Wie die AfD bei Nawalnys Tod ihre Liebe zum Rechtsstaat entdeckt

Demonstranten in Warschau vor der russischen Botschaft mit dem Konterfei der gestorbenen Kremlkritikers Alexej Nawalny (Bild: Dawid Zuchowicz/Agencja Wyborcza.pl via REUTERS)
Demonstranten in Warschau vor der russischen Botschaft mit dem Konterfei der gestorbenen Kremlkritikers Alexej Nawalny. (Bild: Dawid Zuchowicz/Agencja Wyborcza.pl via REUTERS)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Man muss eben Prioritäten setzen. Tino Chrupalla, Co-Sprecher der AfD, offenbarte in diesen Tagen seine Gefühlslage. Er zeigte, was ihn erschüttert.

"Ich finde es teilweise schon unerträglich, wie die letzten Tage bereits feststeht, wer für diesen Tod verantwortlich gemacht wird", sagte er mit Blick auf das Ableben Alexej Nawalnys, des wohl stärksten Kritikers des Kremlregimes in Russland. Wie Nawalny starb, ist nicht genau bekannt – denn die russischen Behörden mauern, geben den Leichnam nicht frei. Aber: In der Verantwortung steht der russische Staat schon. Hatte er doch Nawalny in ein Straflager an den sibirischen Polarkreis geschickt. Die Lebensbedingungen dort waren jedenfalls das, was man nicht nur als teilweise unerträglich, sondern gänzlich unerträglich bezeichnen muss. Russlands Alleinherrscher Wladimir Putin hat Nawalny auf dem Gewissen.

Zuerst versuchte man ihn mit einem Nervengift über den Jordan zu bringen. In Berlin von Ärzten wieder geheilt, flog Nawalny zurück nach Russland und wurde sofort verhaftet: Wegen angeblichen Verstößen gegen Bewährungsauflagen (er hatte sich dummerweise vergiften lassen) aus einem früheren, zweifelhaften Urteil. Es kam noch weitere hinzu, wegen Veruntreuung, Beleidigung und Extremismus – wer Putin kritisiert, muss sich über eine mangelnde Phantasie der einprasselnden Vorwürfe keine Sorgen machen. Der russische Rechtsstaat zeigt am Beispiel Nawalnys seit Jahren, wie wenig ihn Rechtsstaatlichkeit interessiert.

Was nicht passt, wird passend gemacht

Doch genau die entdeckt gerade Chrupalla von der AfD. Die Vorwürfe an die russische Regierung nach dem Tod des Oppositionellen findet er voreilig. Dabei ist klar: Natürlich ist es theoretisch möglich, dass Nawalny vielleicht auch so gestorben wäre, wie er gestorben ist, hätte er als Putin-Buddy in einem der Putin-Buddy-Paläste gesessen. Aber in der Praxis verkleinert sich diese Möglichkeit zusehends. Denn das Regime setzte alles darauf, Nawalny fertigzumachen, auch seine physische Existenz. Das ist die Schuld des Regimes. Das festzustellen ist keine Vorverurteilung, sondern ein Fakt.

Doch Chrupalla kam in Fahrt. Die Rede von Nawalnys Witwe bei der Münchner Sicherheitskonferenz bezeichnete er nach Angaben des ZDF als "Inszenierung". Es sei wirklich bemerkenswert, dass Julia Nawalnaja nach dem Tod ihres Mannes als Erstes auf der Münchner Sicherheitskonferenz spreche, sagte Chrupalla. Diese "Inszenierung" biete Anlass zum Nachdenken. "Wenn ich die Witwe von Herrn Nawalny sehe, mit Ursula von der Leyen sehe", da müsse man sich fragen, wem so ein Auftritt nutzen solle. Es sei offenkundig, dass der Tod Nawalnys "ausgeschlachtet" worden sei.

