Thomas Hitzlsperger erfährt in WM-Reportage von "systematischer Jagd auf Schwule" in Katar

Thomas Hitzlsperger lässt sich die Stadien-Neubauten zeigen, die in Katar unter hohem Zeitdruck errichtet wurden. (Bild: SWR/NGLOW / Nick Golüke)
Thomas Hitzlsperger lässt sich die Stadien-Neubauten zeigen, die in Katar unter hohem Zeitdruck errichtet wurden. (Bild: SWR/NGLOW / Nick Golüke)

"Dann stand plötzlich der Sarg vor meiner Tür": In Katar starben auf den WM-Baustellen zu Tausenden Gastarbeiter. Eine Katarerin sprach in Thomas Hitzlspergers WM-Reportage trotzdem von "Fake News". Unfassbar waren auch die Schilderungen über homophobe Entgleisungen im Wüstenstaat.

Schon vor der Ausstrahlung hatte Thomas Hitzlspergers WM-Reportage "Katar, warum nur?" (ARD) für mächtig Wirbel gesorgt. Via Twitter übte Sportjournalist Jens Weinreich harte Kritik an den Filmemachern. Stein des Anstoßes: Der Beitrag schrieb Fifa-Whistleblowerin Bonita Mersiades den Job "Stimmenkauf" zu. Die ARD reagierte und strich die Passage aus der Reportage, "damit keine Missverständnisse entstehen". Auch abseits dessen lieferte der 45-minütige Film von Nick Golüke und Robert Grantner vor dem Start der wohl umstrittensten Fußball-Weltmeisterschaft aller Zeiten jede Menge Geschichten zum Kopfschütteln.

"Dann stand plötzlich der Sarg vor meiner Tür", berichtete etwa die Nepalesin Sarswoti Devi Chaudhari dem deutschen Ex-Nationalspieler Hitzlsperger über das Schicksal ihres Mannes. Sechs Jahre hatte der in Katar unter widrigsten Bedingungen geschuftet. Sie habe sich nach der Schocknachricht "tot gefühlt": "Ich wollte nicht länger leben." Doch ihren Söhnen zuliebe beißt sich Chaudhari durch, arbeitet für weniger als zwei Dollar täglich in ihrer Heimat. Von einer Entschädigung kann sie nur träumen: "Das Gehalt von meinem Mann ist immer noch nicht vollständig ausbezahlt worden."

Thomas Hitzlsperger (links) und Ilkay Gündogan besprechen die Frage, wie sich die deutsche Elf in Katar positionieren sollte - auch bei gesellschaftskritischen Fragen. (Bild: SWR/NGLOW / Nick Golüke)
Thomas Hitzlsperger (links) und Ilkay Gündogan besprechen die Frage, wie sich die deutsche Elf in Katar positionieren sollte - auch bei gesellschaftskritischen Fragen. (Bild: SWR/NGLOW / Nick Golüke)

"Wir haben noch nie persönlich von einem Opfer gehört"

Chaudharis Mann ist nur einer von Tausenden Gastarbeitern, die in Katar ihr Leben ließen. Wie viele genau auf den Stadionbaustellen starben, ist nicht bekannt. Das bestätigte im Film Rothna Begum von Human Rights Watch: "Leider haben wir keine genauen Zahlen. Die katarische Regierung hat keine aussagekräftigen Daten herausgegeben."

Voll auf katarischer Regierungslinie argumentierte dagegen Noof Alabdulla, eine von 300.000 Staatsangehörigen des Emirats, die Hitzlsperger vor der Kamera Auskunft gab. Zwar bestritt sie nicht, dass es vereinzelt Tote auf den Baustellen gegeben habe, relativierte aber gleichzeitig: "Wir haben noch nie persönlich von einem Opfer gehört. Wo sind die Beweise für all die Toten? Für mich sind das Fake News."

Einmal mehr war auch Homophobie ein Teil der ARD-Reportage. Nasser Mohamed, der erste Katarer, der sich geoutet hat, schilderte aus seinem Exil in San Francisco, katarische Behörden würden eine "systematische Jagd auf Schwule" betreiben und "Umerziehungstherapien" für LGBTQ-Angehörige fördern. Auch wochen- oder monatelange Einzelhaft samt Schlägen oder "Genitalinspektionen" bei Transgendern seien an der Tagesordnung.

Thomas Hitzlsperger trifft in Berlin Bonita Mersiades, die viele Missstände in der Fußballwelt mit aufgedeckt hat. (Bild: SWR/NGLOW / Nick Golüke)
Thomas Hitzlsperger trifft in Berlin Bonita Mersiades, die viele Missstände in der Fußballwelt mit aufgedeckt hat. (Bild: SWR/NGLOW / Nick Golüke)

Ilkay Gündogan und Manuel Neuer vermeiden klare Bekenntnisse

Trotz Homophobie, Korruption bei der WM-Vergabe und toten Gastarbeitern ist die Weltmeisterschaft ab 20. November Realität. Auch die deutsche Fußball-Nationalmannschaft kämpft im Wüstenstaat um WM-Titel Nummer fünf. "Ob es richtig oder falsch ist, die WM dort zu machen, liegt außerhalb meines Bereichs. Das ist Fifa und deren Verantwortung", mied Nationalkicker İlkay Gündoğan ein klares Bekenntnis.

Kapitän Manuel Neuer sprach verklausuliert von "vielen Fragezeichen, die dahinterstehen". Aber immerhin sei die "One Love"-Kapitänsbinde ein "tolles Zeichen". Für Thomas Hitzlsperger, der sich nach seiner Karriere als homosexuell geoutet hatte, gehen die Positionierungen der DFB-Spieler nicht weit genug: "Warum nicht ein klares Bekenntnis? Wer die Rechte von Minderheiten nicht akzeptiert, hat im Fußball nichts zu suchen!"

Haltung zeigen: Thomas Hitzlsperger (rechts) diskutiert mit dem DFB-Kapitän Manuel Neuer. (Bild: SWR/NGLOW / Nick Golüke)
Haltung zeigen: Thomas Hitzlsperger (rechts) diskutiert mit dem DFB-Kapitän Manuel Neuer. (Bild: SWR/NGLOW / Nick Golüke)

Ranghohe Fifa-Funktionäre fragten nach Perlen und Bargeld

Letzten Endes kam "Katar, warum nur?" zu einem ähnlichen Ergebnis wie viele andere WM-Dokus dieser Tage. Nicht eine vorhandene Fußballkultur oder die Kompatibilität des Ausrichters mit den Menschenrechten waren entscheidend für die Austragung in Katar, sondern Geld. "Mindestens ein paar hundert Millionen Dollar" seien nötig, um bei der WM-Vergabe zu reüssieren, schätzte Whistleblowerin Bonita Mersiades.

Via Mittelsmännern hätten Mitglieder des FIfa-Exekutivkomitees Wünsche nach Perlen oder Bargeld verlauten lassen, erinnerte sich die damalige Verantwortliche für die australische WM-Bewerbung: "Wir wurden irgendwann sogar mal gefragt, ob wir einen australischen Ehrentitel vergeben würden." Ihr sei rasch bewusst geworden, dass Katar "alles tun würde, um diese WM zu bekommen" - mit Erfolg.

Thomas Hitzlsperger war selbst lange mit dem DFB-Mannschaftsbus unterwegs - als Nationalspieler.  (Bild: SWR/NGLOW / Nick Golüke)
Thomas Hitzlsperger war selbst lange mit dem DFB-Mannschaftsbus unterwegs - als Nationalspieler. (Bild: SWR/NGLOW / Nick Golüke)