Was sich bei einer Werksabholung erleben lässt

Graz/Wolfsburg (dpa/tmn) - Von wegen blitzblanker Lack: Wo Neuwagen sonst für die Erstbegegnung auf Hochglanz poliert werden, gibt's hier Schlamm und Staub. Denn wer nach Graz kommt, um seine neue Mercedes G-Klasse selbst abzuholen, kann den Geländewagen gleich artgerecht bewegen. Hier schicken sie die neuen Besitzer in der G-Klasse erst einmal über einen Dschungelpfad durchs Moorbad und über Stock und Stein.

Gourmet-Essen in Graz für G-Klasse-Kunden

Und sie bitten kräftig zur Kasse dafür: 3000 Euro kostet nach Angaben des Herstellers die Werksabholung. Diese beginnt mit einem steirischen Gourmetessen und einer Hotelübernachtung. Und erst am Nachmittag des Folgetages endet sie, wenn die Kunden mit einem dann natürlich doch wieder blitzblanken Auto nach Hause fahren.

Während sie in Graz großes Aufheben ums neue Auto machen, geht es in Ingolstadt, Sindelfingen, Wolfsburg oder München deutlich nüchterner zu. Wie auf dem Amt flimmern die Zeitslots über die Bildschirme, bevor der Papierkram erledigt wird.

Und wenn man dran ist, gibt’s meist eine Druckbetankung: Ein paar Schritte ums Auto, eine kurze Einweisung, die ersten individuellen Einstellungen, auf Wunsch noch ein Foto, vielleicht noch einen Imbiss und dann heißt es: «Der nächste, bitte!»

Ein Neuzugang in der Familie

Doch selbst wenn das Erlebnis weniger eindrucksvoll ist, gehört die Werksabholung für viele offenbar einfach dazu - schließlich ist das Auto für die Allermeisten nach der Immobilie das teuerste Investitionsgut im Leben und oft so lieb wie ein Familienmitglied - da will es auch würdig in den Kreis der Familie aufgenommen werden.

«Das Auto im Werk abzuholen kann für viele noch ein schöner Tag werden», sagt Automobilwirtschaftler Ferdinand Dudenhöffer und denkt dabei an die Museen oder die Erlebniszentren wie die Autostadt in Wolfsburg. Zwar räumt auch der Professor aus Duisburg ein, dass solche Übergaben in der Ära von Amazon und Auto-Abos etwas aus der Zeit gefallen wirken. «Aber das Drumherum ist oft eine Reise wert, selbst wenn es nicht gleich die Übernachtung im Luxushotel sein muss», so Dudenhöffer.

«Und statt die Überführungskosten beim Händler zu zahlen, kann man daraus auch einen Erlebnistag machen», so Dudenhöffer. «Oder man nutzt das als Verhandlungsmasse und schindet diesen Kostenbeitrag als Rabatt raus.»

Selbstabholungen erfahren noch großen Zuspruch

Mercedes unterhält in jedem Werk ein Kundencenter zur Selbstabholung - mit Erfolg: Die drei Kundencenter Rastatt, Sindelfingen und Bremen hätten in den letzten Jahren zusammen im Schnitt weit über 100 000 Fahrzeuge jährlich an Kunden ausgeliefert, sagt Pressesprecher Dietmar Göllner.

Das mag allerdings auch daran liegen, dass die Abholung bei Mercedes kostenlos ist. BMW dagegen verlangt nach eigenen Angaben je nach Paket 960 oder 1320 Euro und bittet dann unabhängig vom Produktionsstandort in die BMW Welt nach München, wo im letzten Jahr knapp 9000 Kunden ihren Neuwagen übernommen haben.

Dort gibt es neben einem vollen Akku oder einer «Teilbetankung» mit mindestens 15 Litern 70 oder 90 Minuten Einweisung, ein Essen, eine Runde durchs Werksmuseum und natürlich die Abholung am Bahnhof oder Flughafen.

Zwischen Autostadt und Gläserner Manufaktur

Auch VW lässt sich die Übergabe in der Wolfsburger Autostadt und der Gläsernen Manufaktur in Dresden bezahlen und verlangt nach Angaben des Unternehmens je nach Modell und Programm ab 645 Euro. Dafür gibt es bei 200 bis 300 Übergaben pro Tag neben dem feierlichen Moment am Fahrzeug freien Eintritt für die ganze Familie, eine Werksführung, einen Imbiss und Rabatte in den verschiedenen Shops.

Die Schwester Audi macht es ganz ähnlich und hat in den Kundencentern in Ingolstadt und Neckarsulm so bis Ende Mai bereits rund 14 000 Fahrzeuge persönlich übergeben - samt Imbiss und Erklärung natürlich.

Und bei Porsche hat die Werksabholung nicht nur die längste Tradition und wird seit über 70 Jahren gepflegt. Sondern wer nicht nach Zuffenhausen, sondern ins Werk Leipzig zur Abholung kommt, kann die Jungfernfahrt mit seinem Neuwagen nach Angaben des Unternehmens sogar auf der hauseigenen Rennstrecke machen.

Werksabholung als Auslaufmodell?

Zwar halten die heimischen Hersteller tapfer die Tradition der Werksabholung aufrecht. Und Autoexperte Stefan Bratzel ist überzeugt davon, dass sie im Ringen mit den Newcomern zum Beispiel aus China ihre Kundenbindung pflegen und verbessern müssten. «Doch das ausgerechnet mit der Fahrzeugübergabe in der Fabrik zu versuchen, ist ein etwas verstaubtes Konzept», urteilt der Professor an der Hochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach.

Bei Luxusmodellen und exklusiven Marken könne die Übergabe vielleicht noch als einem Event mit bleibendem Erinnerungswert inszeniert werden, räumt er ein. Und das Mercedes-Programm in Graz ist dafür das vielleicht beste Beispiel.

Doch ansonsten erinnert ihn das Prozedere in der Autostadt, in Sindelfingen oder Ingolstadt eher an eine Massenabfertigung. Die sei in Zeiten von Digitalisierung, Flagship-Stores und Webshops ein wenig antiquiert. Statt in ein warmes Essen und einen Blumenstrauß sollten die Hersteller da besser in andere Dienste und digitale Projekte investieren, um die Kunden an die Marke zu binden.