"Wahrheiten", so tödlich wie Waffen: Blick auf Russlands Lügenindustrie
Hinter die Kulissen einer Lügenindustrie: Eine hochbrisante neue Dokumentation beleuchtet die Mechanismen, mit denen Kreml, Geheimdienste und Militär die russische Bevölkerung Stimmung für den Angriffskrieg auf die Ukraine und gegen den Westen machen. Mit perfiden Methoden.
Es sind bizarre Szenen, die an eine völlig überzeichnete Filmsatire erinnern, aber leider doch rundum authentisch sind. Es sind Fernsehbilder von russischen Kindern, die begeistert auf das Kanonenrohr eines Panzers klettern, die Miniatur-Versionen der tödlichen Geschütze durch einen Kart-Parcours steuern und die zu Gewehren greifen, die dann mit lautem Knall und starkem Rückschlag echte Patronen auf einem Schießstand feuern. Alles nur ein Spiel? Nicht wirklich. Finanziert wird die 2015 südöstlich von Moskau gelegene "Patriot Park"-Freizeitanlage, ein beliebtes Ausflugsziel für Familien aus der Hauptstadt, vom russischen Staat. Präsident Putin hatte ihn einst höchstpersönlich eröffnet und in seiner Festrede von "patriotisch-militärischer Jugendarbeit" gesprochen. Eine Propaganda-Botschaft, die gut ankam - vor allem bei der jungen Zielgruppe. "Schießen ist cool", jubelt ein Junge im Mittelstufen-Alter und strahlt seine Mutter an. Und auch die zeigt sich angetan. Laden, anlegen, feuern als Freizeitspaß.
Die neue Dokumentation "Putins Propagandamaschine - Das manipulierte Volk" von Marc de la Villadière und Igor Sahiri, erstmalig bei ZDFinfo zu sehen am Montag, 5. Dezember, um 20.15 Uhr, und zuvor bereits ab Freitag, 25. November, in der ZDF-Mediathek abrufbar, nimmt ihr Publikum mit in eine Welt, die stark befremdet und die gänzlich anderen Regeln folgt, als man das in Mitteleuropa gewohnt schien. Das Beklemmende beim Blick hinter die planvolle Falschinformationsmaschinerie, hinter der Kreml, Geheimdienste und das russische Verteidigungsministerium stecken: Es sind alles Bilder, die eigentlich schon lange zu sehen waren. Es kann niemand, der in Verantwortung steht, behaupten, davon nichts gewusst zu haben.
Allgegenwärtig: das unheilvolle Kriegssymbol "Z"
Bislang verschloss der Westen allerdings oft die Augen und sah ungläubig darüber hinweg, wie die Mächtigen Russlands die Bevölkerung indoktrinierten. Im Rückblick zeigt sich: Die propagandistische Einstimmung auf den Angriffskrieg auf die Ukraine begann schon sehr früh. Und in Kriegszeiten floriert das professionelle Geschäft mit Falschbotschaften und Indoktrination.
Umgerechnet rund 300 Millionen Euro soll das russische Verteidigungsministerium in den Aufbau des "Patriot Parks" gesteckt haben - mit Panzershows und Mitmach-Waffenvorführungen als Hauptattraktion. Besonders irritierend wirkt eine der zentralen Bauten des Geländes: einer Kirche, die den engen Zusammenhalt von Orthodoxie und Militär im heutigen Russland feiern soll. Tatsächlich hörte man aus Krisen der russisch-orthodoxen Kirchenführung bislang keine Kritik an Putins Kriegsführung - im Gegenteil. Allgegenwart im Park: das auf Militärfahrzeuge aufgepinselte "Z", das Symbol für die Militäraktivitäten in der Ukraine.
Auch Wladimir Solowjow, einer der führenden TV- und Radio-Journalisten des Landes, der mit seinen Sendungen ein russisches Millionenpublikum erreicht, rückt prominent seinen auf dem Schreibtisch aufgeklappten Laptop ins Kamerabild. Auf der Rückseite des Computers: ein riesiges "Z". Allabendlich verbreitet Solowjow, der offenbar lange über einen engen Draht zu Putin verfügte und der den Staatsführer in Interviews mit Samthandschuhen anpackte und ihm so eine Bühne bot, Lügen über den Krieg.
Angebliche Gräueltaten von NATO und Ukraine-"Nazis"
Natürlich wählt Wladimir Solowjow aber ganz andere Worte: "Mein Job ist immer der gleiche", sagt er im Interview mit dem ZDF-Team. "Die Wahrheit zu verkünden." Doch was er unter "Wahrheit" versteht, nennt man im Westen dreiste Propaganda. So spricht der regimetreue Journalist immer wieder davon, dass die russische Kultur etwa in der Donbass-Region angeblich von einer ukrainischen "Nazi-Regierung" bedroht, ja sogar "vernichtet" werde. Solowjows "Wahrheiten" sind in Wahrheit gefährliche Wort-Waffen - mit erstaunlicher Reichweite. Sogar hierzulande werden solche Narrative bekanntlich schon von einigen übernommen.
Die gleichermaßen sehenswerte wie beunruhigende Dokumentation zeigt, auf welchen Boden solche Botschaften treffen. Wenn die Reporter etwa eine durchschnittliche Familie bei den alljährlichen, von Staatsseite pompös begangenen Feierlichkeiten zum Sieg über Nazi-Deutschland am 9. Mai begleiten. Oder wenn die Kameras dabei sind, wenn Schulklassen das Moskauer Museum für russische zeitgenössische Geschichte besuchen und dort angebliche Gräueltaten der NATO thematisiert werden.
Allerdings: Es gibt natürlich auch noch andere Stimmen im Land. Von mutigen Journalisten wie der Radio-Macherin Tatjana Felgenhauer. Allerdings sieht sie sich starken Repressionen ausgesetzt. Der kremlkritische Sender "Echo Mowsky", für den sie lange arbeitete, wurde vom Sender genommen. Felgenhauer betreibt nun einen unabhängigen YouTube-Kanal, um dem anderen Russland Gehör zu verschaffen. Traurige Wahrheit ist aber auch: Wie so viele Kritiker musste sie das Land verlassen, um sich als Medienschaffende im Ausland in Sicherheit zu bringen.