UN-Palästinenserhilfswerk massiv unter Druck
Tel Aviv (dpa) - Während das UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA wegen der mutmaßlichen Beteiligung einiger ihrer Beschäftigten am Massaker der Hamas in Israel immer stärker unter Druck gerät, könnte ein Geisel-Deal zwischen den Konfliktparteien näher rücken.
Die «New York Times» berichtete unter Berufung auf US-Regierungskreise, US-Unterhändler hätten einen Entwurf auf Grundlage von Vorschlägen Israels und der islamistischen Terrororganisation Hamas ausgearbeitet, der an diesem Sonntag in Paris besprochen werden solle. Der Deal sehe demnach vor, dass die Hamas mehr als 100 Geiseln freilässt und Israel dafür sein militärisches Vorgehen im Gazastreifen für etwa zwei Monate einstellt.
Derweil kündigten Deutschland und acht weitere Länder an, ihre Zahlungen an die Hilfsorganisation der Vereinten Nationen im Gazastreifen vorerst einzustellen. Grund: Zwölf der mehreren Tausend UNRWA-Mitarbeiter im Gazastreifen stehen im Verdacht, in die brutale Attacke der Hamas am 7. Oktober vergangenen Jahres verwickelt zu sein. Die Organisation entließ die verdächtigten Angestellten umgehend. Geschätzt 1200 Menschen kamen bei dem Massaker damals ums Leben und die Terroristen verschleppten etwa 240 Menschen in den Gazastreifen.
Schon während einer siebentägigen Feuerpause im November waren gefangen gehaltene israelische Kinder und Frauen gegen in Israel inhaftierte Palästinenser ausgetauscht worden. Doch etwas mehr als 130 Menschen sollen noch in der Gewalt der Terroristen sein - vor allem Männer und Soldaten. Nun könnte mit den Gesprächen in Paris Bewegung in weitere Verhandlungen kommen.
Geisel-Deal: Rückt eine Vereinbarung näher?
Die «New York Times» berichtete, CIA-Geheimdienstchef William Burns solle heute mit Vertretern Israels, Ägyptens und Katars in Paris sprechen. Dem Entwurf zufolge sollen in einer ersten Phase die Kämpfe für 30 Tage pausieren. In dieser Zeit solle die Hamas weibliche, ältere und verletzte Geiseln freilassen.
Parallel dazu sollten beide Seiten über eine zweite Phase verhandeln, in der als Geiseln genommene israelische Männer und Soldaten für weitere 30 Tage Feuerpause freigelassen würden. Die Verhandler seien «vorsichtig optimistisch». Unklar ist aber noch, wie viele inhaftierte Palästinenser Israel freilassen muss. Die Hoffnung sei, dass Israel die Kämpfe nach einer zweimonatigen Feuerpause nicht in der Art wie jetzt wieder aufnehmen werde.
Heftige Kämpfe im Süden des Gazastreifens
Die heftigen Kämpfe im Gazastreifen gehen derweil weiter. Vor allem im Bereich von Chan Junis im Süden des Küstengebiets gab es nach Angaben der israelischen Armee erneut «intensive Gefechte». In einer Mitteilung hieß es unter anderem: «Die Truppen haben Terroristen ausgeschaltet und große Mengen an Waffen gefunden.» Angesichts massiver israelischer Angriffe sind Tausende von Zivilisten aus dem Gebiet von Chan Junis in Richtung Rafah an der Grenze zu Ägypten geflüchtet.
Der israelische Militärsprecher veröffentlichte einen weiteren Aufruf in arabischer Sprache. Darin wurden Einwohner von vier Vierteln in Chan Junis erneut zur Flucht in eine designierte Region am Mittelmeer aufgerufen. Außerdem nannte der Militärsprecher drei jeweils vierstündige Zeitfenster am Sonntag, Montag und Dienstag. Taktische Kampfpausen in der Zeit sollten Menschen in Rafah ermöglichen, sich mit Proviant einzudecken. Hilfsorganisationen warnen immer wieder vor einer Hungersnot in dem blockierten Gebiet.
