Wenn Frankreich fällt, fällt Europa: Was passiert, wenn Le Pen an die Macht kommt?

Euro-Krise, Flüchtlingskrise, Brexit: Sorgenvoll blicken Pro-Europäer in die Zukunft – und derzeit vor allem nach Frankreich!

Schon 2016 war für die Europäische Union eine gewaltige Herausforderung. Jean-Claude Juncker sprach gar von einer „Polykrise“. An allen Ecken und Enden brenne es, skizzierte der EU-Kommissionschef die Lage der EU mit deutlichen Worten. 2017 könnte sich die EU-Krise weiter verschärfen, fürchten Beobachter. Unter anderem dann, wenn EU-feindliche Rechtspopulisten weiter Auftrieb bekommen.

Für die EU wäre ihr Sieg eine Zerreißprobe

Die größten Gefahren für die EU gehen nach Meinung von Experten von den Präsidentschaftswahlen in Frankreich aus, wo der rechtsnationale Front National die traditionellen Parteien unter Druck setzt. Sollte Marine Le Pen aus der zweiten Runde der französischen Präsidentschaftswahl entgegen der Erwartungen als Siegerin hervorgehen, würde nicht nur das deutsch-französische Verhältnis besonders belastet. Für die EU wäre es die Zerreißprobe.

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Joachim Fritz-Vannahme, Direktor des Programms „Europas Zukunft“ der Bertelsmann-Stiftung, sagt über die Rechtspopulistin Marine Le Pen: „Gefahr geht von ihr dann aus, wenn sie den Schaltzentralen der Macht nahekommt oder sich in diesen gar festsetzt.“ Denn, so der Europa-Experte, „als Sammelbecken für Protest gegen das ‚System‘ hat der Front National in den vergangenen dreißig Jahren die Rolle der bedeutungslos gewordenen Kommunistischen Partei übernommen – und mit der Rolle einen Großteil von deren Wählerschaft.“ Neu sei also nicht, „dass ein Viertel bis ein Drittel der Franzosen unzufrieden mit der Republik“ seien – „neu ist, dass Le Pen so mächtig geworden ist, dass sie womöglich diese Republik von Grund auf verändern kann.“

Möglich, dass Marine Le Pen die Präsidentschaftswahl in Frankreich gewinnt? „Möglich: ja. Wahrscheinlich? Nein“, sagt Fritz-Vannahme. „Selbst, wenn die Umfragen Marine Le Pen derzeit deutlich vorne sehen, so sind die Wahlen zum Präsidenten etwas anderes als eine Umfrage.“ Denn, so der Europa-Experte: „Sie ermöglichen es den Wählern, im ersten Durchgang die Leidenschaft, la passion, sprechen zu lassen. Im zweiten Wahlgang, im Duell der beiden Bestplatzierten, spricht dann in der Regel die Vernunft, la raison“, sagt der Politikwissenschaftler. „Und da werden sich die gemäßigt rechten und gemäßigt linken Wähler gegen Le Pen verbünden. Das könnte am Ende reichen, um ihr den Einzug in den Elysée-Palast zu verbauen.“

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Ein Gefühl der Unsicherheit mit Blick auf die Wahlen in Frankreich bleibt. Was würde es für die EU bedeuten, wenn Marine Le Pen es doch bis ins Präsidentenamt schaffen sollte? „Le Pen hat jüngst ihre Ankündigungen abgeschwächt, nach einer Wahl in einem Referendum über die Zukunft des Euro entscheiden zu lassen“, sagt Fritz-Vannahme. „Jetzt fordert sie eher die Einführung einer europäischen Währungsschlange, wie sie es in den neunziger Jahre einmal gab.“

Die Folgen würden sich jedoch in beiden Fällen gleichen, warnt der Experte: „Der Euro stünde vor dem Ende, die Integration der EU würde ihr ehrgeizigstes Projekt und Instrument verlieren. Da in Berlin fast alle Parteien an Integration und Euro festhalten, wäre dies auch eine nie gekannte Wende in der deutsch-französischen Zusammenarbeit seit Ende des zweiten Weltkrieges.“

„Ein politisches Gemeinwesen namens EU wäre am Ende“

Das Wort vom Europa der Nationen gehe Marine Le Pen „leicht über die Lippen“, sagt Fritz-Vannahme zudem. „In der politischen Wirklichkeit hieße das jedoch: Jeder für sich, keiner für alle. Aus nationalen Egoismen würden dann rasch Nationalismen. Ein politisches Gemeinwesen namens EU oder Europa wäre dann am Ende.“

Gerade auf dem Präsidentschaftskandidaten der französischen Konservativen, François Fillon, ruhen jetzt viele Hoffnungen. Viele Wähler sind allerdings wenig begeistert von den Einschnitten, die er angekündigt hat. Fritz-Vannahme sagt: „Fillon kann mit seinem katholischen, betont provinziellen Konservatismus dem Front National Konkurrenz machen.“ Sein liberales Wirtschaftsprogramm hingegen dürfte dem FN und Le Pen viele, gerade linke Wähler zutreiben.“ Fillon wolle einerseits „la France profonde“ repräsentieren, andererseits sein Land fit machen für den globalen Wettbewerb. „Letzteres jedoch ist für viele Franzosen eine erschreckende Vorstellung.“

Fillon hatte sich Ende November bei den Vorwahlen der Republikaner gegen Ex-Premierminister Alain Juppé durchgesetzt. Die erste Runde der Präsidentenwahl in Frankreich findet am 23. April 2017 statt, eine mögliche Stichwahl ist am 7. Mai vorgesehen.

Zuvor wird im Nachbarland gewählt: In den Niederlanden stehen am 15. März 2017 die Parlamentswahlen bevor. Die Partei für die Freiheit (PVV) von EU-Gegner Geert Wilders liegt in Umfragen als stärkste Partei vorne. Die Skepsis gegenüber solchen Umfragen im Land ist zwar groß. Dennoch blicken in der EU 2017 viele Beobachter mit Sorgen auch auf diese Wahl.

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