"Tatort: Avatar": Das steckt hinter dem gefährlichen Trend Cybergrooming

Kommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) möchte von Schülerin Marie (Leni Deschner) erfahren, was mit ihrer Freundin passiert ist. (Bild:  SWR/Christian Koch)
Kommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) möchte von Schülerin Marie (Leni Deschner) erfahren, was mit ihrer Freundin passiert ist. (Bild: SWR/Christian Koch)

Der "Tatort: Avatar" mit Odenthal (Ulrike Folkerts) und Stern (Lisa Bitter) erwies sich als kühler Psychokrimi mit klugen Twists. Nicht nur das Mädchen am Bildschirm erwies sich als Illusion, sondern auch der "nette" Patchwork-Vater als fieser Cybergroomer. Wie verbreitet ist diese Straftat?

Im Ludwigshafener "Tatort: Avatar" musste man ein bisschen durchhalten, bis verschiedene Handlungsfäden zusammenliefen. Was hatte es mit dem toten Mann am Rhein auf sich, von dem die Kommissarinnen Odenthal (Ulrike Folkerts) und Stern (Lisa Bitter) nicht mal wussten, ob er überhaupt ermordet wurde? Hatte die derangierte Programmiererin Julia da Borg (Bernadette Heerwagen) etwas damit zu tun, die mit einem traurigen Mädchen am Bildschirm chattete? Und warum lernte man dann auch noch eine weitere Patchworkfamilie kennen?

Am Ende war der ARD-Sonntagskrimi ein starker Thriller über Trauer am Bildschirm und Cybergrooming, der sexuellen Belästigung von Kindern und Jugendlichen über Chaträume und soziale Medien. Dazu wurden zwei Darsteller verabschiedet, die 25 Jahren beim ältesten "Tatort" der ARD Dienst schoben.

Die Kommissarinnen Odenthal (Ulrike Folkerts) und Stern (Lisa Bitter) ermitteln - passend zur Jahreszeit - am winterlichen Rhein. (Bild: SWR/Christian Koch)
Die Kommissarinnen Odenthal (Ulrike Folkerts) und Stern (Lisa Bitter) ermitteln - passend zur Jahreszeit - am winterlichen Rhein. (Bild: SWR/Christian Koch)

Worum ging es?

Die Kommissarinnen Odenthal (Ulrike Folkerts) und Stern (Lisa Bitter) wurden zu einer männlichen Leiche am Rhein gerufen. Gestorben war der aus Köln ohne sichtliches Motiv angereiste Familienvater an einem Herzinfarkt. Zuvor hatte man ihm Pfefferspray ins Gesicht gesprüht. Von einer Überwachungskamera festgehalten wurde in der Nähe Julia da Borg (Bernadette Heerwagen).

Die Programmiererin chattete daheim über die Bildschirme ihrer Atelierwohnung mit einem traurigen Mädchen - schien aber selbst psychich ziemlich angegriffen. Dann gab es da noch eine scheinbar harmlose Patchworkfamilie, in der Mutter Manon (Sabine Timoteo) mit Teenagersohn Bastian (Luis Vorbach) und ihrem Partner Pit (Felix von Bredow) zusammenlebte. Wie die drei Handlungsstränge zusammenpassten, wurde erst im letzten Drittel des Krimis aufgeklärt.

Früh im Film lernen die Zuschauer Julia da Borg (Bernadette Heerwagen) kennen. In ihrer Atelierwohnung sitzt sie - gestresst und irgendwie traurig - vor ihren großen Computerbildschirmen. (Bild: SWR/Christian Koch)
Früh im Film lernen die Zuschauer Julia da Borg (Bernadette Heerwagen) kennen. In ihrer Atelierwohnung sitzt sie - gestresst und irgendwie traurig - vor ihren großen Computerbildschirmen. (Bild: SWR/Christian Koch)

Worum ging es wirklich?

