Werbung

"Viele Traumata können gar nicht aufgearbeitet werden"

Eva Brenner hilft Familien, die von der Flutkatastrophe an der Ahr betroffen waren. (Bild: ZDF / Stefan Göppert)
Eva Brenner hilft Familien, die von der Flutkatastrophe an der Ahr betroffen waren. (Bild: ZDF / Stefan Göppert)

Normalerweise präsentiert sie charmante Einrichtungsformate - nun hilft Moderatorin und Innenarchitektin Eva Brenner den Opfern der Flutkatastrophe an der Ahr. Wie sie betroffene Familien ein Jahr lang begleitete und wie die Situation heute aussieht, berichtet die 46-Jährige im Interview.

Wohnungen schick einrichten, alte Möbel aufarbeiten oder Gärten gestalten: Mit diesen Aufgaben hat Eva Brenner als Moderatorin diverser Fernsehformate normalerweise zu tun. In Einrichtungssendungen wie "Zuhause im Glück" und dem "Bares für Rares"-Ableger "Kaputt und zugenäht" half die gelernte Innenarchitektin beim Aufmotzen und Renovieren; aktuell moderiert sie im ZDF das charmante "Duell der Gartenprofis" und erfüllt im Dokutainment-Format "Mein Zuhause richtig schön" Menschen den Traum vom perfekten Wohnen. Gefragt ist ihre Expertise, ebenfalls im Zweiten, nun wieder - wenn auch auf ganz andere und viel ernstere Weise: "Nach der Flut: Eva Brenner hilft an der Ahr" heißt eine "ZDFzeit"-Dokumentation (Dienstag, 5. Juli, 20.15 Uhr), für die die 46-Jährige drei Familien begleitete, die bei der Flutkatastrophe im Sommer 2021 fast alles verloren. Zwischen Wiederaufbau und Sanierung reiste die Moderatorin, die auch persönliche Bezüge zur Region hat, monatelang immer wieder ins Katastrophengebiet. Was sie dort erlebte und in welcher Situation sich die Betroffenen ein Jahr später befinden, berichtet Eva Brenner im Interview.

teleschau: Frau Brenner, für Ihre ZDFzeit-Dokumentation fuhren sie mehrmals ins Ahrtal. Wie sieht es dort ein Jahr nach der Flutkatastrophe aus?

Eva Brenner: Ich war mehrfach dort und habe persönliche Kontakte vor Ort. Daher weiß ich, wie schlimm die Orte zum Teil noch aussehen. Wunderschöne Altstädte, die auch vom Tourismus gelebt haben; die Gastronomie, die Hotels - das ist alles weg. Die wenigsten haben wieder geöffnet. Ansonsten herrscht Stillstand, teilweise sieht es noch aus wie vor einem Jahr. Weil Gelder noch nicht geflossen sind und vielleicht auch, weil der ein oder andere noch immer mit der Situation überfordert ist.

teleschau: Was ist Ihnen als besonders deprimierend in Erinnerung geblieben?

Brenner: Besonders trist war es im Winter. Es liegt ja nicht nur alles in Schutt und Asche, sondern es steht auch kein Baum und Strauch mehr. Das wirkt wie ein Ödland, ohne Leben. Man nimmt in vielerlei Hinsicht wahr, dass hier irgendetwas ganz und gar nicht stimmt. Und das sind nicht nur die Häuserskelette und die fehlenden Menschen, die noch nicht wieder eingezogen sind - sondern auch das Drumherum, die Gärten, das Grüne. Und dann schaut man nach oben und blickt auf diese wunderschönen Weinberge. Dieses Pittoreske wirkt in seiner Diskrepanz zur Zerstörung sehr surreal.

teleschau: Wie betroffen ist man - trotz aller Professionalität - selbst?

Brenner: Ich fahre natürlich als Mensch hin - und erlebe das als mehr als beklemmend. Vor Ort spürt man diese Schwere. Das nimmt mich bis heute sehr mit. Die Distanz dabei zu wahren bekomme ich persönlich nicht hin. Es handelt sich ja nicht um etwas, das wie eine Krankheit heilen kann. Man kann zwar Gebäude wiederaufbauen und Brücken neu errichten. Aber es wird nichts mehr so sein wie vorher. Weder optisch noch in den Menschen selbst. Die Flut löste ja quasi ein Massentrauma aus.

Kaputte Häuser und dahinter hübsche Natur: "Dieses Pittoreske wirkt in seiner Diskrepanz zur Zerstörung sehr surreal", sagt Moderatorin Eva Brenner. (Bild: Eva Brenner)
Kaputte Häuser und dahinter hübsche Natur: "Dieses Pittoreske wirkt in seiner Diskrepanz zur Zerstörung sehr surreal", sagt Moderatorin Eva Brenner. (Bild: Eva Brenner)

"Die Angst überwog"

teleschau: Für die Doku waren Sie in Kontakt mit betroffenen Familien. Gab es vor Ort zunächst eine bestimmte Skepsis, die es zu überwinden galt?

