Warum mit dem Brexit das Abendland nicht untergeht

Großbritannien stimmt für den Ausstieg aus der EU. Das ist ein schwarzer Tag für Europa. Aber nicht das Ende des besten Projekts, das der Kontinent je sah.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Im Morgengrauen dieses Freitags schält sich also doch die große Überraschung heraus. Die Briten haben sich für den Brexit entschieden. Dieses demokratische Votum an sich gilt es erstmal zu würdigen. Doch dann müssen die Taschentücher heraus.

Für Europa ist dieser Urnengang ein Desaster. Nicht eine Niederlage für die so genannten „Eliten von Brüssel“, oder für das „Bürokratenkarussell“, oder „Antinationale“ – dieser Tag ist eine Niederlage für das Konzept, Freiheit mit Solidarität zu verbinden.

Brexit-Votum in Großbritannien - ein Überblick

Die Argumente der Brexit-Befürworter werden als jämmerlich in die Geschichtsbücher eingehen. Ihre Kritik an der EU und ihre Furcht vor den Folgen eines Verbleibs in der EU waren immer vage. Konkret dagegen war der Wille zur Abschottung, der fremdenfeindliche Tenor. Dieser Tag ist ein großer für die Populisten in Europa. Aber es kann gut sein, dass sie heute einen Pyrrhussieg errungen haben. Denn zum ersten Mal wird die Politik von Populisten, die natürlich wie immer von rechts nach rechts blinken, konkrete Folgen zeitigen. Bisher hat die Politik von rechten Parolendreschern immer nur Konsequenzen für Minderheiten gehabt, auf denen herumgehackt wird. Nun aber wird ein ganzes Land sich den Folgen dieses Votums zu stellen haben. Es hat sich für den ewigen Kreisverkehr entschieden.

Es wird kälter

Und der Ausgang wird bitter sein für die Briten. Sie werden von einem Austritt aus der EU nur verlieren. Natürlich erstmal wirtschaftlich. Aber die EU war von Beginn an mehr als eine Wirtschaftsgemeinschaft. In ihr ist der Gedanke des Gemeinschaftlichen angelegt, des Respekts, der Friedfertigkeit und der Solidarität. Der Neugierde vor einander und der Warmherzigkeit miteinander. Nun mehr auf sich allein gestellt, wird die britische Gesellschaft aus allen Richtungen einen kälteren Wind spüren. Natürlich werden sie diesen Schritt von heute bald sehr bereuen.

Brexit: Vier mögliche Modelle

Aber nun wird es erstmal so sein. Die Gründe für den Brexit müssen auch weniger in Brüssel als in London gesucht werden. Großbritannien bleibt eine Insel – und Insulaner ticken immer anders, davon wissen zum Beispiel die Festlandostfriesen ein Lied zu singen, wenn sie etwas über die Baltrumer oder Norderneyer berichten sollen. Großbritannien ist eine ehemalige Großmacht, die den Phantomschmerz ihres Niedergangs nie ganz beigelegt hat. Großbritannien sah Bedrohungen immer als von außen kommend.

Großbritannien hat keinen dreißig Jahre währenden Krieg erlebt mit Verwüstungen und Entvölkerungen wie Kontinentaleuropa. Die Wunden waren niemals so groß, daher die Leichtigkeit dieser Entscheidung von heute.
Und nun ganz ehrlich: Den Untergang des Abendlandes bedeutet der Brexit nicht. Die Folgen bleiben nur auf der großen Insel groß. Im Rest Europas wird er die Wirtschaft schwächen, ja, und das wird schmerzen. Aber zum einen wird es keinen Dominoeffekt geben. Weder in Spanien noch in Italien oder anderswo wird es Nachahmer geben – so dumm sind wir Kontinentaleuropäer einfach nicht; nicht nach den historischen Erfahrungen der vergangenen Jahrhunderte und nach den messbaren Fakten, dass die EU der vergangenen Jahrzehnte eine echte Erfolgsstory ist. Und zum anderen wird diese EU-Gemeinschaft auch weiterhin funktionieren.

Das beste Projekt bleibt das beste

Als zu lebensfähig hat sich die EU erwiesen. Der Brexit wird keine Persönlichkeitskrise der EU auslösen. Die Gründe für das Ausscheiden der Briten bleiben bei den Briten.

Nun gilt es den Blick zu schärfen für die Vorteile und Nachteile der EU. Erstere überwiegen grandios. Vielleicht kann die Gemeinschaft sogar nun befreit agieren, noch enger zusammenrücken.

Den Briten aber sollte aber immer die Hand ausgestreckt bleiben. Die Trennung sollte so fair wie möglich und mit so viel bleibender Kooperation wie möglich ausgehandelt werden. Europa sollte sich nicht enttäuscht von den Briten abwenden. Dafür brauchen sie uns nach dieser bitteren Entscheidung umso mehr.

Brexit-Votum in Großbritannien - ein Überblick