Was kommt mit der Wagenknecht-Partei auf Deutschland zu? Die Antwort in neun Punkten

Sahra Wagenknecht beim Auftritt einer Demo gegen die militärische Unterstützung der angegriffenen Ukraine in diesem Februar in Berlin (Bild: REUTERS/Christian Mang)
Sahra Wagenknecht beim Auftritt einer Demo gegen die militärische Unterstützung der angegriffenen Ukraine in diesem Februar in Berlin (Bild: REUTERS/Christian Mang)

Tut sie es, oder tut sie es nicht? Anscheinend doch: Sahra Wagenknecht steuert auf die Gründung einer neuen Partei zu, es wird ihre Solonummer. Was es bedeutet, wenn eine bekannte und beliebte Politikerin sich selbständig macht, ist noch unklar. Aber Folgen wird es haben. Ein erster Überblick in neun Punkten.

Eine Analyse von Jan Rübel

Die Monate, in denen Sahra Wagenknecht in sich ging und gleichzeitig die halbe Republik daran teilhaben ließ, wie sie in sich ging, sind kaum zu zählen. Nun aber das Ergebnis ihrer Meditation: Wagenknecht gründet eine neue Partei, ihre bisherige, Die Linke, wird sie bestimmt bald verlassen. Sowas gab es schon lange nicht mehr: Aus dem Stand kommt eine neue Partei über Deutschland. Was bedeutet all dies?

Wer steht hinter der Partei?

Noch ist nur der Name eines Vereins bekannt: BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht) – Für Vernunft und Gerechtigkeit e.V. Ob die Partei auch so heißen wird, ist noch nicht bekannt. Dahinter steht erstmal … Sahra Wagenknecht. Sie ist nicht nur Aushängeschild, Frontwoman und Programm. Die Partei ist sie, eine Art Unternehmen wie eine GmbH. Einige Getreue von ihr sind in der Linkspartei aktiv, etwa als Bundestagsabgeordnete. Innerhalb der Fraktion sind diese bekannt als linker Flügel, gern mal querdenkend, eher westdeutsch. Das deckt sich eigentlich nicht komplett mit Wagenknecht, die wenig netzwerkend und mehr solitär unterwegs ist, durchaus auch konservative Einstellungen hat und ostdeutsche Sozialisierung aufweist.

Wofür steht die Partei?

BSW wird eine linke Politik vertreten. Ihre Vertreter sind politisch links. Nur sind sie weniger „international“ unterwegs, denn Wagenknecht vertritt einen national geprägten Kurs – mit einem Blick auf deutsche Arbeiter, deutsche Frauen, deutsche Befindlichkeiten und damit wenig Interesse für nichtdeutsche Menschen in Deutschland, wenig Interesse für Klimaschutz und Umweltschutz. Diese Partei ist mehr gegen als für etwas.

Was bedeuten „Für Vernunft und Gerechtigkeit“?

Diese schwammigen Begriffe deuten auf Populismus hin. Denn was Vernunft ausmacht, sehen viele unterschiedlich. Es ist wie in der Kneipe oder im Freundeskreis: ein Thema, zwei Meinungen. Die eigene als vernünftig darzustellen, bedeutet automatisch, dem Andersdenkenden Unvernunft zu unterzustellen. Unter Freunden kommt sowas schlecht an. Aber es lässt sich damit polarisieren, aufregen. Und genau dies will Wagenknecht.

Was ist das Potenzial dieser Partei?

In Umfragen weisen die Zahlen dieser neuen Partei zweistellige Ergebnisse zu. Wagenknecht ist sehr bekannt und beliebt. Wo sie auftritt, füllen sich die Säle; die Berlinerin hat eine treue Anhängerschar. In der Parteienlandschaft könnte „BSW“ von ganz links und ganz rechts Stimmen einsammeln. Das ist inhaltlich gesehen langfristig sehr schwierig bis unmöglich. Kann aber gelingen, wenn dem BSW eine möglichst populistische Klammer gelingt und die inhaltlichen Differenzen auf einen äußeren Gegner projiziert.

Vor allem Sahra Wagenknechts bisherige Partei die Linke wird Federn lassen
Vor allem Sahra Wagenknechts bisherige Partei die Linke wird Federn lassen

Wer wird durch diese Partei die meisten Probleme kriegen?

Zuallererst wird Wagenknechts bisherige Partei Federn lassen. Die Linke wird durch den Auszug mehrerer Parlamentarier im Bundestag ihren Fraktionsstatus verlieren. Das hat zur Folge, dass Mitarbeiter entlassen werden müssen, die „Manpower“ sinkt und auch deutlich weniger Redezeit im Plenarsaal zur Verfügung stehen wird. Die Sichtbarkeit der Linken verblasst. Auch hat Wagenknecht der Partei bisher Stimmen beschert, zum Beispiel als Spitzenkandidatin im bevölkerungsreichen NRW, obwohl sie kaum vor Ort war, kaum Wahlkreisarbeit leistete und mit den Linken in der Region eh zerstritten ist.

Wer wird noch Kopfschmerzen kriegen?

Die AfD muss ihren Umgang mit dem BSW finden. Beide Parteien werden um eine gewisse Schnittmenge an Wählern buhlen. Allerdings wird das BSW links bleiben. Nur Protestwähler, die nicht bis ins Mark rechts orientiert sind und den anderen Parteien durch das Kreuz bei der AfD einen „Denkzettel“ geben wollten, könnten sich von der AfD ab- und dem BSW zuwenden. Auf dem Spiel stehen ungefähr fünf bis zehn Prozent.

Was bedeutet diese Partei für die Politik in Deutschland?

Erst einmal wird es bunter. Den Wählern wird eine neue Option innerhalb der Demokratie angeboten. Das ermöglicht neue Konstellationen. Doch der Diskurs wird schwieriger. Denn entgegen dem für sich gebuchten Merkmal der „Vernunft“ ist ein harscher und polarisierender Ton von „BSW“ zu erwarten, auch ein Wettbewerb mit der AfD um die schrillsten Noten ist möglich. Das macht eine Verständigung, die in der Politik immer notwendig ist, schwieriger. Und die anderen Parteien müssen überlegen, wie sie auf diese Populismen reagieren.

Wird diese Partei Bestand haben?

Derzeit ist das Interesse groß. Es ist aber ein bisschen wie mit dem Warten auf die Bescherung unterm Weihnachtsbaum: Die Vorfreude bringt meist die größte Aufregung. Und das Geschenk (hoffentlich) die meiste Zufriedenheit. „BSW“ wird liefern müssen. Es braucht ein Programm mit Orientierung. Ein Netzwerk und eine funktionierende Struktur. Von Wagenknecht ist bekannt, dass sie all dies nicht kann. Sie kann reden und schreiben. Mitreißen. Aber eine Partei lässt sich nicht aus Talkshows heraus regieren. Wagenknecht scheiterte schon einmal: Vor ein paar Jahren versuchte sie, ihre Anhängerschaft durch die neugegründete Gruppe „Aufstehen“ zu sortieren. Der Versuch schlug fehl wegen krassen Missmanagements. Das Medieninteresse kann schnell abflauen.

Und wenn die Partei scheitert?

Dann kann Wagenknecht sich sagen, sie habe es probiert. Sie habe ihre Meinung parteipolitisch zu binden versucht. Und dann wird sie weitermachen, was sie bisher schon umtreibt: Im Fernsehen auftreten, ihre Anhänger durch Bücher und Auftritte bedienen. Und weiterhin so tun, als würde sie die „wahren“ Probleme des Landes ansprechen, wie etwa Gendern. Eine Marktlücke wird sie immer finden.