Unterhaltsames für die "Zwischengeneration": Was es mit dem Angebot "ARD Kultur" auf sich hat

Die Mockumentary "Szene Report" nimmt pro Folge eine Jugendsubkultur der vergangenen 30 Jahre aufs Korn. Den Auftakt machen unter anderem Greta Nehrenberg (links) und Laura Machen, die "Emos" verkörpern. (Bild:  MDR/ARD Kultur/Steven Breden)
Die Mockumentary "Szene Report" nimmt pro Folge eine Jugendsubkultur der vergangenen 30 Jahre aufs Korn. Den Auftakt machen unter anderem Greta Nehrenberg (links) und Laura Machen, die "Emos" verkörpern. (Bild: MDR/ARD Kultur/Steven Breden)

Vor zehn Monaten startete unter dem Namen "ARD Kultur" ein neues Großprojekt des öffentlich-rechtlichen Rundfunkverbunds. Was haben die Verantwortlichen damit vor?

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll sparen! Darin sind sich viele Menschen in Deutschland einig. Doch während Politikerinnen und Politiker, Beitragszahlerinnen und Beitragszahler im vergangenen Jahr über die parallelen Sondersendungen zu royalen Großereignissen oder exorbitante Intendanten-Gehälter stritten, kam mit "ARD Kultur" im Oktober 2022 erst mal ein neues Großprojekt des Rundfunkverbundes auf den Markt. Lohnt sich das Ganze? Und braucht es das gerade jetzt? Fragen wie diese stellten sich viele sicher nicht zu Unrecht. Ein dreiviertel Jahr später steht fest: Gelohnt hat sich der Launch für die ARD ganz sicher.

Die sehr unterhaltsame Mockumentary "Szene Report" (Head-Autor: Hannes Rademacher, MDR) über Jugend-Subkulturen der letzten 30 Jahre wurde 2023 für den Grimme-Preis nominiert. Die im Juni gestartete Kunstreihe "ohnetitel3000" (eine Kooperation mit dem WDR) erreichte binnen weniger Wochen über eine Million Views und über 200.000 Likes. Der Programmgeschäftsführer von ARD Kultur will aber noch mehr: "Wir begreifen uns immer noch als in der Startphase", sagt Kristian Costa-Zahn. Damit meint er nicht nur das Portal "ardkultur.de", das sich derzeit noch in der Beta-Phase befindet, sondern das Angebot im Allgemeinen.

Etwa 30 Projekte für die ARD Mediathek, die ARD Audiothek und die Social-Media-Kanäle wurden bislang gelauncht. Dokus sind dabei ebenso zu finden wie die Impro-Rollenspiel-Reihe "Letzte Beute" mit Schauspielstars wie Daniel Donskoy oder das dreiteilige Format "Rebels - ich rebelliere, also bin ich", welches Künstlerinnen und Künstler und ihren politischen Protest zeigt. Einige weitere neue Projekte wie beispielsweise "BÄM! - Die Geschichte des Comics", das erste Animationsformat für Erwachsene in der ARD Mediathek, oder die Gesprächskonzertreihe "Tiny House Concert" mit Steven Walter, dem Intendanten des Beethovenfests Bonn (DW/ARD Kultur), starten in Kürze. Gleichzeitig gehen die ersten bestehenden Formate wie "Szene Report" oder der True-Crime-Podcast "Melody of Crime" über große Kriminalfälle im Kulturbereich im Herbst in die zweite Staffel.

Kristian Costa-Zahn ist Programmgeschäftsführer und Head of Content bei ARD Kultur. (Bild: ARD Kultur/Guido Werner)
Kristian Costa-Zahn ist Programmgeschäftsführer und Head of Content bei ARD Kultur. (Bild: ARD Kultur/Guido Werner)

Wen soll diese Themenvielfalt ansprechen?

"Wir sind ein digitales Angebot für Kulturinteressierte, die Kunst und Kreativität als Bereicherung wertschätzen", heißt es auf der Website der in Weimar ansässigen zwölfköpfigen Redaktion. So weit, so ungenau. "Es gibt keine einheitliche Definition, was Kultur ist und was nicht", erklärt Costa-Zahn auf Nachfrage: Den Verantwortlichen geht es um die "kreativ-schöpferischen, künstlerischen Disziplinen" - von Street-Art über HipHop bis hin zur Oper. Selbst vermeintliche Subkultur-Themen wie Tattoos sind, dank der vierteiligen Doku-Reihe "Flaesh" (in Kooperation mit dem MDR), seit kurzem vertreten: "Wir machen keine Unterscheidung zwischen Sub-, Pop- und Hochkultur." Es ist - und das ist das eigentlich spannende - sogar das offen deklarierte Ziel von ARD Kultur, inhaltliche Lücken im ARD-Portfolio zu schließen.

Und wen soll diese Themenvielfalt ansprechen? Das gern bediente Klischee des über-60-jährigen Krimi-Fans wird sich von Internetstars wie El Hotzo vermutlich wenig abgeholt fühlen. Tatsächlich sei ARD Kultur der Versuch, die insgesamt weniger erreichte "Zwischengeneration" der 30- bis 50-Jährigen anzusprechen, erklärt Costa-Zahn: "Denn nach der ARD-Logik gibt es für die 14- bis 29-Jährigen funk, und die Altersgruppe 50 plus wird gut über das lineare Programm gecovert." Um die fehlende mittlere Generation zu erreichen, setzt die Programmdirektion unter anderem auf bekannte Köpfe aus der jeweiligen Szene.

