Verena Altenberger über Höhlenrettungsfilm: "Es darf keinen Preis für ein Menschenleben geben"

Verena Altenberger, derzeit - noch - "Polizeiruf 110"-Kommissarin in München, machte durch den ARD-Zweiteiler "Riesending - Jede Stunde zählt" intensive Erfahrungen mit dem Höhlenklettern. Die wurden selbst für die 35-jährige  sportliche Österreicherin zu einer sehr besonderen Herausforderung, die sie nie vergessen wird. (Bild: 2022 Getty Images/Hannes Magerstaedt)

2014 ging die elf Tage dauernde, eine Million Euro teure und über 700 Helfer umfassende Rettung eines deutschen Höhlenforschers um die Welt. Nun wurde sie mit dem Zweiteiler "Riesending - Jede Stunde zählt" verfilmt. Verena Altenberger spricht über die ungewöhnlichsten Dreharbeiten ihres Lebens.

Die Münchener "Polizeiruf 110"-Kommissarin Verena Altenberger stammt aus jener Gegend, in der 2014 der deutsche Forscher Johann Westhauser in 1.000 Meter Tiefe verunglückte. Das "Riesending", Deutschlands größtes, erst 1996 entdecktes unterirdisches Gewölbe, hat eine Länge von 23 Kilometern und liegt am Untersberg zwischen Berchtesgadener und Salzburger Land. Im ARD-Zweiteiler "Riesending - Jede Stunde zählt" (Mittwoch, 28. Dezember, 20.15 Uhr) wird minutiös die komplexe Rettungsaktion des Verunglückten inszeniert, die damals eine gewaltiges internationales Medienecho auslöste. Im Interview spricht die 35-jährige Österreicherin über ihre Rolle einer Retterin, für die sie das vielleicht anspruchsvollste Training ihrer Karriere auf sich nehmen musste. Der Film wurde fast komplett in echten Höhlen gedreht. Eigentlich eine irre Idee, die Verena Altenberger einige der intensivsten Momente ihres Lebens bescherte.

teleschau: "Riesending" wurde vorwiegend in echten Höhlen gedreht. Man musste klettern und sich abseilen können. Hatten Sie damit vorher Erfahrung?

Verena Altenberger: Nein! Und das, wo ich doch aus den Bergen komme. Ich gehe viel bergsteigen, aber klettern war ich nur ein paarmal als Kind. Obwohl auf meiner Sportarten-Liste fast schon absurd viele Disziplinen stehen - klassisches Klettern hatte bisher nicht dazu gezählt.

teleschau: Warum?

Verena Altenberger: Weil ich es nicht gut genug konnte. Für den Film war es nun aber absolute Voraussetzung, dass man im Vorfeld ein mehrwöchiges Klettertraining absolviert. Es war wichtig, dass wir Schauspielerinnen das Klettern im Schlaf beherrschen. Wir haben alle Stunts selber gemacht. Es gab weder Doubles noch eine doppelte Sicherung in der Wand. Also kein grünes zusätzliches Sicherungsseil, das in der Post-Production rausretuschiert wurde. Nur ich hing in der Wand, nur ich habe mich gesichert. Im Moment, in dem ich Scheiße baue, tue ich mir weh ...

Quasi-dokumentarischer Katastrophenfilm "Riesending - Jede Stunde zählt": Retterin Birgit (Verena Altenberger) erfährt von dem Unfall eines Freundes am Fuße von Deutschlands größter Höhle. Eigentlich ist der Mann nicht mehr zu retten. Eigentlich! Der zweimal 90-Minuten-Film beruht auf wahren Ereignissen des Jahres 2014. (Bild: BR/ARD Degeto/Senator Film Produktion/Felix Vratny)

"An manchen Tagen hatten wir das Gefühl, die Wände würden pulsieren"

teleschau: Wie haben Sie das Training erlebt?

