Wladimir Kaminer über die Küche der Deutschen: "Sie alle wollen nach Zukunft schmecken"

"Essen ist einer der ganz wenigen Gründe, warum sich Menschen heute überhaupt noch treffen", weiß Wladimir Kaminer. (Bild: ZDF / ORF / Günther Pichlkostner. )
"Essen ist einer der ganz wenigen Gründe, warum sich Menschen heute überhaupt noch treffen", weiß Wladimir Kaminer. (Bild: ZDF / ORF / Günther Pichlkostner. )

In "Kaminer Inside: Wie isst Deutschland?" (Samstag, 26. August, 20.15 Uhr, 3sat) untersucht Wladimir Kaminer die Küche seiner Wahlheimat. Danach folgen zwei weitere Kaminer-Food-Dokus über das Essen Österreichs und der Schweiz. Was hat der Bestseller-Autor mit russischen Wurzeln dabei gelernt?

Wladimir Kaminer, 56 Jahre alter Schriftsteller und einer der besten Beobachter ländervergleichender Kultur, widmet sich in drei "Kaminer Inside"-Dokus der Kulinarik Deutschlands, Österreichs und der Schweiz. Dem Film "Kaminer Inside: Wie isst Deutschland?" (Samstag, 26. August, 20.15 Uhr, 3sat) folgen um 21 Uhr "Kaminer Inside: Wies isst die Schweiz" und um 21.45 Uhr "Kaminer Inside: Wie isst Österreich". Im Interview berichtet der Berliner Bestseller-Autor ("Russendisko"), was er von den drei Länderküchen hält, welches Essen überschätzt wird und wo es ihm am besten schmeckt, wenn er ganz privat isst.

teleschau: Sie vergleichen gerne verschiedene Kulturen miteinander? Wie macht man das eigentlich am besten?

Wladimir Kaminer: Man macht das am besten an kleinen Orten. Dort kann man viel mehr über Menschen erfahren. Wie sie leben, wie sie ticken und was sie in den Köpfen so mit sich tragen. An Orten wie Berlin ist das nicht möglich. Hier laufen große Mengen an Menschen an einem vorbei, sie haben alle diese Stöpsel in den Ohren und tragen Sonnenbrillen. An kleinen Orten kommt man dagegen viel leichter mit Menschen ins Gespräch.

teleschau: Wie sehr unterscheiden sich Menschen aus verschiedenen Ländern heute überhaupt noch - mal abseits von Stadt und Land?

Kaminer: Es gibt Gemeinsamkeiten und Unterschiede, beides ist wichtig. Gemeinsamkeiten lassen uns zusammenhalten, aber Unterschiede machen die Sache spannender. Wenn die Menschen überall gleich wären, ergäbe Reisen wenig Sinn. Das Thema Essen ist übrigens ein sehr spannendes Beobachtungsfeld. Essen ist einer der ganz wenigen Gründe, warum sich Menschen heute überhaupt noch treffen. Jeder tut es, jeder isst, sogar mehrmals am Tag. Aber eben an jedem Ort oft etwas anderes.

In drei Dokumentationen untersucht Wladimir Kaminer die Küche der Länder Deutschland, Österreich und Schweiz. Was hat der - immer ein bisschen "besonders" denkende - Wahlberliner mit russischen Wurzeln dabei gelernt?  (Bild: ZDF und ORF/Günther Pichlkostner)
In drei Dokumentationen untersucht Wladimir Kaminer die Küche der Länder Deutschland, Österreich und Schweiz. Was hat der - immer ein bisschen "besonders" denkende - Wahlberliner mit russischen Wurzeln dabei gelernt? (Bild: ZDF und ORF/Günther Pichlkostner)

"Das Filmteam war beeindruckt von meiner Trinkfestigkeit"

teleschau: Was sagt das Essen über die Kultur, zu der es gehört, aus?

Kaminer: Man kann sehr viel ins Essen hineininterpretieren, vor allem in die Essens-Exzesse. Wir haben mit den Filmen im Norden angefangen, im deutschen Kreis Oldenburg. Dort isst man Grünkohl mit Pinkel. Danach ziehen die Einheimischen los in endlose Felder. Man hat das Gefühl, dass sie sich beim Essen auf eine lange Reise vorbereiten. Also möglichst viele Kalorien aufnehmen und danach weit, weit weglaufen. Als wären sie da, wo sie sind, nicht wirklich glücklich. Auch im Süden, in Bayern, essen die Leute solche überdimensionierten, urigen Gerichte. Aber sie können und wollen überhaupt nicht weglaufen. Auch die Getränke, das viele Bier, wird im Süden stationär eingenommen, im Sitzen. Die Schnäpse des Nordens sind dagegen leichter zu transportieren.

teleschau: Haben Ihnen die deutschen Getränke besser geschmeckt als das Essen?

