Trystan Pütter über das Erleben von Katastrophen: "Viele von uns tun so, als wären sie stark"

Schauspieler Trystan Pütter, geboren 1980, spielt im Film "Ramstein - Das durchstoßene Herz" jenen Ermittler, der die Umstände der Flugtag-Katastrophe 1988 in Ramstein aufklären will. (Bild: Pascal Bünning)
Schauspieler Trystan Pütter, geboren 1980, spielt im Film "Ramstein - Das durchstoßene Herz" jenen Ermittler, der die Umstände der Flugtag-Katastrophe 1988 in Ramstein aufklären will. (Bild: Pascal Bünning)

Erst 34 Jahre nach der Flugtagkatastrophe von Ramstein, bei der 70 Menschen starben, kommt ein Film über diese deutsche Tragödie. Schauspieler Trystan Pütter, der den Ermittler spielt, spricht über den ungewöhnlichen Ansatz des TV-Dramas und die Kraft von Gruppen bei der Bewältigung schwerer Krisen.

Dass eines der größten Unglücke der deutschen Nachkriegsgeschichte 34 Jahre lang auf eine solche Verfilmung warten musste, ist eher ungewöhnlich. Tatsächlich gibt es aber viele Gründe, warum Filmprojekte über die Flugschau-Katastrophe vom 28. August 1988 wiederholt scheiterten. Schauspieler Trystan Pütter, geboren 1980, spielt im Film "Ramstein - Das durchstoßene Herz" (Mittwoch, 26. Oktober, 20.15 Uhr, Das Erste) jenen Ermittler, der die Umstände der Katastrophe aufklären will. Ein Gespräch über die Versäumnisse von damals und darüber, warum wir Menschen uns bei Katastrophen durch einsames "Aushalten" oft mehr quälen, als es nötig wäre.

teleschau: Als das Unglück von Ramstein 1988 passierte, waren Sie sieben Jahre alt. Haben Sie überhaupt eine Erinnerung daran?

Trystan Pütter: Ich erinnere mich an Bilder der "Tagesschau", die sich mein Vater ansah. Da wurde dann immer dieses Schild von der Air Base im Hintergrund eingeblendet, wenn Berichte dazu begannen. Danach kamen verstörende Bilder, die ich nicht sehen durfte. Ich habe aber gespürt, dass es ein bedeutendes Ereignis war. Diese Tragödie war und ist in meiner Erinnerung präsent.

teleschau: Der Film verfolgt einen ungewöhnlichen Ansatz. Es ist kein klassischer Katastrophenfilm, stattdessen wird der Trauerprozess der Opfer in den Mittelpunkt gestellt.

Pütter: Genau das hat mich für das Drehbuch eingenommen. Ich wollte keinen Katastrophenfilm drehen. Deshalb habe ich im Vorfeld viele Gespräche geführt, vor allem mit dem Regisseur Kai Wessel. Weil ich eigentlich sehr skeptisch war. So ein Stoff kann im Film leicht in Voyeurismus abdriften.

Die Flugschau-Katastrophe von Ramstein 1988: Amerikanische Soldaten bemühen sich, die Verletzten so schnell wie möglich in Kliniken zu bringen. Doch vieles ist damals schiefgegangen. (Bild: SWR / FFP New Media / Marc Bossaert)
Die Flugschau-Katastrophe von Ramstein 1988: Amerikanische Soldaten bemühen sich, die Verletzten so schnell wie möglich in Kliniken zu bringen. Doch vieles ist damals schiefgegangen. (Bild: SWR / FFP New Media / Marc Bossaert)

"Es erfordert Mut, sich solche Dinge anzusehen"

teleschau: Also, was hat sie überzeugt?

Pütter: Im Mittelpunkt des Films steht die Therapiegruppe der Überlebenden und Angehörigen. Es wird erzählt, was traumatische Erlebnisse mit der menschlichen Psyche machen können - auch noch Jahre und Jahrzehnte später - und wie man aus solch einer Situation, vielleicht gemeinsam, wieder herauskommen kann. Dieser Ansatz hat mich überzeugt. Auf das Ergebnis bin ich stolz. Diese Sensibilität muss man in einem klassischen 90-Minuten-Film fürs Fernsehen erst mal erzeugen können.

teleschau: Ende der 90-er wollte RTL den Stoff schon mal verfilmen. Ein Projekt, das letztlich nicht zustande kam. Auch danach gab es immer wieder Versuche, diese deutsche Tragödie zu verfilmen. Wissen Sie, warum es bis zu diesem Film nie geklappt hat?

Pütter: Das Drehbuch gibt es in der Tat schon sehr lange. Viele haben sich letztendlich gesträubt, den Film zu machen. Wohl deshalb, weil man nicht sicher sein kann, ob man für diesen Ansatz ein Publikum findet. Die ARD hat den Film unter anderem für das Mediatheken-Publikum produziert. Für die Zuschauer, die auch Stoffe schauen, die vielleicht etwas spezieller sind. Die nicht linear ausgestrahlt und "erfolgreich" um 20.15 Uhr laufen.

teleschau: Weil es eine Opfergeschichte ist - und es keine klassischen Helden gibt?

