Sylvester Stallone im Interview: "Rocky' würde mir heute niemand mehr abkaufen"
Kinolegende Sylvester Stallone, 76, gibt in "Tulsa King" bei Paramount+ sein spätes Seriendebüt. Im Interview erzählt der Hollywood-Megastar, warum er heute lieber Serien statt Kino produziert und warum man ihn als Action-Star eigentlich immer falsch verstanden hat.
Ab Sonntag, 19. März, reiht sich Sylvester Stallone in die Riege jener ehemaligen Hollywood-Superstars ein, die sich heute lieber der Serien- und Streamingwelt zuwenden. Dann läuft "Tulsa King" bei Paramount+ an. In der neunteiligen Serie spielt Stallone den New Yorker Mafioso Dwight "The General" Manfredi, der nach 25 Jahren Haft entlassen wird. Allerdings erhält er nicht jene Dankbarkeit von seiner "Familie", die er sich eigentlich für sein Schweigen hinter Gittern erwartete. Er wird nach Tulsa in Oklahoma abgeschoben, um dort neue "Geschäftsfelder" zu erschließen. Die neunteilige Serie, die schon für eine zweite Staffel verlängert wurde, ist wie ihr Hauptdarsteller altmodisch, aber dennoch ein ausgesprochen großes Vergnügen. Im Interview, das in London unter vier Augen geführt wurde, erzählt ein bestens gelaunter Sylvester Stallone, warum er das Kino derzeit nicht mag, aber dennoch an dessen Zukunft glaubt. Der 76-Jährige ist überzeugt, dass ein Filmmärchen wie "Rocky" heute nicht mehr möglich wäre, und er gesteht, dass er privat ganz anders ist, als das Image seiner Rollen.
teleschau: Sie sind eine Legende des amerikanischen Kinos. Trotzdem konzentrieren Sie sich nun auf Fernsehen und Streaming. Ist das heute interessanter?
Sylvester Stallone: Ja, ganz eindeutig. Was läuft denn noch im Kino? Das meiste sind "Franchise"-Produkte von Marvel und Co., die sich immer nur wiederholen. Außerdem sind das meist sehr physische Stoffe, und für so etwas bin ich eindeutig zu alt. Wissen Sie, wie viel Zeit ich wegen meiner Action-Filme im Krankenhaus verbracht habe?
teleschau: Nein, nicht wirklich ...
Stallone: Ich wurde aufgrund von Unfällen bei Dreharbeiten fünfmal am Rücken operiert. Ich habe mir die Schulter gebrochen, meine Knie, die Knöchel. Meine Frau hatte schon lange genug davon. Viele haben vergessen, dass ich als Schauspieler mal beim Drama angefangen habe. Ich bin kein geborener Action-Typ. Wenn man die Boxszenen des ersten Rocky-Films zusammen rechnet, kommt man auf etwa fünf Minuten. Der Rest ist Drama.
"Ich hatte Lust auf ein Revival solch alter Stoffe"
teleschau: Und da wollten Sie wieder hin?
Stallone: Ja, eigentlich schon lange. Ich habe über Jahrzehnte immer wieder darüber nachgedacht, wie ich an diesen Punkt zurückkommen kann. Allerdings war mir klar, dass, wenn ich selbst etwas schreibe, es vielleicht nicht "frisch" genug wäre. Ich bin also auf Leute angewiesen, die meinen "Vibe" - also das, was ich gerne erzählen und transportieren möchte - in eine starke Serie übersetzen.
teleschau: Wie haben Sie das Problem gelöst?
Stallone: Nicht besonders strategisch (lacht), eigentlich ist "Tulsa King" aus einer Bar-Bekanntschaft heraus entstanden. Ich traf jemanden, wir redeten, und er machte mir einen Vorschlag: Lass uns zwei Genres nehmen, die ein bisschen in Vergessenheit geraten sind - den Western mit seinen Cowboys und das Gangster-Genre. Lass uns einen Mix aus beidem produzieren. Früher liefen im amerikanischen Fernsehen 25 Western-Shows gleichzeitig. Dann waren sie lange komplett weg. Erst jetzt scheint man sie wiederzuentdecken. Dasselbe gilt für klassische Gangster-Stoffe. Einen Film wie "The Untouchables" findet man nicht mehr im heutigen Kino. Ich hatte Lust auf ein Revival solch alter Stoffe und freue mich, mit "Tulsa King" ein Teil davon zu sein.
teleschau: Nun ist Ihre Serie ja kein klassischer Western, da er weder in der Vergangenheit spielt, noch mit Pferden zu tun hat ...