In "ohnetitel3000" stehen einfache Fakten zu bildenden Künstlerinnen wie Frida Kahlo oder Aktionskünstlern wie Joseph Beuys im Zentrum. Vermittelt werden sie anhand sehr kurzer und oftmals sehr skurriler Clips.  (Bild: WDR/Michelle Tophinke)
In "ohnetitel3000" stehen einfache Fakten zu bildenden Künstlerinnen wie Frida Kahlo oder Aktionskünstlern wie Joseph Beuys im Zentrum. Vermittelt werden sie anhand sehr kurzer und oftmals sehr skurriler Clips. (Bild: WDR/Michelle Tophinke)

Warum braucht es ARD Kultur?

"Niederschwellig" und "unterhaltsam" sind zudem zwei Attribute, die im Gespräch über ARD Kultur häufig fallen. Der Bildungsauftrag der Öffentlich-Rechtlichen schwingt zweifelsohne mit, auch wenn sich Costa-Zahn nicht als Lehrer sieht: "Wir versuchen, Kultur zugänglich und breitenwirksam zu vermitteln", sagt er, "wollen aber gleichzeitig niemanden verschrecken." Im Idealfall läuft es also wie bei "ohnetitel3000": Die oft recht skurrilen und zusammenhangslosen Clips enden in der Regel mit einem Fakt aus der Welt der Kunst.

Bleibt die Frage nach der puren Existenzberechtigung des Angebots, dessen Gesamtbudget bei jährlich fünf Millionen Euro liegt: "ardkultur.de" arbeitet ausschließlich mit sogenannten "Embedded Players", was bedeutet, dass die Videos zusätzlich in der ARD Mediathek und die Podcasts in der ARD Audiothek zu finden sind. Warum also die Dopplung? "Das Portal ist eine neue Tür in dasselbe Haus", erklärt der Programmgeschäftsführer. "Wir machen das große und vielseitige Kulturangebot der gesamten ARD, von Deutscher Welle, Deutschlandradio, 3sat, ARTE und funk sichtbarer, stellen hochwertige Audio- und Videoformate ins Schaufenster, die bisher nicht immer einfach zu finden waren."

Das Portal zielt auf ein anderes Nutzerinteresse ab: "Bei der Mediathek setze ich mich abends hin, will was gucken, lande vielleicht bei Kultur, vielleicht aber auch bei einer Fiction-Serie", erklärt Costa-Zahn. Bei ARD Kultur aber landen die Nutzerinnen und Nutzer, weil sie sich für Kultur oder eine bestimmte Kulturform interessieren.

Die vierteilige Doku "Flaesh" zeigt bekannte Tattoo-Künstlerinnen und -Künstler wie Jen Tonic bei ihrer Arbeit.  (Bild: MDR/Jörg Junge)
Die vierteilige Doku "Flaesh" zeigt bekannte Tattoo-Künstlerinnen und -Künstler wie Jen Tonic bei ihrer Arbeit. (Bild: MDR/Jörg Junge)

Gibt es bald auch andere ARD Themenwelten?

Vielversprechend klingt auch die Navigation: Mit maximal zwei Klicks, so der eigene Anspruch, soll der User in seiner "Community of Interest" sein: "Das heißt ich klicke auf Musik, ich klicke auf HipHop und bin dann sofort dort, wo ich HipHop-Projekte finde. Dann habe ich dort die Serie 'Dichtung und Wahrheit', und weil ich die super finde, steht direkt daneben der Podcast 'Machiavelli - Rap und Politik." Das Ziel, so ist herauszuhören, ist natürlich die Rezipienten möglichst lange auf der Seite zu halten und zu begeistern.

Thematische Dubletten sollen durch die enge Zusammenarbeit von ARD Kultur mit den Landesrundfunkanstalten künftig übrigens vermieden werden. Außerdem, auch das dürfte wahre Kulturfans erfreuen, könnte durch ARD Kultur als Plattform die Vernetzung innerhalb der Kulturszene in Deutschland verstärkt werden. Erste Ansätze in diese Richtung, wie den Ideenwettbewerb "ARD Kultur Creators", hat es bereits gegeben. Erweist sich das Konzept ARD Kultur weiterhin als Erfolg, so könnte es auch auf andere Themenbereiche übertragen werden. Für interessierte Nutzerinnen und Nutzer wäre das sicher immer von großem Nutzen.

"Letzte Beute" heißt das Impro-Rollenspiel mit Frederic Böhle (von links), Cristina Do Rego, Rauand Taleb, Nina Kronjäger, Uke Bosse,  Ivo Kortlang, Katjana Gerz und Daniel Donskoy.
 (Bild: ARD Kultur/Rocket Beans)
"Letzte Beute" heißt das Impro-Rollenspiel mit Frederic Böhle (von links), Cristina Do Rego, Rauand Taleb, Nina Kronjäger, Uke Bosse, Ivo Kortlang, Katjana Gerz und Daniel Donskoy. (Bild: ARD Kultur/Rocket Beans)