Heftige Kritik an Quarantänepflicht in Großbritannien
Einreisende nach Großbritannien müssen sich von dieser Woche an zwei Wochen in Selbstisolation begeben. Die Luftfahrtbranche geht auf die Barrikaden. Selbst in der konservativen Regierungspartei rumort es.
London (dpa) - Der Chef der irischen Billigfluggesellschaft Ryanair, Michael O'Leary, hat die seit Montag geltende Quarantänepflicht für Einreisende nach Großbritannien scharf kritisiert.
Im BBC-Radio bezeichnete er die Regelung als «irrational, ineffektiv und komplett undurchführbar». Er warnte vor einem «unermesslichen Schaden» für die Luftfahrtbranche und die britische Tourismusindustrie. Ryanair will im Juli wieder rund 40 Prozent des Flugbetriebs aufnehmen.
Die britische Fluggesellschaft British Airways droht der Regierung in London wegen der Regelung inzwischen mit rechtlichen Schritten. Innenministerin Priti Patel zufolge soll durch die Maßnahme verhindert werden, dass in Großbritannien eine zweite Welle an Coronavirus-Infektionen entsteht. Doch Kritiker bezweifeln, ob sie dazu wirklich geeignet ist. Befürchtet wird, dass die Regelung hauptsächlich wirtschaftlichen Schaden anrichten wird. Selbst innerhalb der konservativen Regierungspartei ist sie heftig umstritten.
Auch aus Deutschland kommt Kritik an den Maßnahmen: «Die pauschale Anordnung einer Heimquarantäne für alle Reisenden ist nicht verhältnismäßig», teilte der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) auf Anfrage mit. Seit Wochen weise die Weltgesundheitsorganisation darauf hin, dass solche Reisebeschränkungen kontraproduktiv seien. Der BDL fordert, zwischen Ländern, in denen sich die Menschen an Hygiene- und Schutzmaßnahmen halten und das Infektionsrisiko sinkt, das Reisen wieder zu ermöglichen.
Für den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) kommt die Quarantänepflicht nicht überraschend. «Die Unternehmen arbeiten sicherlich an Alternativen. Die Quarantänepflicht hatte sich ja angedeutet», erklärte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang. Sie dürfte sich im Außenhandel weniger stark negativ bemerkbar machen, hieß es beim BDI.
Einreisende nach Großbritannien müssen seit dieser Woche an der Grenze ihre Adress- und Kontaktdaten hinterlassen und zwei Wochen lang in Quarantäne gehen. Wer sich nicht an die 14-tägige Pflicht zur Selbstisolation hält, muss mit einem hohen Bußgeld rechnen.
Die Quarantänepflicht gilt für alle Einreisenden, ungeachtet ihrer Staatsbürgerschaft. Ausgenommen sind nur wenige Berufsgruppen wie Lastwagenfahrer, medizinisches Personal und Erntehelfer sowie Reisende aus Irland, der Isle of Man und von den Kanalinseln. Frühestens Ende Juni soll die Regelung überprüft werden.
Die Lufthansa rät ihren Fluggästen daher, sich bei der Planung ihrer Reise über die aktuellen Einreise und Quarantänevorschriften der jeweiligen Destination zu informieren, wie die Fluggesellschaft mitteilte. «Lufthansa hält weiterhin an seinen geplanten Flügen von Deutschland nach Großbritannien fest», so die Fluggesellschaft.
O'Leary sagte, die Quarantänepflicht treffe vor allem Menschen aus Ländern, die weitaus niedrigere Infektionsraten als Großbritannien hätten. Zudem sei es unmöglich zu überwachen, ob sich die Menschen an die Regelung hielten. British Airways rief die Regierung in einem Schreiben dazu auf, die Maßnahme zurückzunehmen und drohte mit rechtlichen Schritten, wie die Muttergesellschaft IAG (International Airlines Group) am Montag bestätigte. Auch Ryanair und Easyjet schlossen sich dem Aufruf an.
Die 14-tägige Selbstisolation sei «übereilt und nicht durchführbar», kritisierte die Kampagne Quash Quarantine. Ihr gehören nach eigenen Angaben 500 Reiseunternehmen an. «In dieser nicht praktikablen, schlecht durchdachten und wirtschaftlich schädlichen Regierungspolitik gibt es mehr Löcher als in einem Sieb», zitierte der «Telegraph» den stellvertretenden Leiter der Kampagne, Paul Charles.
Die Regierung verteidigte den Schritt indessen. «Wir alle möchten so schnell wie möglich wieder zur Normalität zurückkehren. Aber das kann nicht auf Kosten von Menschenleben gehen», teilte Innenministerin Patel am Montag mit.
Ein Regierungssprecher hatte bereits vergangene Woche bestätigt, dass es Überlegungen über sogenannte Luftbrücken gibt. Gemeint ist damit, dass Reisen in bestimmte touristische Ziele von der Quarantänepflicht ausgenommen sein könnten. Medienberichten zufolge soll es bereits entsprechende Beratungen mit Portugal und Griechenland geben. Details waren dazu am Montag aber noch nicht bekannt.
Die Regierung in London steht wegen ihres Umgangs mit der Coronavirus-Pandemie seit Monaten stark in der Kritik. Ihr wird vorgeworfen, zu spät und falsch auf die Pandemie reagiert zu haben.
In keinem anderen Land in Europa wurden bisher so viele Todesfälle verzeichnet wie im Vereinigten Königreich. Dort starben bisher mehr als 40.000 Menschen, nachdem sie positiv auf das neue Coronavirus getestet wurden. Die Zahl der Sterbefälle, bei denen Covid-19 als Ursache festgestellt wurde, liegt bei mehr als 48.000.