Der scheinbar harmlose Patchwork-Daddy erwies sich als Cybergroomer. Im Netz nutzte er die Identität seines Stiefsohns, um mit minderjährigen Mädchen anzubandeln. Eine solche Erfahrung nicht überlebt hatte die Ziehtochter der von Bernadette Heerwagen ("München Mord") ziemlich toll gespielten Programmiererin. Ihr geliebtes Kind hielt sie als Bildschirm-Avatar für Trauergespräche am Leben.

Dazu mutierte sie zum Racheengel und tötete Männer, die im Netz nach intimen Kontakten mit sehr jungen Mädchen forschten. All diese Themen offenbarten sich im klugen Drehbuch von Harald Göckeritz und unter der effektvollen Regie Miguel Alexandres scheibchenweise - und ziemlich clever. Einer der besten Ludwigshafen-Fälle seit langem - aber auch einer, bei dem man ein bisschen dranbleiben musste.

Schülerin Marie (Leni Deschner, links) wird von Kommissarin Odenthal (Ulrike Folkerts) befragt. Es geht um ihre Freundin, die ebenfalls tot am Rhein gefunden wurde. (Bild: SWR/Christian Koch)
Schülerin Marie (Leni Deschner, links) wird von Kommissarin Odenthal (Ulrike Folkerts) befragt. Es geht um ihre Freundin, die ebenfalls tot am Rhein gefunden wurde. (Bild: SWR/Christian Koch)

Was genau ist Cybergrooming?

Das Bundeskriminalamt bringt es so auf den Punkt: "Gezielte Anbahnung sexueller Kontakte mit Minderjährigen über das Internet. Die Täter geben sich in Chats oder Online-Communitys gegenüber Kindern oder Jugendlichen als ungefähr gleichaltrig aus oder stellen sich als verständnisvolle Erwachsene mit ähnlichen Erfahrungen und Interessen dar."

Natürlich gibt es Grooming auch ohne Cyberspace, indem die Täter Kinder und Jugendliche im realen Leben ansprechen. Die Anonymität des Internets, in dem man seine wahre Identität verschleiern kann, hilft Tätern jedoch bei ihrer perfiden Neigung auf gefährliche Weise.

Zwei Urgesteine des Ludwigshafener "Tatorts" nehmen in dieser Folge ihren Abschied: Edith Keller (Annalena Schmidt) und Peter Becker (Peter Espeloer) haben ihren letzten Auftritt. (Bild: SWR/Christian Koch)
Zwei Urgesteine des Ludwigshafener "Tatorts" nehmen in dieser Folge ihren Abschied: Edith Keller (Annalena Schmidt) und Peter Becker (Peter Espeloer) haben ihren letzten Auftritt. (Bild: SWR/Christian Koch)

Nimmt Cybergrooming zu?

Cybergrooming boomt. Laut Statistik des Bundeskriminalamtes (BKA) gab es im Jahr 2020 in Deutschland 17,6 Prozent mehr Fälle als 2019. Insgesamt wurden 3.839 Fälle vom BKA erfasst. Die Dunkelziffer dürfte gewaltig sein, die wahre Zahl der Delikte also deutlich höher liegen. Eine repräsentative Studie der Landesanstalt für Medien NRW veröffentlichte Ende 2022 Zahlen, die den Trend untermauern: Fast ein Viertel der über 2.000 befragten Kinder und Jugendlichen zwischen acht und 17 Jahren (24 Prozent) wurde bereits im Netz von Erwachsenen zu einer Verabredung aufgefordert. 2021 waren es noch 20 Prozent.

Kriminaltechniker Peter Becker (Peter Espeloer) erklärt Ermittlerin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts), was man über die Männerleiche am Rhein bis jetzt sagen kann. (Bild: SWR/Christian Koch)
Kriminaltechniker Peter Becker (Peter Espeloer) erklärt Ermittlerin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts), was man über die Männerleiche am Rhein bis jetzt sagen kann. (Bild: SWR/Christian Koch)

Wie kann man sich vor Cybergrooming schützen?