Pütter: Es ist schmerzhaft, sich mit Opfergeschichten zu beschäftigen. Deshalb gewinnen Serien wie "Chernobyl" zwar ohne Ende Preise, aber es erfordert Mut, sich solche Dinge anzusehen. Besonders, wenn man sich in langen Spielszenen und Dialogen mit Betroffenen - beziehungsweise ihren fiktionalen Pendants - sehr viel Zeit nimmt. Für uns Schauspieler ist das natürlich großartig. Als Zuschauer muss man sich aber auf diese Intensität und auch die Langsamkeit erst mal einlassen.

Trystan Pütter als fiktiver Ramstein-Ermittler Hagen Dudek im Film "Ramstein - Das durchstoßene Herz". Beim Unglück auf der US Air Base 1988, das 70 Menschen das Leben kostete, lief vieles schief (Szene mit Elisa Schlott, zweite von links und Megan Gay). (Bild: SWR/FFP New Media/Marc Bossaert)
Trystan Pütter als fiktiver Ramstein-Ermittler Hagen Dudek im Film "Ramstein - Das durchstoßene Herz". Beim Unglück auf der US Air Base 1988, das 70 Menschen das Leben kostete, lief vieles schief (Szene mit Elisa Schlott, zweite von links und Megan Gay). (Bild: SWR/FFP New Media/Marc Bossaert)

"Die Kraft einer Gruppe ist enorm, gerade beim Trauern"

teleschau: Was hat man als Zuschauer davon? Erlebt man eine Katharsis, kann man auf diese Art sogar eigene Verlusterfahrungen besser verarbeiten?

Pütter: Ich denke schon, dass das möglich ist. Gerade ruhige Filme machen es möglich, sich in Geschichten von Verlust wiederzufinden. Fast jeder von uns, der ein gewisses Alter hat, hat schon einen geliebten Menschen verloren. Insofern kann man sich da schon wiederfinden. Es ist somit auch eine universelle Geschichte, die wir erzählen.

teleschau: Viele Zuschauer dürften Verluste erlebt haben, aber vielleicht haben nicht alle die Erfahrung einer Gruppe gemacht, die bei der Verarbeitung schlimmer Erlebnisse helfen kann. Ist der Film auch eine Werbung für Selbsthilfegruppen?

Pütter: Ja, durchaus. In diesem Fall mache ich gerne Werbung. Tatsächlich ist man ja auch als Zuschauerschaft, selbst wenn man rein faktisch alleine zu Hause sitzt, eine Art Gruppe. Zumindest im energetischen Sinne. Ich kann mir vorstellen, dass das Ansehen des Films wie eine Gruppentherapie wirkt. Dass man irgendwie das Gefühl hat, man geht gemeinsam durch diese Geschichte durch. Die Kraft einer Gruppe ist enorm, gerade beim Trauern. Ich bin ein großer Freund von Gesprächstherapie oder auch intensiven Gesprächen mit Familie und Freunden. Weil ich weiß, dass kaum etwas so sehr hilft, wie wenn man sich in einem sicheren Rahmen emotional ehrlich offen zeigen kann.

teleschau: Wir erleben momentan auch gesellschaftliche eine schwere Zeit. Meinen Sie, es ist überhaupt noch Kraft da, sich mit Themen wie Katastrophen aus den späten 80-ern zu beschäftigen?

Pütter: Das glaube ich absolut. Klar, wir alle brauchen auch Ablenkung, Zerstreuung, leichte und unterhaltende Themen in diesen Zeiten. Trotzdem ermutigt ein solcher Film dazu, Ängste, die man ganz aktuell hat, mit anderen Menschen zu teilen. Viele von uns tun so, als wären sie stark. So lange, bis man einfach umfällt. Der "Ramstein"-Film macht deutlich, dass es dazu eine Alternative gibt.

Eine unfassbare Katastrophe ist passiert. Die deutschen Ermittelnden Hagen Dudek (Trystan Pütter) und Jeanine Koops (Elisa Schlott) nehmen an der Pressekonferenz der amerikanischen Streitkräfte nach dem Flugtagunglück teil. (Bild: SWR/FFP New Media/Marc Bossaert)
Eine unfassbare Katastrophe ist passiert. Die deutschen Ermittelnden Hagen Dudek (Trystan Pütter) und Jeanine Koops (Elisa Schlott) nehmen an der Pressekonferenz der amerikanischen Streitkräfte nach dem Flugtagunglück teil. (Bild: SWR/FFP New Media/Marc Bossaert)

"Bei der Ramstein-Katastrophe wurde viel unter den Teppich gekehrt"

teleschau: Kommen wir noch mal auf die Verfilmung von Katastrophen zurück. Was darf man Ihrer Meinung nach verfilmen und wovon sollte man - rein ethisch - die Finger lassen?