Stallone: Es geht um den Fremden, der in die Stadt kommt. Das ist ein klassisches Western-Motiv, aus dem sich vieles in dieser Serie ergibt: Wie verändert er die Stadt? Wie verändert sie ihn? Tatsächlich hatten wir anfangs die Idee, dass sich mein Charakter Dwight Manfredi, ein klassischer New Yorker Mafia-Typ, an die Oklahoma-Kultur anpasst und vielleicht sogar einen Cowboy-Hut trägt. Aber da haben wir uns schnell dagegen entschieden. Er bleibt seinen Wurzeln treu und macht keine Kompromisse. Genau so entsteht nämlich große Komik. Der Typ sieht so sehr nach Gangster aus, dass die Cowboys um ihn herum maximal irritiert sind (lacht).
"Die großen Blockbuster haben keinerlei Fallhöhe"
teleschau: Im Kino ist alles komprimiert - die Zeit, die Szenen, die Charakterentwicklung. In "Tulsa King" dürfen sie über neun Folgen einen Charakter entwickeln. Wurde da ein Traum wahr?
Stallone: Ich war aufgeregt wie ein kleiner Junge, als das Projekt stand und wir mit der Arbeit begannen. Sie haben recht, es ist ein tolles Privileg, viel Zeit und Raum zu haben, aber man muss auch einen Preis dafür zahlen: Das waren sechs Monate Arbeit am Stück! Ich musste 700 Seiten Drehbuch lesen und 400 Seiten Dialog lernen. Viel Stoff für einen alten Mann. Und es gab keinen Urlaub dazwischen. Es war so viel Arbeit, als hätte ich fünf "Rambo"- oder "Rocky"-Filme am Stück gedreht. Das wusste ich vorher nicht. Ich habe denen gesagt, wenn es weitergeht, müssen wir über die Arbeitsbedingungen reden (lacht).
teleschau: Einige große Filmleute wie Quentin Tarantino sagen, dass sie keine Lust mehr haben, Kino zu machen, weil die Kunstform einen kreativen und teilweise auch wirtschaftlichen Niedergang erlebt. Wie sehen Sie es?
Stallone: Das Kino ist tot - aber es wird wiederbelebt werden. Was wir gegenwärtig erfahren, ist nicht die erste Krise des Kinos. Das Medium wurde schon öfter abgeschrieben. Als ich anfing, Kino zu machen, hat man ihm auch schon mal Seelenlosigkeit vorgeworfen. Damals gab es große Musicals, teure Western oder Kostümfilme, die vor allem von ihrer bombastischen Ausstattung lebten. Die Leute in den späten 60-ern waren dessen überdrüssig. Doch auf einmal kamen Filme wie "Easy Rider", und das Kino war wieder spannend. So ist es auch heute. Über die großen Kino-Blockbuster von Marvel und Co. kann man sagen: Je größer die Produktionen werden, desto kleiner ist das Herz, das in ihrer Mitte schlägt.
teleschau: Aber ohne Herz geht es nicht, oder?
Stallone: Die Menschen wollen sich selbst in den Filmen wiederfinden. Sie wollen etwas fühlen, nicht ständig von Explosionen und anderem Bombast überwältigt werden. Die großen Blockbuster haben keinerlei Fallhöhe. Sie gehen kein Risiko ein und schaffen kaum Identifikation. Ich weiß noch, wie ich vor einigen Jahren die Netflix-Serie "Bloodline" gesehen habe, die mit viel Zeit die Beziehungen und Dramen einer Familie seziert. Ich war total begeistert, denn auch ich bin ein Familienmensch und denke: Das ist das Wertvollste und Wichtigste, das wir im Leben haben. Aber sehen Sie derzeit große Filme über Familie im Kino? Es ist irgendwie absurd, dass jene Dinge, die uns am meisten bewegen, im Kino nicht auftauchen.