Brenner: Ich begleitete in den letzten Monaten drei Familien. Da spürte ich keine große Distanz - ich wurde eher mit offenen Armen empfangen. Mir wurde bereitwillig erzählt, was vor einem Jahr geschah. Geht man da mit einer gewissen Ruhe ran und zeigt Mitgefühl und die eigene menschliche Seite, dann funktioniert das auch. Ich fühlte mich sehr gut aufgenommen. Eine der Familien, die leider keine Versicherung hatten, kam sogar in den letzten Monaten in meinem Haus in der Nähe unter. Sie entschieden sich nun aber, nicht wieder in den alten Ort zurückzukehren. Nun hoffen sie, in der Nähe Bauland und einen Weinberg zu bekommen.

teleschau: Was gab für diese Familie letztlich den Ausschlag, nicht zurückzuziehen?

Brenner: Die Angst überwog. Sie wollen wieder in Ruhe schlafen, ohne die Furcht, nachts aufzuwachen und zu denken: Die Flut ist wieder da. Für sie ging es damals um Leben und Tod. Die saßen auf dem Dach und mussten die letzten Meter ausnutzen. Alle Talbewohner bekamen mit, dass Nachbarn starben - wenn sie es nicht sogar gesehen haben.

teleschau: Sind diese Traumata überhaupt zu überwinden?

Brenner: Ich weiß von einem befreundeten Arzt und Psychologen, dass man vor Ort völlig überfordert war, was die Betreuung angeht. Schließlich ist eine ganze Region betroffen und traumatisiert. Meinem Gefühl nach ist das für die nächsten Jahre die größte Baustelle. Viele Traumata können gar nicht aufgearbeitet werden - gerade bei vielen Älteren gibt es solche Fälle. Wenn man dort verwurzelt ist und sein ganzes Hab und Gut hochbetagt verliert - wer baut das wieder auf, wer hilft?

teleschau: Erlebten Sie auch Positives, das hoffen lässt?

Brenner: Glücklicherweise gibt es in den kleinen Orten im Ahrtal noch einen recht gesunden Zusammenhalt, in der Ortsgemeinde und zwischen den Familien. Die Familien stehen ganz dicht, untereinander und beieinander. Würde so eine Katastrophe in einer Stadt passieren ohne diese Anbindung, wäre das meines Erachtens viel schlimmer. Es hilft den Menschen sehr, eine gute Gemeinschaft zu haben. Geholfen hat vielen auch die Erfahrung der Hilfsbereitschaft ...

teleschau: Tausende Freiwillige halfen nach der Flutkatastrophe ...

Brenner: Die Zahl der Helfer geht wirklich in die Hunderttausende. Viele verbringen noch immer Zeit dort, es entstanden Freundschaften. Zwei der Familien, die ich getroffen habe, bleiben dort und haben es auch durch die gute Vernetzung geschafft, in Windeseile wiederaufzubauen. Ich fand es erstaunlich, wie schnell beispielsweise eine Familie ihr Haus grundsanierte. Da half es auch, dass jeder jeden kennt, darunter Handwerker und andere Experten. Der Aktionismus tut den Menschen auch gut. Denn sie sehen: Es geht wieder nach vorne, es entsteht wieder etwas Schönes.

"Für mich ist es noch immer ein Rätsel, wie es in so einem vermeintlich infrastrukturstarken Land zu so einer Katastrophe kommen konnte", sagt Eva Brenner. (Bild: ZDF / Nadine Rupp)
"Für mich ist es noch immer ein Rätsel, wie es in so einem vermeintlich infrastrukturstarken Land zu so einer Katastrophe kommen konnte", sagt Eva Brenner. (Bild: ZDF / Nadine Rupp)

"Manchmal fühlt man sich in diesem Großen und Ganzen etwas hilflos"

teleschau: Wenn wir auf die Flutkatastrophe vor einem Jahr zurückblicken: Was waren denn die größten Fehler, die gemacht wurden?

Brenner: Um die größten Versäumnisse winden sich alle so ein bisschen herum - ohne jemanden an den Pranger stellen zu wollen. Für mich ist es noch immer ein Rätsel, wie es in so einem vermeintlich infrastrukturstarken Land zu so einer Katastrophe kommen konnte. Warum man die Menschen nicht früher evakuierte. Es sind Großstädte wie Köln und Bonn in der Nähe - warum wurde da nicht schneller reagiert? Viele haben es unterschätzt. Aber nun, da wir die Zeit nicht wieder zurückdrehen können, ist am wichtigsten: So etwas darf nie wieder geschehen.

teleschau: Was müsste dagegen denn getan werden?