Pütter: Grundsätzlich darf man alles verfilmen. Eine grundsätzliche Themenzäsur lehne ich ab. Schwierig ist für mich alles, bei dem man mit krassen Katastrophenbildern versucht, Zuschauer zu beeindrucken. Wichtig finde ich, dass man etwas Allgemeingültiges in der Geschichte finden kann. Etwas, das über die singuläre Katastrophe hinausgeht. Man kann ja nicht mehr verändern oder wiedergutmachen, was bereits passiert ist. Katastrophenfilme, die eine Geschichte einfach nur ausbeuten, interessieren mich nicht.

teleschau: Sie spielen im Film die Figur des Ermittlers. Gab es ihn denn wirklich?

Pütter: Nein, aber trotzdem hat mich die Figur interessiert. Sie ist der rationale Gegenpart zum persönlichen Leid. Ein Mann, der wie eine Insel der Ruhe ermittelt und der Gerechtigkeit herstellen will. Einfach nur, weil es sein Job und seine Überzeugung ist. dass es so sein muss.

teleschau: Sie sagen, die Figur sei fiktiv. Gab es denn Ermittlungen der im Film gezeigten Art?

Pütter: Ja, natürlich gab es Ermittlungen, aber über die ist relativ wenig bekannt. Vielleicht ist meine Figur deshalb auch eine Wunschfigur aus der Zuschauerperspektive. Jemand, der da mal aufräumt. Der natürlich auch erklärt, was von politischer Seite und anderen Offiziellen verpasst wurde. Bei der Ramstein-Katastrophe wurde auf jeden Fall sehr viel unter den Teppich gekehrt.

Wie konnte diese Katastrophe nur passieren? Die Ermittler Hagen Dudek (Trystan Pütter, zweiter von links) und Jeanine Kopps (Elisa Schlott) befragen Notarzt Matthias Kruse (Jan Krauter). (Bild: SWR / FFP New Media / Marc Bossaert)
Wie konnte diese Katastrophe nur passieren? Die Ermittler Hagen Dudek (Trystan Pütter, zweiter von links) und Jeanine Kopps (Elisa Schlott) befragen Notarzt Matthias Kruse (Jan Krauter). (Bild: SWR / FFP New Media / Marc Bossaert)

"Der Zirkus zieht weiter, die Menschen bleiben zurück"

teleschau: Was wissen Sie denn darüber?

Pütter: Ich weiß, dass die Amerikaner damals ziemlich geblockt haben. Sie schieben die Schuld bis heute komplett auf die Piloten der italienischen Fliegerstaffel, die dicht über den Zuschauern zusammengestoßen ist. Aber auch die Deutschen hatten ein großes Interesse daran, nicht zu tief zu graben und nachzufragen. Die amerikanischen Freunde sollten nicht belästigt werden, deshalb fand wenig Aufarbeitung statt. Etwas, das gerade für die Opfer und ihre Angehörigen sehr schmerzhaft war und auch bleibt.

teleschau: Gibt es die im Film gezeigte Selbsthilfegruppe noch?

Pütter: Ich bin mir nicht ganz sicher, ob sie als Gruppe noch aktiv ist, aber die Menschen sind immer noch in Kontakt. Es gab auch eine Vorführung des Films für Betroffene, in der Region. Da gab es dann auch Reaktionen wie: "Endlich wird unsere Geschichte erzählt und wir werden gehört." Mehr über die Selbsthilfegruppe kann man in der Dokumentation erfahren, die zusätzlich zum Film ja auch noch läuft.

teleschau: Die Ereignisse von Ramstein passierten einen Sommer vor der deutschen Wende, die schließlich die Wiedervereinigung brachte. Glauben Sie, dass dieses Großereignis das schnelle Vergessen von Ramstein begünstigt hat?

Pütter: Das mag sein. Große Ereignisse löschen immer ein wenig andere bedeutende Dinge ab, die kurz zuvor geschehen sind. Der Zirkus zieht weiter, die Menschen bleiben zurück. Umso wichtiger ist es, dass auch an dieses Ereignis wegen seiner menschlichen Allgemeingültigkeit jetzt erinnert wird.

Die Katastrophe von Ramstein 1988: 34 Jahre später entsteht der erste fiktionale Film über die bedrückende Katastrophe. Er konzentriert sich auf das Leid und die Geschichten der Hinterbliebenen. Einer von ihnen ist Robert Müller (Max Hubacher, zweiter von links), der seine gesamte Familie (Marie Jung, Elja Bohn, Joan Fels) an diesem Tag verliert.

 (Bild: SWR / FFP New Media / Marc Bossaert)