Verena Altenberger: Ich habe das in Wien gemacht. Ich bin teilweise mit verbundenen Augen geklettert, damit die Knoten und Sicherungsgriffe wirklich blind funktionieren. Nach dem "sauberen" Klettern kam dann noch Höhlenklettern. Das ist ein Riesenunterschied! Wenn man an diese Boulder-Hallen denkt: Da trägst du kleine flexible Schuhe mit Grip. Höhlenklettern macht man hingegen in Gummistiefeln. Das muss man sich mal vorstellen: In Gummistiefeln eine Wand hochsteigen. Das ist wirklich ein großer Unterschied - vom Equipment und der ganzen Körperlichkeit her. Trotzdem habe ich mich verliebt, ins Klettern und auch in Höhlen.

teleschau: Was ist das Faszinierende an Höhlen?

Verena Altenberger: In Höhlen ist es ist immer dunkel, es hat immer zwischen ein und acht Grad und es ist immer nass. Das klingt erst mal nicht so toll, ich weiß, doch es fühlt sich toll an. Man ist wirklich in Mutter Erde und genauso sieht es auch aus. Man hat diese feuchten Wände um sich. Die Wasser-Rinnsale formen Vertiefungen, die wie Adern oder Venen aussehen. An manchen Tagen hatten wir das Gefühl, die Wände würden pulsieren. Höhlen sind ein magischer Ort. Auch die Akustik ist irre. Manchmal hört sich der Wind an, als würde man Stimmen hören. Man nimmt Wassertropfen wahr, aber sie können tausendfach unterschiedlich klingen. Wenn man mit Menschen in einer Höhle spricht, weiß man nicht, ob sie nur wenige Meter oder ein paar hundert Meter von einem entfernt sind. Es ist, als wäre man in einer ganz anderen Welt.

teleschau: Das klingt faszinierend und gleichzeitig nach etwas, das Menschen Furcht einflößen könnte. Zu welchem "Team" gehörten Sie?

Verena Altenberger: Ich gehörte definitiv zum Team Geborgenheit. Ich habe mich unter der Erde richtig wohlgefühlt.

Die Riesendinghöhle, Deutschlands größtes bekanntes Höhlensystem, wurde erst 1996 entdeckt. 2014 fand hier die spektakulärste Höhlen-Rettungsaktion der deutschen Geschichte statt: Im Film wollen die Höhlenforscher Ralf Sommer (Jan Messutat) und Birgit (Verena Altenberger) - hier an der Eingangsdoline - einen verunglückten Freund retten. (Bild: BR/ARD Degeto/Senator Film Produktion/Felix Vratny)

"Er riet mir, ein paarmal unter meiner Couch durchzukriechen"

teleschau: Der Film zeigt - in Analogie zu den wahren Ereignissen von 2014 - ein großes Ensemble Schauspielerinnen und Schauspieler, die körperlich ziemlich "abliefern". Musste man topfit sein, um überhaupt mitspielen zu können?

Verena Altenberger: Was die Kletternden betrifft, auf jeden Fall! Es wurde von der Produktion anfangs klar darauf hingewiesen, wie es sein würde. Auch, dass wir in echten Höhlen drehen würden. Da durfte man weder klaustrophobisch veranlagt sein, noch Probleme mit dem Klettern haben. Die Klettertrainerinnen und -trainer waren in Kontakt mit dem Stunt-Koordinator des Films. Wenn sich beim Training herausgestellt hätte, dass ich es nicht hinbekomme, hätte ich die Rolle abgeben müssen.

teleschau: Waren Sie aufgeregt? Es war ja praktisch eine Prüfungs-Situation ...

Verena Altenberger: Tatsächlich war ich recht zuversichtlich, dass ich es hinbekommen würde, ich bin sehr sportlich. Ich wusste aber nicht, wie es mir in der Höhle gehen würde. Das kann man vorher schlecht abschätzen. Es ist ein Unterschied, ob man in einer Wand mit Sicht hängt oder ob alles im Dunkeln passiert. Was man ebenfalls vorher kaum simulieren kann, ist die Enge. Ich hatte mit unserem Stunt-Koordinator Jason Oettlé telefoniert - ein toller Typ, der schon für "Game of Thrones" gearbeitet hat. Er riet mir, ein paarmal unter meiner Couch durchzukriechen und zu schauen, wie sich das anfühlt. Das habe ich dann gemacht. Und es war echt okay ... (lacht).

teleschau: Über wie viele Meter mussten Sie sich beim Dreh abseilen?

