Talent von Maximum-Max.
Der Trend geht dahin, dass es für Red Bull immer enger, immer gefährlicher wird. Verstappen hat noch einen mehrjährigen Vertrag. Aber ehrlich gesagt bieten sich aktuell auch keine Alternativen.
McLaren ist mit Norris und Piastri für die nächsten Jahre super aufgestellt. Ferrari hat sich auf das Duo Hamilton-Leclerc festgelegt. Mercedes ist in der derzeitigen Verfassung kein Thema.
Mercedes hinterlässt Eindruck der Energielosigkeit
Die Sterneritter sind nur noch Fighter der müden Gestalt.
Das neue Update von Imola zeigt keine Wirkung. Podest-Plätze sind aus eigener Kraft nicht erreichbar. Der einstige Seriensieger ist aktuell gerade noch die vierte Kraft im Feld.
Die gesamte Truppe rund um Toto Wolff, der zunehmend unwirsch und ausgelaugt wirkt, hinterlässt den Eindruck der Energielosigkeit und des Antriebsmangels.
McLaren und Ferrari erhöhen den Druck auf Verstappen
Imola ist erst der siebte Lauf der Saison gewesen. Die ist noch sehr lang. Die Jäger werden die Beute hetzen und weiter unter Druck setzen. Es wird spannend zu verfolgen sein, wie lange Verstappen die Leichtigkeit des Seins noch spürt und wann auch bei ihm die ersten Fehler und Fehleinschätzungen passieren.
Wenn McLaren und Ferrari ihr Weiterentwicklungs-Tempo aufrecht halten, wird diese Zeit kommen. Wer weiß, wie Verstappen mit Niederlagen umgeht, wenn sie an die Substanz gehen und nicht mehr Eintagsfliegen sind? Mit Selbstreflexion oder Schuldzuweisung ans Team?
Ich bin mir aber sicher, er genießt die Rennen momentan sehr, wenn es eng wird, und er die Verfolger hinter sich halten kann. Mehr, als mit 40 oder 50 Sekunden Vorsprung davon zu cruisen. Denn dann ist es die Überlegenheit des Autos.
So wie in Imola ist es der Faktor Verstappen! Racing pur, Mann gegen Mann - das ist die Challenge, die er sucht und die er bis ans Limit ausreizen will. Solche Siege sind wertvoller für ihn.
Warum Norris im Vergleich zu Leclerc die Nase vorn hat
Vor allem für Lando Norris rosige Aussichten, der in meinen Augen der ernsthafteste Jäger ist, weil die Fehlerquote von Charles Leclerc nach wie vor zu hoch ist. Auch in Imola leistete der Monegasse sich Ausrutscher, wo ein Norris cool und sicher bleibt.
Norris kennt die Grenzen seiner Papaya-Orange, Leclerc überfordert seine rote Diva immer wieder mal.
Der Vorteil in beiden Teams: sowohl Norris als auch Leclerc haben mit Piastri und Sainz ultraschnelle Teamkollegen im Nacken sitzen, die selber als Erste an den Futternapf wollen. Das hält den Zug im eigenen Team aufrecht. Bei Red Bull ist der zweite Kutscher Mitläufer, Pérez kann Verstappen nicht fordern und triezen.
Monaco am kommenden Wochenende ist wieder ein Qualifying-Rennen. Den Sieg holt man sich dort meist schon am Samstag. Ich freu mich darauf zu sehen, wie die Meute Verstappen durch die Häuserschluchten jagt und wer dazu in der Lage ist, am Samstag Frühform zu zeigen.
Bis dahin, bleiben Sie gesund und Pedal To The Metal, Ihr Peter Kohl.