Vorbild Polizei? Wie das Verteidigungsministerium Ausländer als Soldaten rekrutieren will – und wie viele es am Ende wirklich werden könnten
Der Bundeswehr mangelt es am Allerwichtigsten: Soldatinnen und Soldaten. Bis 2031 soll die Truppenstärke der Bundeswehr 203.000 betragen. Aktuell haben die Streitkräfte jedoch schon Probleme, die Zahl von rund 180.000 Soldatinnen und Soldaten zu halten. Nicht nur fehlen Bewerber, auch ist die Abbruchquote bei neuen Kräften zu hoch, um die Zahl der Aktiven in der Bundeswehr wachsen zu lassen.
Um Gegenmaßnahmen gegen die Personalmisere bei den Streitkräften zu finden und zu implementieren, hat Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) deshalb im August vergangenen Jahres eine "Task Force Personal" einberufen. Anfang des Monats legte diese nun intern ihren 71-seitigen Abschlussbericht vor; das vertrauliche Dokument liegt Business Insider vor.
Der neben einer modifizierten Wehrpflicht womöglich bemerkenswerteste Vorschlag darin: die Bundeswehr solle prüfen, auch ausländische Staatsbürger in die Streitkräfte aufzunehmen. Bisher ist das gesetzlich ausgeschlossen. Konkret heißt es im Taskforce-Bericht: "Eine insbesondere bei Streitkräften anderer Nationen angestellte Überlegung bzw. Einstellungspraxis ist die Öffnung der Streitkräfte für Bewerbende ohne eigene Staatsangehörigkeit der jeweiligen Nation. (...) Unzweifelhaft besteht hier weiteres Wachstumspotenzial für die Bundeswehr, das zudem demografische und gesellschaftliche Realitäten berücksichtigen kann."
Pistorius zeigt sich offen für den Vorschlag. "Wir wären nicht die ersten Streitkräfte in Europa, die das tun würden", sagte er dem "Tagesspiegel". "Wir widmen uns diesem Thema mit der gebotenen Gründlichkeit, stehen aber noch am Anfang." Auch die Union und FDP haben jedoch bereits signalisiert, die Idee zu unterstützen.
Doch nach welchen Vorbildern und wie genau könnte sie umgesetzt werden? Business Insider kennt Details über die internen Überlegungen.
BMVg führte Gespräche mit Finnland, Schweden und Dänemark
So ist Pistorius Hinweis auf Streitkräfte in Europa, die bereits ausländische Staatsangehörige für den Dienst zulassen, zutreffend. Nach Informationen von Business Insider gab es bereits Gespräche der Führungsebene des Verteidigungsministeriums (BMVg) mit Regierungsvertretern aus Finnland, Schweden und Dänemark; auch mit Frankreich wurden Gespräche geplant.
Im Fokus des BMVg steht vor allem Dänemark. Das Land erlaubt es ausländischen Staatsbürgern, die in Dänemark leben, sich bei der dänischen Armee zu bewerben. Lediglich bestimmte Positionen – etwa Offiziersausbildungen an Königlichen Akademie – sind dänischen Staatsbürgern vorbehalten. Nach Informationen von Business Insider plant das BMVg einen Besuch in Dänemark, um sich vor Ort darüber zu informieren, wie die Integration ausländischer Staatsbürger in die nationale Armee funktioniert.
Das Verteidigungsministerium nimmt sich die Landespolizeien zum Vorbild
Das BMVg sucht jedoch auch in Deutschland Inspiration. Nach Informationen von Business Insider sollen gängige Regelungen bei den Landespolizeien als Blaupause für die mögliche Integration von Ausländern in die Bundeswehr herhalten.
Tatsächlich erlauben diese – unter unterschiedlichen Voraussetzungen – ausländischen Staatsbürgern bereits den Zugang zum Polizeidienst. Bei den meisten Landespolizeien können sich etwa auch Staatsbürger aus dem EU-Ausland bewerben. In Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein Rheinland-Pfalz können auch Nicht-EU-Ausländer sich bewerben, solange sie dauerhaft in Deutschland wohnen beziehungsweise einen entsprechenden Aufenthaltstitel vorweisen können.
In anderen Bundesländern sind die Regelungen etwas komplizierter. Bayern etwa erlaubt ausländische Staatsbürger nur im Polizeidienst, wenn diese mindestens fünf Jahre in Deutschland wohnen, eine Niederlassungserlaubnis vorlegen können oder EU-Bürger sind, die deutsche Muttersprache und Wort und Schrift beherrschen sowie am Tag der Einstellung in ihrem Heimatland nicht mehr einer Wehrpflicht unterliegen.
Mit wie vielen ausländischen Bewerbern könnte die Bundeswehr tatsächlich rechnen?
Auch im Fall der Bundeswehr dürfte es höchstens einen eingeschränkten Zugang für ausländische Staatsangehörige zum Dienst an der Waffe geben. Ministeriumsintern wurden vor allem EU-Bürger und Staatsbürger aus Nato-Partnerstaaten als Zielgruppe ausgemacht.
Doch inwieweit könnte die von der Taskforce Personal ins Spiel gebrachte "Öffnung der Bundeswehr für Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit" dabei helfen, den Personalmangel bei der deutschen Armee zu beheben? Zwar identifiziert die Taskforce in ihrem Bericht an den Minister rund fünf Millionen in Deutschland lebende EU-Bürger sowie weitere 1,85 Millionen im Land lebende Angehörige von Mitgliedsstaaten der Nato. Zumindest in der Theorie könnte der potenzielle Bewerberkreis für die Bundeswehr durch eine Ausländer-Regelung also drastisch vergrößert werden.
Doch wie ist es in der Praxis? Ein Blick nach Bayern gibt Anhaltspunkte. Auf Anfrage von Business Insider teilt die dortige Landespolizei mit: Seit 1993 – also dem Zeitpunkt, ab dem Ausländer unter bestimmten Voraussetzungen bei der Polizei Bayern arbeiten dürfen – seien 230 entsprechende Ausnahmeregelungen für Bewerberinnen und Bewerber erteilt worden. Aktuell hätten "mehr als 100 Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte der Bayerischen Polizei keine deutsche Staatsangehörigkeit". Bei einem Gesamtstellenbestand von mehr als 45.000 macht das einen Anteil von 0,22 Prozent.
Aus den Zahlen lässt sich deuten: Durch eine Öffnung der Bundeswehr für ausländische Staatsangehörige könnten zwar neue Kräfte für die deutschen Streitkräfte gewonnen werden. Es ist jedoch nicht unbedingt zu erwarten, dass deren Anzahl besonders groß ausfällt.
Ein Umstand, der dem BMVg offenbar klar ist – zumal die Integration von Ausländern in die Bundeswehr nicht die einzige angestrebte Maßnahme zur Personalgewinnung ist (lest hier, was die Task Force Personal weiterhin vorschlägt). Ministeriumsintern gilt es schon als Erfolg, wenn es im laufenden Jahr gelingen sollte, 2000 Soldatinnen und Soldaten mehr als 2023 für die Bundeswehr zu gewinnen sowie 1000 weniger Abbrecher bei der Bundeswehr-Ausbildung zu haben. Dann, so heißt es, befinde sich die deutsche Armee wieder auf einem Wachstumgspfad.