Strack-Zimmermann: Beschwichtigungspolitik «gescheitert»

Berlin (dpa) - Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, plädiert als Reaktion auf den Ukraine-Krieg für deutlich mehr Entschlossenheit in der Sicherheitspolitik.

«Wehrhaftigkeit, Wehrwilligkeit, Wehrfähigkeit, das bedingt einander. Wenn ich ein Land wehrfähig mache, also die Bundeswehr entsprechend ausrüste, muss auch der Wille da sein, im Ernstfall das Land zu verteidigen», sagte die FDP-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur. «Sind wir mental dazu überhaupt in der Lage. Diese Diskussion darüber wird Deutschland erreichen», sagte sie. Und: «Ich wünsche mir eine Bundesregierung, die das offen artikuliert, selbst wenn kurzfristig von 82 Millionen Bundesbürgern 5 Millionen den Atem anhalten. Sie werden sich wieder fangen.»

Der russische Angriffskrieg und auch die damit verbundenen Drohungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin gegen Nato-Staaten seien «ein ganz hartes Erwachen für Europa und besonders für uns». «Wir müssen einfach wissen, dass es einer bestimmten Reaktion bedarf. Und die haben wir verloren. Worte wie «Wir kämpfen für Freiheit» sind dann nur Worthülsen», sagte sie.

«Krieg der Systeme»

Europa sei nun in einer Phase, in der es genau um solche grundsätzlichen Frage gehe. Das sei ein Krieg der Systeme. Die Frage sei, ob sich ein Despot durchsetzen könne, der jede Form des zivilisierten Miteinanders verlassen habe und Krankenhäuser beschießen lasse. «Mit diesem Zivilisationsbruch können wir unheimlich schwer umgehen, weil wir nicht nur alle geglaubt haben, dass es einen solchen Zivilisationsbruch nicht mehr geben wird, sondern auch, weil wir ja nicht entsprechend adäquat antworten können und vor allem wollen», sagte sie.

«Die Frage ist doch jetzt, nehmen wir diese dramatische Herausforderung an, jetzt geht es nämlich um's Grundsätzliche, um Demokratie und Freiheit», sagte Strack-Zimmermann. «Es muss endlich aufhören, dass Deutschland Intoleranz toleriert. Wer Intoleranz toleriert, zerstört auf kurz oder lang unseren Wertekanon und damit uns selbst.»

Natürlich muss man verhandeln und immer wieder versuchen, friedlich miteinander auskommen. «Aber ich halte Beschwichtigungspolitik, also eine Politik der ständigen Toleranz zerstörender Machtpolitik gegenüber für komplett gescheitert», sagte sie. «Ich glaube nicht daran, weder bei innerer Sicherheit noch bei der äußeren Sicherheit. Es gibt Menschen und Regierungen, die kennen nur klare Ansagen. Nur wer stark ist, wird nicht angegriffen.»

Fragen, ob Waffenlieferungen an die Ukraine den Krieg nicht gewissermaßen verlängerten, seien für Menschen in der Ukraine zynisch. Einen Angriff über sich ergehen zu lassen und sich nicht zur Wehr zu setzen, damit der Krieg ein Ende habe und mehr Menschen überleben, würde bedeuten, dass der brutale Angreifer sich immer durchsetze. «Das Recht zur Selbstverteidigung ist ja genau deshalb in der Charta der Vereinten Nationen in Artikel 51 festgeschrieben. Allen Despoten, allen Putins dieser Welt, muss klar sein, dass ihre Machtgelüste einen hohen Preis kosten», sagte sie.

Zugeständnisse an Putin seien ein «No Go»

Ob man Putin angesichts seiner militärischen Schwierigkeiten und der Wirkung der Sanktionen einen Ausweg mit Zugeständnissen anbieten könne, dürfe nur die Ukraine entscheiden. «Ich halte es für ausgeschlossen, ja deplatziert, dass wir darüber diskutieren, was könnte man Putin anbieten, damit Ruhe herrscht. Das ist ein No Go.»

Für die Bundeswehr werde mit dem von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verkündeten Sondervermögen über 100 Milliarden Euro und Steigerungen im Verteidigungshaushalt ein neues Kapitel aufgeschlagen. «Die Europäer und auch die Nato haben sich die Augen gerieben - ungläubig oder voller Begeisterung. Es führte auch dazu, dass andere Länder überlegt haben, ob sie auch ihren Wehretat noch mal vergrößern.» Für die Nato-Mitglieder sei Scholz' Aussage ein Riesenwumms. Deutschland sei eben mehr Vorbild, «als wir glauben und möglicherweise sein wollen».

In Deutschland sei es wichtig, mit der Verteidigung immer auch den Zivilschutz und den Schutz der Infrastruktur zu organisieren. Sirenen und Schutzräume seien beseitigt, Hochbunker zu Luxuswohnungen umgebaut worden. «Wenn am Freitag die Heizung kalt bleibt, draußen ist es eiskalt, der Strom ist weg und jede Form der Kommunikation abgebunden, dann wird selbst der phlegmatischste Mitbürger am Montagmorgen die Nerven blank liegen haben und im nächsten Supermarkt sich alles unter den Nagel reißen.»

Strack-Zimmermann sagte, sie sei den USA sehr, sehr dankbar, dass sie nun an Europas Seite stünden. Deutschland müsse die eigene Politik kritisch betrachten. «Wandel durch Handel, diese Form der Außenpolitik, die Kanzlerin Angela Merkel ja sehr stark gegenüber Russland und auch China betrieben hat - war im Nachhinein betrachtet blauäugig, gar naiv», sagte Strack-Zimmermann. Merkel werde dies aus innerer Überzeugung gemacht haben, weniger als Selbstzweck, sondern um ihrer Meinung nach Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. «Und doch wird die historische Einordnung ihrer Leistungen als Kanzlerin mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine stark beeinflusst, wenn nicht sogar in Trümmern gelegt werden.»