Eltern sollten mit ihren Kindern über die Gefahr sprechen und sie dafür sensibilisieren. Niemals dürfen private Daten wie Adresse und Telefonnummer im Netz mitgeteilt oder intime Fotos verschickt werden, die Täter danach zur Erpressung der Opfer nutzen können ("Sexting"). Alarmglocken sollten zudem läuten, wenn der Kontakt Kinder in private Chats locken will, darauf drängt, dass alles geheim bleiben soll, wenn Nachrichten mit sexuellem Inhalt versendet und Geld oder Geschenke angeboten werden. Oft ist es so, dass die Täter das "Nein" nicht akzeptieren und hartnäckig bleiben.

Cybergrooming ist ein Straftatbestand, der mit Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren geahndet wird. Wer von Cybergrooming betroffen ist, kann sich bei der Polizei und Hilfsorganisationen gegen sexuellen Missbrauch von Kindern melden. Zum Beispiel unter der kostenfreien anonymen Telefonnummer 0800-30 50 750, unter der man das "Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch" erreicht. Wer lieber schreiben will, dem bietet die Plattform ZEBRA der Landesanstalt für Medien NRW ein fachkundiges und jugendgerechtes Angebot.

Richard Otting (Renato Schuch) ist der Expartner von Julia (Bernadette Heerwagen). Man ist sich nach einer langen Beziehung noch sehr vertraut. (Bild: SWR/Christian Koch)
Richard Otting (Renato Schuch) ist der Expartner von Julia (Bernadette Heerwagen). Man ist sich nach einer langen Beziehung noch sehr vertraut. (Bild: SWR/Christian Koch)

Warum scheiden Sekretärin Keller und Kriminaltechniker Becker aus?

Nach 25 Jahren im Dienst sagten die Ludwigshafener "Tatort"-Urgesteine Edith Keller (Annalena Schmidt) und Peter Becker (Peter Espeloer) im "Tatort: Avatar" tschüss. Die beiden Figuren der Dialekt sprechenden Schauspieler werden im Film berentet, planen ihren Abschied und werden am Ende vom Rest des Teams gefeiert.

Ganz freiwillig dürfte der Abschied von zwei lieb gewonnenen Nebenfiguren nicht gewesen sein. Nach 66 Folgen fallen die beiden einer "Formatänderung" zum Opfer, wie der SWR vor einigen Wochen mitteilte. Schauspielerin Edith Keller befindet sich mit 72 Jahren mittlerweile tatsächlich im Rentenalter. Der 63-jährige Peter Espeloer hätte hingegen im wahren Leben noch ein paar Jahre Dienst geschoben.

Julia (Bernadette Heerwagen) rastet in ihrer Wohnung aus - und ein Laptop muss dran glauben. (Bild: SWR/Christian Koch)
Julia (Bernadette Heerwagen) rastet in ihrer Wohnung aus - und ein Laptop muss dran glauben. (Bild: SWR/Christian Koch)

Wie geht es beim Ludwigshafener "Tatort" weiter?

Der nächste Fall für Odenthal und Stern dürfte die im Sommer 2023 abgedrehte Folge "Tatort: Recht muss Recht bleiben" (Drehbuch und Regie: Martin Eigler) werden. Sandra Borgmann spielt eine Anwältin, die darauf spezialisiert ist, die Schwächen der Gegenseite zu identifizieren und auszunutzen. Der Mann jener Anwältin, die viel Hass auf sich zog, wurde erschossen. Sollte eigentlich sie zum Opfer werden? Die Folge wird jedoch erst im zweiten Halbjahr 2024 im Ersten zu sehen sein.

Pit (Felix von Bredow, rechts) und sein Stiefsohn Bastian (Luis Vorbach) geraten in Streit. (Bild: SWR/Christian Koch)
Pit (Felix von Bredow, rechts) und sein Stiefsohn Bastian (Luis Vorbach) geraten in Streit. (Bild: SWR/Christian Koch)