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«Der eine Fehler zu viel»: Graichen muss gehen

Berlin (dpa) - Nach knapp drei Wochen erhitzter Diskussionen um Fehlverhalten eines seiner wichtigsten Mitarbeiter versucht Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) den Befreiungsschlag: Staatssekretär Patrick Graichen muss gehen - auch wenn dafür am Ende nicht die Trauzeugen-Affäre den Ausschlag gibt.

«Es ist der eine Fehler zu viel», sagt Habeck in Berlin. Habecks Misere dürfte das nicht beenden, den politischen Kampf um das wesentlich von ihm und seiner Partei vorangetriebene Gesetz zum schrittweisen Heizungstausch führt er geschwächt fort.

Was den Ausschlag gibt

Der Tropfen, der das Fass im Falle Graichens zum Überlaufen bringt, ist demnach eine Vorentscheidung zur Bewilligung von Fördermitteln von knapp 600.000 Euro für ein Vorhaben des Landesverbands Berlin des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), die Graichen im November 2022 traf. Seine Schwester Verena sitzt dort im Vorstand.

Habeck nennt noch einen zweiten Grund, der «in einem Graubereich» liege. So sei Felix Matthes vom Öko-Institut in eine Expertenkommission zur Energiewende berufen worden. An dieser ökologischen Forschungseinrichtung arbeitet Verena Graichen, ebenso wie der gemeinsame Bruder Jakob. «Stünde jeder dieser Fehler für sich allein, würde er eine solch dramatische Konsequenz, wie wir sie heute ziehen, nicht nötig machen», sagt Habeck. «Aber die Fehler stehen eben nicht für sich allein, sondern sind in der Gesamtschau zu sehen.»

Brandmauer mit Rissen

Schon für die Beteiligung an der Auswahl seines eigenen Trauzeugen zum Chef der bundeseigenen Deutschen Energie-Agentur (Dena) konnten Graichen und Habeck nur den Versuch einer Entschuldigung unternehmen, eine Rechtfertigung gab es nicht. Aber man mühte sich, den Fehltritt von strukturellen Fragen zu trennen. Das Ministerium beteuerte, es seien Vorkehrungen getroffen worden, weder Graichen noch dessen mit seiner Schwester verheirateter Staatssekretärs-Kollege Michael Kellner (Grüne) seien an Ausschreibungen beteiligt gewesen, auf die sich das Öko-Institut hätte bewerben können.

Nun musste auch Habeck einräumen, dass die wegen der Verwandtschaftsverhältnisse errichtete Brandmauer Risse hat. «In der Gesamtschau hat sich Patrick Graichen damit zu angreifbar gemacht, um sein Amt noch wirkungsvoll ausüben zu können.» Damit stellen sich Grundsatzfragen, die Habeck allein mit der Trennung von Graichen nicht wird ausräumen können. Insbesondere die Opposition zweifelte bisher schon an den Zusicherungen.

Es gibt weitere Fragen

Am kommenden Mittwoch will die CDU/CSU-Bundestagsfraktion Habeck und eigentlich auch Graichen in einer gemeinsamen Sitzung der Ausschüsse für Wirtschaft sowie Klimaschutz und Energie erneut befragen. Auch die in Teilen der Union erhobene Forderung nach einem Untersuchungsausschuss steht weiter im Raum.

Offen ist auch, welche persönlichen Konsequenzen Graichen noch blühen könnten. Habeck hatte vergangene Woche gesagt, es laufe eine beamtenrechtliche Prüfung, denn gegen Vorgaben des Wirtschaftsministeriums sei «erkennbar verstoßen worden».

Angestrengte Debatte um Heizungstausch

Das nur mit Hängen und Würgen innerhalb der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP zumindest in Grundzügen vereinbarte Gebäudeenergiegesetz will Habeck weiter wie geplant über die Ziellinie bringen, das heißt, noch vor der Sommerpause im Bundestag verabschieden. Es ist das wohl strittigste Vorhaben auf seiner Aufgabenliste, jenes, mit dem die Bundesregierung im Sinne des Klimaschutzes am tiefsten in den Lebensalltag einzelner Bürgerinnen und Bürger eingreift.

Vorgesehen ist, dass ab kommendem Jahr 2024 jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden soll. Es soll Härtefallregelungen und Förderung geben. Der energiepolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Michael Kruse, fordert nun «einen neuen, realistischen Zeitplan».

Ein Verzug wäre nicht nur für die deutschen Klimaschutzbemühungen relevant, zumal angesichts der heftigen Debatte die Nachfrage nach Gas- und Ölheizungen schon nach oben geschnellt ist. Eine Verschiebung des Startdatums auf 2025 wäre für die Grünen hochgefährlich, weil die Regelungen dann zu Beginn jenes Jahres in Kraft träten, in dessen Herbst regulär die nächste Bundestagswahl stattfinden soll. Zu diesem Zeitpunkt wollen die Grünen Erfolge etwa beim Ausbau von Wind- und Solarkraft vorweisen anstatt sich weiter gegen das unschöne Image als Verbotspartei zu wehren.

Habeck will Verhaltensregeln überarbeiten

Die quälende Trauzeugen-Affäre nimmt Habeck derweil zum Anlass, die eigenen Compliance-Regeln, also die internen Verhaltens- und Verfahrensregeln, auf den Prüfstand zu stellen. Das geschehe bereits im Ministerium und solle im Sinne der Einheitlichkeit sicherlich auch innerhalb der Bundesregierung besprochen werden, kündigt der Minister an.

Bei der Suche nach einem anderen Chef für die Dena sollten Beteiligte nicht nur selbst darauf achten müssen, dass es keine Verbindung zu einem der Kandidaten gebe, sondern sie sollten ausdrücklich danach gefragt werden. Nach seiner Ansicht solle dieses aktive Abfragen gängige Praxis werden, sagt Habeck.

Wer folgt auf Graichen?

Nicht zuletzt muss Habeck einen seiner wichtigsten Mitarbeiter ersetzen, dessen «große Leistungen für dieses Land» er selbst am Mittwoch noch einmal ausdrücklich lobt. «Er hat durch seinen überaus großen Einsatz Deutschland vor einer großen Mangellage bewahrt und maßgeblich dazu beigetragen, eine Wirtschaftskrise abzuwenden. Er hat die Energiewende wieder flott gemacht und Klimaschutz zum Regierungshandeln.»

Graichen war nicht unumstritten, an seiner Kompetenz gab es aber wenig Zweifel. Wer ihm nachfolgen soll, bleibt zunächst offen. In einem Anflug von Galgenhumor versichert Habeck: «Ich werde nicht meinen Trauzeugen jetzt als Staatssekretär berufen.»