Verena Altenberger: Das weiß ich gar nicht und wollte es auch gar nicht wissen.

Der Film "Riesending - Jede Stunde zählt" entstand zu weiten Teilen in echten Höhlen, die man in Kroatien fand: Die Retter Birgit Eberharter (Verena Altenberger) und Raffaela Pardeller (Sabine Timoteo), eine Ärztin, seilen sich ab. (Bild: BR/ARD Degeto/Senator Film Produktion/Felix Vratny)
Der Film "Riesending - Jede Stunde zählt" entstand zu weiten Teilen in echten Höhlen, die man in Kroatien fand: Die Retter Birgit Eberharter (Verena Altenberger) und Raffaela Pardeller (Sabine Timoteo), eine Ärztin, seilen sich ab. (Bild: BR/ARD Degeto/Senator Film Produktion/Felix Vratny)

"Es müssen keine zusätzlichen Dramen oder Liebesgeschichten hinzugedichtet werden"

teleschau: Hatten Sie tatsächlich gar keine Angst, wenn Sie viele Meter über dem Abgrund im Dunkeln in der Wand hingen?

Verena Altenberger: Ich habe bei diesem Film etwas Spannendes über mich erfahren. Darüber, wie sehr ich den Schalter zwischen mir und meiner Rolle umlegen kann. Ich bin da wirklich wie ein Pawlowscher Hund oder ein Mensch, der hypnotisiert wurde. Wenn der Regisseur sagt: "Und bitte!", war bei mir jegliche Angst weg. Und das, obwohl man ja teilweise sehr lange in der Wand hängt. Unten wird noch die Kamera justiert oder ein anderes Detail. Und es ist teilweise echt unangenehm, da oben zu warten. Der Gurt schneidet ein, die Beine fangen an zu kribbeln, man sollte auch nicht runterschauen. Ich habe mich dabei fast über mich selbst erschrocken: Wenn das Signal zum Drehen kommt, sind alle Schmerzen und Ängste weg. Obwohl die reale Gefahr ja eigentlich sehr präsent ist.

teleschau: Wenn man sich damit auskennt, wie Filme entstehen, weiß man, dass jene, die auf See spielen, fast nie auf See gedreht werden. Weil es zu kompliziert ist! Bei Höhlen hätte manÄhnliches vermutet ...

Verena Altenberger: Na klar, aber so lange ich bei diesem Projekt dabei war, hieß es immer: Das wird "on location" gedreht. Der Film beschreibt fast schon dokumentarisch, wie eine solch komplizierte Rettungsaktion abläuft. Es müssen keine zusätzlichen Dramen oder Liebesgeschichten hinzugedichtet werden. Im reinen Ablauf der Rettungsaktion liegt schon das Drama, die Emotion und all die großen Fragen. Es ist das Raue und das Pure, was hier den Reiz ausmacht. Deshalb hätte man das auf keinen Fall im Studio drehen können. Allein schon, weil es kalt ist, sieht man immer den Atem. Man hätte das niemals realistisch nachahmen können.

teleschau: Die "Riesending"-Höhle hat eine Länge von knapp 23 Kilometern. Dies wäre schon zu Fuß ein stattlicher Marsch. Was glauben Sie als Höhlenerfahrene: Wird man demütig, wenn man diese Strecke nur sehr langsam und kriechend zurücklegt?

Verena Altenberger: Demut ist ein Begriff, der diese Erfahrung gut beschreibt. Und ich fand auch, dass es dem Schauspiel zuträglich war. Schauspiel hat extrem viel mit Konzentration zu tun. Selbst, wenn ich in einem Wohnzimmer drehe, wird es im Moment der laufenden Kamera mucksmäuschenstill. Es ist auch da schon eine sportliche Höchstleistung, sich emotional komplett an einem Punkt zu begeben, an dem man natürlicherweise gerade gar nicht wäre. In der Höhle potenziert sich dieses Gefühl. Weil man wirklich auf jeden Schritt aufpassen muss. Jeder, der da mitarbeitet, muss noch viel stiller sein als sonst. Dies alles erschafft eine unglaublich konzentrierte Atmosphäre.