Julia Nawalnaja, Ehefrau von Alexej Nawalny, nimmt an der Münchener Sicherheitskonferenz teil. (Bild: Tobias Hase/dpa)
Julia Nawalnaja, Ehefrau von Alexej Nawalny, nimmt an der Münchener Sicherheitskonferenz teil. (Bild: Tobias Hase/dpa)

Natürlich versucht Russlands Opposition, vom Tod Nawalnys zu profitieren. "Ausschlachten" ist angesichts des langsamen Hinsiechens von Nawalny in der Isolationshaft vielleicht ein unpassender, weil martialischer Begriff, aber Chrupalla ist eben Chrupalla. Allerdings im Auftritt Nawalnajas eine Inszenierung zu sehen, ist schon über den Rand der Respektlosigkeit hinweg.

Zur Erinnerung: Nawalnaja war zur Sicherheitskonferenz eingeladen gewesen. Sie sollte eh dort sein. Der Tod ihres Mannes überraschte sie. Hätte sie dann nicht auftreten sollen? Gerade auf dieser politischen Plattform MUSSTE sie auftreten. Worüber Chrupalla ausschließlich "nachdenken" will, ist die Frage, ob sich all dies zu einer Verschwörungserzählung aufblasen lässt. Daher stellt er folgerichtig die zwar notwendige, aber unter Schwurblern totgerittene Frage nach dem "Nutzen".

Es ist schon interessant, wie ehrfürchtig die AfD das Vorgehen der russischen Justiz verfolgt und so tut, als handele es sich um die ganz normale Justiz eines normalen Staates. Das ist Russland leider derzeit nicht. Sowieso ist die AfD ansonsten recht schnell dabei, bei Straftaten in Deutschland die Täter auszumachen, sie als "Messermänner" zu verunglimpfen. Oder wenn der deutsche Rechtsstaat die AfD wegen Zweifeln an ihrer Demokratiefähigkeit beobachtet, dann ist er ganz bös. In Sachen Russland aber sucht die AfD größtmögliche Distanz zum Opfer Nawalny. Der passt nicht. Also wird er passend gemacht.

AfD & Nawalny: Keine Lovestory

Seit Jahren wurde aus Reihen der AfD gegen ihn polemisiert. Als Nawalny im Dezember 2020 über ein Telefonat mit einem Geheimdienstmitarbeiter berichtete, dem gegenüber er sich als Assistent des Staatsapparates ausgegeben habe, kam als Reaktion von AfD-Urgestein Alexander Gauland: "Es klingt für mich völlig unglaubwürdig, dass Herr Nawalny einen mutmaßlichen russischen Geheimdienstmitarbeiter einfach so am Telefon dazu gebracht hat, ihm Details über den Giftanschlag auf ihn zu erzählen und sogar zu verraten, dass das Gift Nawalny angeblich über die Unterhose verabreicht worden sei." Und die AfD-Fraktion im Bundestag startete eine kleine Anfrage an die Bundesregierung und mutmaßte, gegenüber dem russischen Staat solle die Beweislast umgekehrt werden. Anstatt bei ihm fehlende Transparenz anzuprangern, tat sie das bei der deutschen Regierung – wie sie meinte auszumachen. Es folgte ein Katalog mit lächerlichen Fragen, die nur Nebelkerzen im Sinne des russischen Regimes werfen wollten.

Die AfD ist ein Verbündeter Russlands. Ihre Loyalität zur Freiheit der deutschen Demokratie ist damit angesichts der andauernden russischen Aggressionen zumindest in Frage zu stellen.

Besser gelingt es übrigens anderen Putinschen Verbündeten, sich in dieser Affäre zu verhalten. Das Bündnis um Sahra Wagenknecht (BSW) ist nicht dafür bekannt, zum Kreml eine kritische Distanz zu wahren. Aber: Der Tod Alexej Nawalnys müsse "jeden klar Denkenden bestürzen", schrieb BSW-Politikerin Sevim Dağdelen. Und Wagenknecht selbst: Nawalnys Tod liege "in der Verantwortung des russischen Machtapparats", sagte sie am Dienstag im Bundestag und forderte eine unabhängige Untersuchung der Todesursache. Schon zuvor sagte sie dem "Spiegel": "Der Umgang einer Gesellschaft mit ihren Kritikern zeigt, in welchem Ausmaß Menschenwürde und Freiheit in ihr respektiert werden."

Damit erreicht die AfD dann doch das vielleicht von ihr angestrebte Alleinstellungsmerkmal.