Warum die Nord-SPD vom Sieg überzeugt ist

Die SPD in Schleswig-Holstein glaubt fest an einen Sieg bei den kommenden Landtagswahlen. Tatsächlich lässt Spitzenkandidat Albig seinen CDU-Konkurrenten de Jager blass aussehen. Doch reicht das?

Sogar Heide Simonis ist gekommen. Fröhlich und wieder gut gelaunt nach ein paar Malaisen im vergangenen Jahr; der Ischiasnerv, der Kiefer, es war, als hätte sich wieder alles gegen sie verschworen.

Jetzt aber: Steht Heide Simonis mit einem Glas Rotwein an der Bar der "Halle 400", einem Veranstaltungszentrum an der Kieler Hörn, genießt die Umarmungen der Genossen und spricht ihrer Partei das aus ihrer Sicht vermutlich größtmögliche Kompliment aus: "Die Stimmung ist wieder so gut wie in meinen Wahlkämpfen."

Jedenfalls sind Schleswig-Holsteins Sozialdemokraten zum Auftakt der heißen Phase des Landtagswahlkampfs außerordentlich siegesgewiss. Sieben Jahre nach dem Verlust der von Simonis so lange und zäh verteidigten rot-grünen Macht im Norden, drei Jahre nach dem krachenden Ende einer völlig verunglückten Großen Koalition mit der CDU, dreieinhalb Wochen vor dem Wahlsonntag, steht für die rund 350 an der Hörn versammelten Genossen fest: "Wir werden diese Wahl gewinnen."

So sagt es Torsten Albig, der Spitzenkandidat der SPD. So sagt es Ralf Stegner, der hiesige Landesvorsitzende. So sagt es auch Simonis. So sagen es alle hier. Und man fragt sich: Woher nehmen die bloß die Gewissheit?

Alle Umfragen, alle Wahlbörsen, alle Experten kommen in ihren Prognosen für den 6. Mai auf ein äußerst komplexes Wahlergebnis, in dem die SPD – mal mehr, mal weniger - weit davon entfernt ist, stärkste Partei im Norden zu werden.

Die jüngsten Umfragen sehen die Union mit 34 Prozent und zwei Punkten vorn, das Wahlbarometer der örtlichen Tageszeitung sieht die Christdemokraten sogar sechs Punkte vor der SPD, die auf 30 bis 32 Prozent kommen würde.

Die Frage, ob es dann mit Grünen zu einer Mehrheit reichen wird, ist mindestens so schwer zu beantworten wie die, ob FDP und Linke am Ende doch noch den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen. Alles Spökenkiekerei, wie man hier oben zu sagen pflegt. Es muss also andere Gründe für den großen sozialdemokratischen Optimismus geben.

Da ist zum einen der Sympathie-Vorsprung des eigenen Spitzenkandidaten gegenüber dem Rivalen von der CDU. Torsten Albig schneidet bei der Frage, wen sich die Bürger als Ministerpräsidenten wünschen, deutlich besser ab als Jost de Jager, der noch immer mit dem Makel leben muss, als Spitzenkandidat nur zweite Wahl gewesen zu sein.

Nur der Ersatzmann für den wegen seiner Liebesaffäre mit einer 16-Jährigen aussortierten Christian von Boetticher. Albig dagegen strahlt dank seines viele Beobachter überraschenden Triumph bei der Oberbürgermeisterwahl in Kiel im Jahr 2009 eine gewisse Siegermentalität aus.

Da ist zum anderen die größere Auswahl an potenziellen politischen Partnern. Sowohl die Grünen als auch der SSW, die Partei der dänischen Minderheit hier oben im Norden, haben signalisiert, dass ein Bündnis unter Führung der Sozialdemokraten für sie die erste Option einer Regierungsbildung sei.

Sogar die FDP würde sich im Fall des Falles einer Ampelkoalition kaum entziehen. Und selbst, wenn das alles nicht reicht: Eine Wiederauflage der Großen Koalition, selbst als Juniorpartner, wäre immer noch möglich. Etwas Besseres als die Opposition, so lautet die SPD-Devise zum Wahlkampfauftakt, finden wir überall.

Der wichtigste Grund für das sozialdemokratische Hochgefühl aber ist, dass Albig und Stegner es tatsächlich und entgegen aller Prognosen geschafft haben, zumindest für die Zeit dieses Wahlkampfes ein exzellent funktionierendes Tandem zu bilden.

Stegner, der Parteichef, bedient und bändigt mit flinkem Kopf und nur noch manchmal gewohnt brachialer Rhetorik den in Schleswig-Holstein traditionell starken linken Parteiflügel. Er hält seinem Spitzenkandidaten, dem er selbst in einer Urabstimmung unterlegen war, äußerst diszipliniert und professionell den Rücken frei.

Torsten Albig versucht mit bürgerlicher Attitüde und großem emotionalen Engagement ins bürgerliche Lager vorzudringen. Sein Wahlkampfslogan "Mein Lieblingsland" ist hinreichend nichtssagend; seine programmatischen Ansagen – "Wir wollen Kinder und Jugendliche stark machen" – in fast schon provozierender Art Allgemein. Welche Partei würde von sich behaupten, dass ihre Politik diesem Ziel nicht diene?

Keine Ecke, keine Kante, keine klaren Aussagen, dafür eine ordentliche Portion Pathos – so zieht Torsten Albig in die letzten Wahlkampfwochen, in denen er quasi rund um die Uhr durch das Land ziehen und die Bürger zum Mitmachen motivieren will.

"Beteiligung" ist eines seiner Zauberwörter, mit dem er auch noch versucht, den Piraten ein wenig das Wasser abzugraben. "Wichtig für gutes Regieren" sei, so Albig, "schon im Vorwege von Entscheidungen offen und mit ungezinkten Karten in einen Dialog einzutreten".

Die Zeiten, in denen Albig, der Oberbürgermeister von Kiel und frühere Sprecher der Bundesfinanzminister Lafontaine, Eichel und Steinbrück, am liebsten per Handstreich und sehr entscheidungsfreudig die Bundesländer abgeschafft und so eine Verwaltungsebene eingespart hätte, sind längst vorbei. Stattdessen gibt Albig, der Wahlkämpfer und Ministerpräsidentenkandidat zum Schluss seiner Wahlkampfrede ein Versprechen ab: "Wir glauben an die Zukunft dieses Landes."

Heimat, Zusammengehörigkeit, Mitsprache – Albig bedient Schleswig-Holsteins bürgerlichen Bauch, Stegner dagegen den Sturkopf der hiesigen Genossen. So fühlen sich alle wohl und siegesgewiss.

Zweifel, ob die Symbiose dieser beiden ungleichen Charaktere über den Wahltag hinaus funktioniert, werden in der Halle 400 beiseite gewischt. Beide würden nach einem Wahlsieg gebraucht, Albig als Ministerpräsident und Landesvater, Stegner weiter als starker Partei- und Fraktionschef, so stellt man sich das idealerweise vor.

Nur was passiert, wenn die SPD in die Opposition muss, darüber redet man nicht so gerne. Jedenfalls nicht öffentlich. Unter Hand gilt es aber als ausgemacht, dass Albig dann Oberbürgermeister bliebe. Bisher rührt sich in Kiel keine Hand, um eine Neuwahl des Stadtoberhauptes zu organisieren.

Der Weg zurück ist offen, eine Debatte wie sie der nordrhein-westfälische CDU-Spitzenkandidat Norbert Röttgen erlebt – ganz oder gar nicht Landespolitik – findet an der Förde nicht statt.