Der schwerverletzte Höhlenforscher (Roland Silbernagl, zweiter von links) wird von Luka Perkovic (Sandy Lopicic), Birgit Eberharter (Verena Altenberger) und Dr. Raffaela Pardelle (Sabine Timoteo, rechts) für den Transport vorbereitet. (Bild: BR/ARD Degeto/Senator Film Produktion/Felix Vratny)
Der schwerverletzte Höhlenforscher (Roland Silbernagl, zweiter von links) wird von Luka Perkovic (Sandy Lopicic), Birgit Eberharter (Verena Altenberger) und Dr. Raffaela Pardelle (Sabine Timoteo, rechts) für den Transport vorbereitet. (Bild: BR/ARD Degeto/Senator Film Produktion/Felix Vratny)

"Es ist eine abstoßende Diskussion"

teleschau: Im Film heißt es, die Figuren seien teilweise fiktiv, obwohl ja ein wahres Ereignis erzählt wird. Gab es denn Ihre Figur, diese Kletterfreundin des Opfers, die sich in der Sache extrem engagierte, wirklich?

Verena Altenberger: Es gab diese Salzburgerin, die sehr maßgeblich an der Rettung beteiligt war, wirklich. Und leider ist es auch wahr, dass sie ein Jahr später tödlich verunglückt ist.

teleschau: Was im Film angerissen wird, aber in der öffentlichen Diskussion über den Fall noch viel präsenter war, ist die Frage: Welchen Aufwand und welche Kosten lassen sich rechtfertigen, um ein einziges Menschenleben zu retten?

Verena Altenberger: Ich komme ja selbst aus der Gegend vom Untersberg, wo 2014 diese Geschichte passierte. Ich kann mich auch noch gut an die Diskussion darüber erinnern. Es ist eine abstoßende Diskussion. Wir haben es in so vielen Bereichen unseres Lebens verlernt, uns ans Leben angebunden zu fühlen und zu handeln. Angebunden an uns und an andere Menschen. Es lässt sich - im Internet oder anderen abstrakten Orten - leicht darüber diskutieren, wie viel es den Steuerzahler kostet, nur diesen einen Menschen zu retten. Genauso wie über Geflüchtete bagatellisiert wird: "Das Boot ist voll", ohne an die einzelnen realen Schicksale zu denken und mit diesen Menschen zu fühlen.

teleschau: Sind wir als Menschen oft herzlos?

Verena Altenberger: Ich glaube, dass wir als Menschen, die in eine entsprechende Situation kommen, nicht so banal und lapidar sind, wie wir übers Internet oder bei belanglosen Debatten manchmal rüberkommen. Ich glaube, dass wir "in echt" mitfühlende Menschen sind, die sich so eine Frage gar nicht stellen und natürlich einen Menschen aus einer Notsituation retten würden.

teleschau: Würden Sie sagen, eine Diskussion über die Kosten von Rettungseinsätzen darf nicht geführt werden? Dass sie sich ethisch verbietet?

Verena Altenberger: Jemand, der im Internet tönt: "Das Boot ist voll, es darf niemand mehr kommen", würde trotzdem niemanden ertrinken lassen, der in der Donau schwimmt und nach Hilfe ruft. Das glaube ich zumindest. Wir müssen uns bei solchen Fragen kurz Zeit nehmen, um etwas in unserem Leben zu finden, das vergleichbar ist. Jeder von uns hat eine Mutter, vielleicht Geschwister oder Kinder. Würde man tatsächlich wegen hoher Kosten die Rettung der eigenen Mutter oder des eigenen Kindes absagen? In der Absurdität dieses Gedankens liegt auch die Absurdität der ganzen Diskussion. Es darf keinen Preis für ein Menschenleben geben.

Verena Altenberger wurde über ihre Hauptrolle in der RTL-Comedyserie "Magda macht das schon" bekannt. 2018 folgte sie Matthias Brandt in der Kriminalfilmreihe "Polizeiruf 110" als Kommissarin nach. Im Herbst 2022 wurde - die noch nicht ausgestrahlte - letzte Folge gedreht. Altenberger stieg auf eigenen Wunsch aus der Reihe aus. (Bild: BR / Markus Konvalin)