Hamas-Gesundheitsbehörde: 165 Palästinenser im Gazastreifen getötet
Bei israelischen Angriffen im Gazastreifen sind nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde binnen 24 Stunden mindestens 165 Palästinenser getötet worden. Rund 290 weitere seien in dem Zeitraum verletzt worden, hieß es in der Mitteilung. Damit sei die Zahl der seit Beginn des Krieges am 7. Oktober getöteten Menschen in dem Küstenstreifen auf mindestens 26.422 gestiegen. Mehr als 65.000 weitere seien verletzt worden. Die Zahlen ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.
Nach Angaben eines Sprechers der Gesundheitsbehörde sind zahlreiche Tote noch unter Trümmern begraben oder liegen auf den Straßen. Wegen der Kämpfe könnten Rettungskräfte und der Zivilschutz häufig nicht zu ihnen gelangen.
UNRWA verliert wichtige Geldgeber
Nach der Ankündigung mehrerer Länder, Zahlungen zu stoppen, warnte das Hilfswerk UNRWA vor dem Ende der Hilfe im Gazastreifen. «Unser humanitärer Einsatz, von dem zwei Millionen Menschen als Rettungsanker in Gaza abhängen, kollabiert», schrieb UNRWA-Chef Philippe Lazzarini auf der Online-Plattform X (vormals Twitter).
Er sei schockiert, dass solche Entscheidungen auf der Grundlage von mutmaßlichem Verhalten einiger weniger Leute getroffen hätten. «Die Palästinenser in Gaza haben keine zusätzliche kollektive Bestrafung gebraucht.»
Das Hilfswerk betreibt nach eigenen Angaben Unterkünfte für mehr als eine Million Menschen und stellt Nahrung und medizinische Grundversorgung bereit. Es wurde 1949 gegründet, um palästinensischen Flüchtlingen zu helfen. Das UNRWA ist etwa in Jordanien, im Libanon und in den Palästinensergebieten tätig.
Zuvor hatten neun wichtige Geldgeber wie Deutschland, die USA, Großbritannien oder Kanada angekündigt, vorerst keine Zahlungen mehr an die UN-Organisation zu bewilligen. «Bis zum Ende der Aufklärung wird Deutschland in Abstimmung mit anderen Geberländern temporär keine neuen Mittel für UNRWA in Gaza bewilligen», teilten das Auswärtige Amt und das Entwicklungsministerium in Berlin mit. Ohnehin stünden derzeit keine neuen Zusagen an.
Israel fordert Rücktritt von UNRWA-Chef
Israel hatte dem Hilfswerk Informationen zu den zwölf verdächtigen Mitarbeitern übermittelt. UNRWA-Chef Lazzarini und UN-Generalsekretär António Guterres zeigten sich entsetzt und drohten den Betroffenen mit strafrechtlichen Konsequenzen. Die Vorwürfe sollen nun unabhängig untersucht werden.
Israel kritisierte Lazzarini scharf. «Herr Lazzarini, bitte treten sie zurück», schrieb Außenminister Israel Katz auf X. Der israelische Regierungssprecher Eylon Levy warf dem UNRWA zudem vor, eine «Front der Hamas» zu sein. «Es deckt die Hamas buchstäblich», erklärte er auf X. Die Hamas hatte zuvor von einer Hetzkampagne Israels gegen internationale Organisationen, die den Palästinensern helfen, gesprochen. «Das skrupellose Nazigebilde» versuche damit «alle Lebensadern unseres Volkes abzuschneiden».
Was heute wichtig wird
Am Sonntag treffen sich laut «New York Times» in Paris Vertreter Israels, Ägyptens, Katars und der Vereinigten Staaten, um über einen Geisel-Deal zu verhandeln.