"Das ist toxische Männlichkeit, so etwas wollen wir nicht sehen"
teleschau: Also liebt Sylvester Stallone das Melodram mehr als das Action-Kino ...
Stallone: Den "Toughen" geben, ist einfach. Aber es ist schwer, zärtlich zu sein.
teleschau: Als völlig unbekannter junger Autor schrieben Sie das Drehbuch zu "Rocky" und spielten im Film die Hauptrolle. "Rocky" erhielt drei Oscars und zahlreiche Nominierungen. Sie müssen wie in einem Märchen gefühlt haben. Wäre so etwas heute überhaupt noch möglich?
Stallone: Nein. Die Geschichte würde mir heute niemand mehr abkaufen. Sie würden sagen: "Das ist toxische Männlichkeit, so etwas wollen wir nicht sehen." Was natürlich Quatsch ist, denn Rocky ist ein ganz normaler Typ aus der Arbeiterklasse. Ein Typ, aus dem normalerweise nicht viel werden würde. Rocky hätte fürs heutige Filmgeschäft zu wenig Ecken und Kanten. Keine politische Agenda, keine schwerwiegenden Probleme. Er wäre zu einfach fürs heutige Geschichtenerzählen.
teleschau: Aber hat nicht gerade das Jedermann-Image Rocky zum Massenphänomen des Kinos gemacht?
Stallone: Na klar. Als "Rocky" 1977 den Oscar für den besten Film des Jahres gewann, waren alle anderen nominierten Filme hochpolitisch. "Taxi Driver" zum Beispiel oder "Network". Ich kannte mich überhaupt nicht aus mit Politik und wollte auch gar nichts Politisches schreiben. Die Leute haben mich damals ständig gefragt: "Ist Rocky Republikaner - oder ist er Demokrat?". Viele sagten dann: "Rocky ist ein Fahnenschwenker, er ist bestimmt Republikaner." Ich antwortete meistens: "Ich glaube, Rocky besitzt gar keine Fahne."
"Es gibt Träume, aber ich werde sie Ihnen nicht erzählen"
teleschau: Glauben Sie, dass das Interesse an Drama-Stoffen zurückkehren wird?
Stallone: Davon bin ich überzeugt. Unser Leben ist voller Dramen. Wir Menschen führen in den meisten Fällen ein hartes Leben. Ständig passiert etwas, das uns oder unsere Kinder aus der Bahn wirft. Nichts beschäftigt uns so sehr, wie dieses Thema. Warum sollen wir also Geschichten aus anderen Galaxien und Parallelwelten erzählen, wenn doch unsere eigene Welt schon so anspruchsvoll, komplex und hochinteressant ist? Ich glaube, dass es eine Menge junger Filmemacher gibt, die "low budget" an großartigen Geschichte arbeiten. Ihre Zeit wird kommen - auch im Kino.
teleschau: Sie sind Mitte 70 und haben viel erlebt. Gibt es etwas im Bereich Filmkunst, das Sie gerne noch verwirklichen würden?
Stallone: Ja, es gibt Träume, aber ich werde sie Ihnen nicht erzählen, weil es extrem unrealistisch ist, dass sie wahr werden. Man muss bestimmte Spiele mitspielen, um in diesem Business erfolgreich zu sein. Und ich habe definitiv keine Lust mehr, an diesen Spielen teilzunehmen. Nein, dazu sage ich nichts (lacht).
teleschau: Wenn Sie schon nicht Ihre geheimen Träume verraten, können Sie zumindest sagen, auf welche Spiele Sie keine Lust mehr haben?
Stallone: Man muss ein sehr "sozialer" Mensch sein. Zu den richtigen Partys gehen, die richtigen Leute treffen. Man muss Konversation betreiben und sich selbst verkaufen. Ich bin aber nicht so. Manchmal halt ich eine Rede, dann ist da auch Feuer drin. Aber so etwas passiert selten. Normalerweise komme ich nach Hause - und bleibe erst mal für einen Monat dort. Vier Wochen lang nur zu Hause sein, das macht mir gar nichts aus. Ich vermisse noch nicht mal meine Freunde. Ich lese, ich schreibe, ich male. So bin ich. Ich gehe wirklich nur auf der Bühne oder vor der Kamera aus mir heraus, deshalb kann ich auch keine Stoffe verkaufen.