Brenner: Die Evakuierungspläne müssen verbessert und Sirenen aufgestellt werden. Es muss ein Netz entstehen, um die Menschen zu retten - über Ländergrenzen hinaus. Das gilt nicht nur für die Ahr, sondern für alle Regionen in Deutschland, in denen das passieren kann.

teleschau: Kann eine ZDF-Doku wie Ihre dafür Bewusstsein wecken?

Brenner: Am Ende entscheiden die Politiker und Gremien, die gerade daran arbeiten. Ich glaube nicht, dass so eine Sendung etwas verändert oder beschleunigt. Dafür sind schon zu viele involviert. Manchmal fühlt man sich in diesem Großen und Ganzen etwas hilflos. Ich hoffe nur, dass das Bewusstsein für diese Katastrophe bleibt und man die menschliche Seite beleuchtet. Dass die Menschen nach wie vor Hilfe benötigen. Und dass in den nächsten Jahren viel und schnell verändert wird.

Bereits in Formaten wie "Mein Zuhause richtig schön" traf Eva Brenner auf Familien mit schweren Schicksalen. (Bild: ZDF / Nadine Rupp)
Bereits in Formaten wie "Mein Zuhause richtig schön" traf Eva Brenner auf Familien mit schweren Schicksalen. (Bild: ZDF / Nadine Rupp)

"Ich weiß, wie wichtig das eigene Zuhause ist"

teleschau: Sie erwähnten, dass Sie in der Region ein Haus besitzen. Haben Sie auch Freunde und Familie vor Ort?

Brenner: Freunde von mir leben in der Nähe, aber nicht im Ahrtal, sondern in Bad Münstereifel. Ich habe also auch persönliche Kontakte vor Ort und bin mit der Gegend verbunden. Mein Haus steht auf der anderen Seite, Richtung Bonn; ich bin dort also oft unterwegs. Das war auch ein Grund, warum ich an der Dokumentation mitwirkte.

teleschau: Gab es noch andere Gründe für Sie, bei der Doku mitzumachen?

Brenner: Als Planerin und Dipl-Ing. für Innenarchitektur ist mir natürlich das Thema Wohnen besonders vertraut - und ich weiß, wie wichtig das eigene Zuhause ist. Gerade für Familien. Nur so kann man verstehen, warum die Menschen dort bleiben. Das begreifen viele ja nicht: Was man mit Heimat verbindet, mit dem persönlichen Lebensraum. Dazu hatte ich noch einmal einen anderen Zugang. Zudem begleitete ich ja bereits in meinen anderen Formaten zahlreiche Familien mit schweren Schicksalen. Da gab es Anknüpfungspunkte.

teleschau: Bei Ihren anderen Sendungen geht es oft ja um ästhetische Fragen der Einrichtung. Derweil sind die Häuser im Ahrtal völlig zerstört, das Existenzielle steht im Vordergrund. Inwiefern konnten Sie Ihre Expertise überhaupt einbringen?

Brenner: Natürlich stehen andere Dinge im Vordergrund. Im Kleinen ging das dann aber trotzdem. Die Familien wollen es sich ja wieder schön machen, da geht es nicht allein ums Funktionale. Es soll wieder ein Zuhause werden. Es fühlt sich gut an, wenn man sich wieder schöne Möbel aussuchen und Materialien zusammenstellen darf. Eine in der Doku gezeigten Familien fragt mich oft nach Farben und wir tauschen Fotos aus. Für sie war es ein gutes Gefühl, dass sie mich fragen durften und ich sie betreuen und begleiten konnte. Es geht darum, dass die Familien sich nun wieder eine Zukunft vorstellen können. Das ist eine große Motivation - auch wenn man natürlich nicht 1:1 nachbauen kann, was an Altbauten und Fachwerk vorher bestand.

teleschau: Wann wird es im Ahrtal wieder alten Glanz und Gäste geben?

Brenner: Das Straßen- und Ortsbild wird ganz anders aussehen, da wird manche Kröte zu schlucken sein. Gerade geht es um den Wiederaufbau, aber ich hoffe, dass bald auch wieder Menschen wegen der schönen Orte und der tollen Landschaft ins Ahrtal kommen werden. Denn davon leben die Menschen dort auch. Bei allen Dramen und aller Trauer darf man nicht vergessen, dass auch in den Tourismus wieder Leben kommen muss - und wenn es in diesem Jahr nur im Herbst zur Weinernte und zum Wandern ist.

"Ich weiß, wie wichtig das eigene Zuhause ist": Normalerweise kennt man Eva Brenner als Moderatorin von Einrichtungssendungen wie "Mach was draus". (Bild: ZDF / Frank W. Hempel)
"Ich weiß, wie wichtig das eigene Zuhause ist": Normalerweise kennt man Eva Brenner als Moderatorin von Einrichtungssendungen wie "Mach was draus". (Bild: ZDF / Frank W. Hempel)