Tabubrüche inklusive: Wie RTLZWEI in 30 Jahren als "Home of Reality" TV-Geschichte schrieb

Verona Pooth (Bild) - damals noch Verona Feldbusch - war nach Amanda Lear die zweite Moderatorin des Erotikmagazins "Peep!". (Bild: RTLZWEI)
Verona Pooth (Bild) - damals noch Verona Feldbusch - war nach Amanda Lear die zweite Moderatorin des Erotikmagazins "Peep!". (Bild: RTLZWEI)

Am 6. März 1993 ging RTLZWEI erstmalig auf Sendung. Drei Jahrzehnte und zahlreiche Skandale später bezeichnet sich der Münchner Sender als die Heimat des Reality-TVs - unter anderem dank Formaten wie "Frauentausch" und "Die Geissens", die längst als Kult bezeichnet werden dürfen.

"Macht einfach Spaß": So lautete 16 Jahre lang der Slogan von RTLZWEI. 1993, als der zweite Ableger der RTL Group mit der Kult-Komödie "Ein reizender Fratz" auf Sendung ging, war der Fokus des Senders somit offensichtlich: RTLZWEI, damals noch "RTL 2", also mit der Zahl im Namen, wollte unterhalten - mitunter auch mit Formaten, die im deutschen TV zuvor wohl nur schwer einen Platz gefunden hätten.

Die Rechnung ging auf: "Peep!" etwa, ein zu Beginn von Amanda Lear und später unter anderem von Verona Pooth moderiertes Erotikmagazin, bewegte bereits in der ersten Staffel im Jahr 1995 durchschnittlich 1,5 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer zum Einschalten. Auch wenn es längst keine Erotikmagazine mehr gibt: Bis heute setzt man bei RTLZWEI mit Datingformaten wie "Adam sucht Eva - Gestrandet im Paradies" und "Naked Attraction" erfolgreich auf nackte Tatsachen - und bleibt somit auch dem von 2016 bis 2020 verwendeten Senderclaim "Zeig mir mehr!" treu.

Klar: "Die Geissens" (von links nach rechts: Carmen, Shania, Davina und Robert Geiss) dürfen zum 30-jährigen RTLZWEI-Bestehen nicht fehlen. (Bild: RTLZWEI / Niklas Niessner)
Klar: "Die Geissens" (von links nach rechts: Carmen, Shania, Davina und Robert Geiss) dürfen zum 30-jährigen RTLZWEI-Bestehen nicht fehlen. (Bild: RTLZWEI / Niklas Niessner)

"Big Brother" und Co: RTLZWEI-Programm sorgte für Empörung

Entsprechend wenig überrascht es, dass Murad Erdemir von der Medienanstalt Hessen dem Münchner Sender zum 30-jährigen Senderbestehen nicht nur gratuliert, sondern auch wünscht, "dass der Sender sich seine Unabhängigkeit und seine Unberechenbarkeit bewahrt" und "dass er die Medienaufsicht weiterhin vor Herausforderungen stellt". Moralisches Bewusstsein, so Erdemir, entstehe "nicht allein durch positive Vorbilder im Namen der Political Correctness. Zuweilen braucht es auch Experimentierfreude und Innovation bis hin zum medial vermittelten Tabubruch, um daran Werthaltungen und Grenzen des Zulässigen exemplarisch zu debattieren".

Tatsächlich gehört der Tabubruch ebenso zur Geschichte von RTLZWEI wie das 2013 eingestellte Anime-Nachmittagsprogramm, die Ausstrahung ganzer Staffeln von Serien wie "The Walking Dead" und "Game of Thrones" an einem Wochenende sowie die bis heute beliebten Wiederholungen der US-Mysteryserie "X-Factor: Das Unfassbare". Mit Realityformaten wie "Frauentausch" und "Big Brother" prägte der Sender Anfang der 2000-er nicht nur die deutsche Fernsehlandschaft (sage und schreibe 57 Prozent der jungen Zuschauerinnen und Zuschauer verfolgten die erste "Big Brother"-Staffel) und öffnete Türen für so viele nachfolgende Sendungen, sondern er löste auch die ein oder andere hitzige Debatte aus. Zunächst ging es ums Grundsätzliche, später ums Detail: Im Jahr 2004 etwa wurde diskutiert, ob es angemessen sei, eine "BB"-Bewohnerin dabei zu filmen, wie sie sich ein Brustwarzenpiercing stechen lässt. RTLZWEI hatte das Format zum damaligen Zeitpunkt im Nachmittagsprogramm gezeigt.

Als Direktor der Medienanstalt Hessen wünscht sich Murad Erdemir, dass RTLZWEI "die Medienaufsicht weiterhin vor Herausforderungen stellt". (Bild: RTLZWEI)
Als Direktor der Medienanstalt Hessen wünscht sich Murad Erdemir, dass RTLZWEI "die Medienaufsicht weiterhin vor Herausforderungen stellt". (Bild: RTLZWEI)

Das Programm zum Jubiläum

Jahre später hat sich - wohl nicht zuletzt dank RTLZWEI - so manche moralische Grenze im deutschen Fernsehen verschoben. So folgt längst kein Aufschrei mehr, wenn in der Dokureihe "Reeperbahn Privat! Das wahre Leben auf dem Kiez" der Arbeitsalltag einer Prostituierten begleitet wird. Auch in puncto "Trash-TV" stehen andere Sender dem "Home of Reality" in nichts nach - ganz im Gegenteil: "Love Island - Heiße Flirts und wahre Liebe" und "Kampf der Realitystars", zwei RTLZWEI-Shows, sind im Vergleich zu so manchem RTL- oder SAT.1-Format einigermaßen skandalarm - erfreuen sich aber dennoch großer Beliebtheit beim Publikum.

Auch die sendereigenen Dailys "Berlin Tag & Nacht" und "Köln 50667", die sich vor allem durch ihre ungewöhnliche Machart auszeichnen und zu Beginn immer wieder als "geschmacklos" und "verblödend" abgetan, haben sich längst als feste Größen im Vorabendprogramm etabliert.

Wenig skandalträchtig scheint darüber hinaus auch der wohl größte Widerspruch im RTLZWEI-Programm zu sein. So weist der Sender zwar mit der Sozialreportagereihe "Hartz und herzlich" regelmäßig auf soziale Missstände in Deutschland hin, glorifiziert zur besten Sendezeit aber auch den ausschweifenden "Jetset-Lifestyle" der Familie Geiss.

Ob sich "Sieh's mal zwei", wie das Sender-Motto seit 2020 lautet, wohl auch auf die zwei Welten bezieht, die das Publikum seit einigen Jahren bei RTLZWEI zu sehen bekommt? Der Kontrast im Programm des Senders wird auch zum 30-jährigen Bestehen des Senders deutlich: Am Montag, 6. März, erwarten Fans zur Primetime (20.15 Uhr) zwei neue Folgen von "Die Geissens". Zu später Stunde (00.15 Uhr) wiederholt der Sender dann eine Ausgabe der Reihe "Armes Deutschland - Stempeln oder abrackern?".

Bei "Naked Attraction - Dating hautnah" suchen Kandidatinnen und Kandidaten wie Mel (rechts) nach dem richtigen Partner - und begutachten dafür deren Genitalien. (Bild: RTLZWEI)
Bei "Naked Attraction - Dating hautnah" suchen Kandidatinnen und Kandidaten wie Mel (rechts) nach dem richtigen Partner - und begutachten dafür deren Genitalien. (Bild: RTLZWEI)