Wie die Letzte Generation zum Vorbild für die Wut-Bauern wird

Eine der letzteren Blockaden durch die
Eine der letzteren Blockaden durch die "Letzte Generation" im Januar in Berlin. Die Klimaaktivisten weisen mit ihren Plakaten auf die Bauernproteste hin (Bild: REUTERS/Liesa Johannssen)

Die Klimaaktivisten gehen einen neuen Schritt: Sie kandidieren bei den Wahlen zum Europäischen Parlament. Die Straßenblockaden lassen sie erstmal hinter sich. Damit zeigen sie einen Weg für jene Bauern auf, die bei ihren Protesten über die Stränge schlugen – noch einmal wird man es ihnen nicht durchgehen lassen.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Eine Zeitlang war es so, dass man bei „Klima“ weniger an „Wandel“ dachte und mehr an „Kleber“. Tief ins öffentliche Gedächtnis haben sich die Leute von der „Letzten Generation“ gegraben, und zwar durch ihr Lahmlegen von Verkehr, durch die Angriffe auf Kunstwerke – die Aktivisten wollten aufrütteln, und das gelang ihnen. Nur nicht so, wie sie wollten.

Die Reaktionen auf die Klimakleber gerieten in eine Empörungsspirale. Man regte sich über sie auf. Und schob ihr Anliegen, den Klimawandel, noch weiter weg. Es war eine Trotzreaktion wie von Kindern. Der Push der Letzten Generation wurde von vielen Bürgern in ein Ablenkungsmanöver umgewandelt.

Es ging also für sie nach hinten los. Für den Klimaschutz war 2023 ein verlorenes Jahr.

Die Aktivisten staunten auch Bauklötze über den Umgang mit den Bauernprotesten der vergangenen Monate. Die Landwirte durften nämlich Straßen blockieren, Staus ohne Ende produzieren – und die Politik klatschte noch Beifall. Da war die Geduld mit diesen Protestformen ganz groß. Mit den Bauern wollte man es sich nicht verscherzen, da wurde dann nonchalant darüber hinweggesehen, wenn Krankenwagen steckenblieben. Bei der „Letzten Generation“ dagegen wurde der mentale Notstand ausgerufen.

Dieser Gegensatz offenbarte einen moralischen Mangel in der Gesellschaft. Man kann nicht den einen durchgehen lassen, was man den anderen vorwirft. Zumal auch zugespitzt die jeweiligen Ziele dagegen sprechen; die Kleber wollen zumindest etwas für den Planeten, grob formuliert: den Untergang der Menschheit verhindern. Die Landwirte demonstrieren gegen unfairen Umgang mit ihnen. Oder übertrieben und verkürzt ausgedrückt: Der „Letzten Generation“ geht es um die Zukunft und den Bauern um billigeren Diesel.

Die ersteren satteln nun um. Sie wollen das Europa-Parlament zur Bühne ihres Engagements machen. Die nötigen Unterschriften zur Kandidatur haben sie wohl zusammen, und als Partei müssen sie auch nicht auftreten: Die Regeln bei dieser Wahl sind weit offener und niedrigschwelliger als etwa bei einer Bundestagswahl.

Da ging was schief

Und das ist ein Vorbild für die Landwirte. Nicht nur, dass einige wenige unter ihnen das „Bild“ vom Bauern kapern und ihre eigene rechte Agenda damit bedienen: Da geht es nicht mehr um die Unsicherheiten des Berufsstands, sondern um Blut und Boden und weiteren Quatsch. Sie sind die Ausnahme und müssen von den anderen Bauern auch entsprechend eingedämmt werden.

Darüber hinaus aber sind die letzten Proteste ordentlich schief gegangen. Da wurde Mist auf Straßen einfach abgeladen, ohne Vorwarnung. Nachts bretterten Autos da rein, es gab Verletzte. Hätte sich die „Letzte Generation“ sowas geleistet, hätte Markus Söder nach der GSG9 gerufen. Bei den jüngsten Bauernprotesten kamen Menschen zu Schaden. Darüber wurde kaum gemuckt. Aber man merkte es sich. Die Landwirte riskieren, ihren hohen Kredit bei der Bevölkerung zu verspielen.

Wenn Empörung, dann richtig

Daher können sie auch dem Weg der Klimaaktivisten folgen. Warum kandidieren nicht auch Bauern für das Europa-Parlament?

Sowieso werden ihre Einkommen und ihr Alltag europaweit geregelt. Sie hängen komplett am Tropf der EU-Subventionen. Wenn sie etwas ändern wollen, ist das dortige Parlament dafür die richtige Adresse. Außerdem gab und gibt es in anderen Ländern explizite Bauernparteien, das ist nichts Neues.

Und eine andere Perspektive würde sich für die Bauern auftun: Bisher haben sie ihre politische Arbeit an die Union gekettet. CDU und CSU sind eng mit dem Bauernverband verbandelt, sie treten als Fürsprecher der Landwirte auf. Wenn man sich aber das Ergebnis der vergangenen Jahrzehnte anschaut, können die Bauern nicht zufrieden sein – diese beiden Parteien zeichnen für den Niedergang der kleineren Höfe mit verantwortlich. Die Bauern würden sich ehrlich machen und ihr Schicksal in die eigene Hand legen.

So würde sich auch das Bild zurechtruckeln, nachdem einerseits Bauern wie Rächer der enterbten Basis auftreten und gleichzeitig mit den Mächtigen in der Politik kräftig kuscheln.