Studie: Patienten in EU und Großbritannien dauerhaft von Medikamentenmangel bedroht

Patienten in der EU sowie insbesondere in Großbritannien sind einer Studie zufolge dauerhaft vom Mangel wichtiger Medikamente wie Antibiotika und Mittel gegen Epilepsie bedroht. (JUAN MABROMATA)
Patienten in der EU sowie insbesondere in Großbritannien sind einer Studie zufolge dauerhaft vom Mangel wichtiger Medikamente wie Antibiotika und Mittel gegen Epilepsie bedroht. (JUAN MABROMATA)

Patienten in der EU, aber insbesondere in Großbritannien, sind einer Studie zufolge dauerhaft vom Mangel wichtiger Medikamente wie Antibiotika und Mittel gegen Epilepsie bedroht. Die Mangellage sei im Vereinigten Königreich zur "neuen Normalität" geworden und habe "auch ernsthafte Auswirkungen in EU-Ländern", heißt es in einer Untersuchung der britischen Denkfabrik Nuffield Trust, die am Donnerstag veröffentlicht wurde.

Der Brexit-Forschungsleiter im Nuffield Trust, Mark Dayan, erklärte, Großbritanniens Austritt aus der EU habe die dortigen Lieferprobleme bei Medikamenten nicht verursacht, aber verschärft. Für Großbritannien und die EU gelte gleichermaßen, "dass viele der Probleme global sind und mit fragilen Lieferketten bei Importen aus Asien, verschärft durch Werksschließungen wegen Corona, die Inflation und globale Instabilität zusammenhängen".

Der Brexit habe dem Vereinigten Königreich aber "einige zusätzliche Probleme" beschert, führte Dayan aus. So könnten Medikamente aus der EU nicht mehr so problemlos importiert werden. Außerdem drohten Verzögerungen bei der Zulassung von Arzneien dazu zu führen, "dass wir weniger verfügbare Alternativen haben".

Wissenschaftler warnen überdies, dass der Brexit auch bedeutet, dass Großbritannien nicht mehr von den gemeinschaftlichen Anstrengungen der EU-Länder zur Verringerung der Nachschubprobleme profitiert, etwa von der Wiederansiedlung von Pharma-Werken in Europa. So sei Großbritannien auch bei der Anfang des Jahres gegründeten EU-Allianz für lebenswichtige Arzneien außen vor.

Aus öffentlich zugänglichen Daten und anhand von Anfragen bei den zuständigen Behörden rechneten die Studienautoren aus, dass sich in Großbritannien die Mitteilungen von Pharma-Firmen mit Warnungen vor bevorstehenden Engpässen innerhalb von drei Jahren mehr als verdoppelt hätten. Demnach wurden 2020 noch 648 solcher Warnungen ausgesprochen und 2023 mehr als 1600.

Außerdem muss die britische Regierung immer öfter einen Mechanismus in Kraft setzen, der es den Gesundheitsbehörden erlaubt, überhöhte Preise für Medikamente zu zahlen, die sonst nicht zu haben sind. Wurde dieser Mechanismus vor 2016, dem Jahr des Brexit-Referendums, nur gut 20 Mal pro Monat genutzt, waren es Ende 2022 im Monat 199 Fälle. Die Mehrkosten für das Gesundheitssystem beliefen sich Schätzungen zufolge von September 2022 bis September 2023 auf rund 220 Millionen Pfund (257 Millionen Euro) pro Monat.

Der Chef des britischen Pharma-Verbandes, Paul Rees, kritisierte, dass Medikamentenengpässe zu einem "Gemeinplatz" geworden seien, sei "vollkommen inakzeptabel in jedem modernen Gesundheitssystem". "Lieferprobleme sind eine reale und präsente Gefahr für diejenigen Patienten, die für ihr Wohlergehen von lebensrettenden Medikamenten abhängig sind", betonte der Branchenvertreter.

Aus dem Gesundheitsministerium in London hieß es, Großbritannien stehe bei dem Medikamentenmangel nicht allein da. Die meisten Engpässe seien aber "schnell mit minimalen Störungen für die Patienten geregelt" worden.

Auch Deutschland war in den vergangenen Jahren von Engpässen bei Medikamenten wie Antibiotika sowie Arzneien für Kinder betroffen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte deswegen vergangenes Jahr die sogenannte High-Level-Arbeitsgruppe gegründet, die regelmäßig die aktuelle Versorgungslage erörtert. In dem Gremium sind Vertreter der Pharmaindustrie, des Großhandels und der Ärzte- und Apothekerschaft vertreten.

yb/ju