Kaminer: Das möchte ich gar nicht sagen, aber tatsächlich hat man mir in Deutschland am meisten zum Trinken angeboten. Ich habe das deutsche Essen vor allem in seiner flüssigen Form kennengelernt. Das Filmteam war beeindruckt von meiner Trinkfestigkeit, glaube ich.

teleschau: Was unterscheidet die Deutschen, die Österreicher und Schweizer in ihrer Esskultur?

Kaminer: Die Schweizer sind Perfektionisten. Wenn sie eine Schokolade produzieren, dann soll das die beste der Welt sein. Sie fahren dann ans Ende der Welt, nur um die beste Kakaobohne zu finden. Die Österreicher dagegen machen ein großes Theater aus ihrer Küche. Die Speisen sind fast alle süß, es ist ein süßes Theater. Sogar ihre Schnitzel haben eine süßliche Note. Und die Deutschen? Na ja, wie immer. Die bereiten sich auf die Zukunft vor. Sie kochen so, wie man später mal essen sollte. Ich musste sehr viele Löwenzahn-Salate probieren. Einige deutsche Sterneköche habe ich auf meiner Reise besucht. Und sie alle wollen nach Zukunft schmecken.

Wladimir Kaminer testet eine Original Berliner Currywurst (Bild: ZDF / Nadja Kölling)
Wladimir Kaminer testet eine Original Berliner Currywurst (Bild: ZDF / Nadja Kölling)

"Die Deutschen schauen sehr gerne über den Tellerrand"

teleschau: Heißt das, dass die Deutschen mit der Gegenwart und ihrem Essen unzufrieden sind?

Kaminer: Ich hoffe, dass auch den Deutschen ihr Essen schmeckt. Aber ich habe dort sehr viel mehr den Wunsch als anderswo gefunden, dass sich das Essen verändern soll. Die Deutschen schauen sehr gerne über den Tellerrand. Sie wollen wissen, was kommt. Ja, das ist wichtig für die Deutschen.

teleschau: Durch die Globalisierung gleichen sich Kulturen ohne Zweifel an ...

Kaminer: Ich finde nicht, dass es überall gleich ist. Sogar die Döner oder die Würste schmecken in jeder Ecke der Welt unterschiedlich. Ein besonders sinnvolles Untersuchungsobjekt ist die Bratkartoffel. Die gibt es fast überall, nur heißt sie unterschiedlich und wird anders zubereitet. In der Schweiz heißt sie Rösti, und im Saarland haben sie mir einen Namen gesagt, den ich gar nicht aussprechen kann. Auf jeden Fall hat jede Region ihr eigenes Bratkartoffel-Rezept, das finde ich total faszinierend.

teleschau: Was essen Sie denn am liebsten?

Kaminer: Ich esse am liebsten Bratkartoffeln, so wie meine Frau sie brät. Sie kann das irgendwie besonders gut, macht es aber fast nie. Weil alle Menschen, die zu ihr kommen, sie immer wieder bitten: "Mensch, Olga, mach mir doch bitte deine Bratkartoffeln!" Sie selbst hasst aber Bratkartoffeln.

Kann man "Pinkel" wirklich essen? Wladimir Kaminer besucht ein Grünkohlfest in Oldenburg. (Bild: ZDF / Nadja Kölling)
Kann man "Pinkel" wirklich essen? Wladimir Kaminer besucht ein Grünkohlfest in Oldenburg. (Bild: ZDF / Nadja Kölling)

"Das Essen der ungeliebten Kinder Europas"

teleschau: Gibt es eine Länderküche, die Sie besonders schätzen?

Kaminer: Ich mag kaukasische Küche. Später gehe ich hier in Berlin noch in ein georgisches Restaurant essen, gleich nach unserem Interview. Das ist eine Küche, die ist würzig, scharf, und sie arbeitet mit vielen Kräutern. Es ist eine Küche, die stolz auf sich selbst ist. Am besten schmeckt mir in Europa die Küche aus jenen Ländern, die von Westeuropa nicht so ganz für voll genommen werden. Das Essen der ungeliebten Kinder Europas: Moldauer, Griechen, Ukrainer und eben Georgier. Auch Serben und Rumänen haben eine sehr interessante Küche, allerdings gehen die immer nachts essen.

teleschau: Warum das?

Kaminer: Ich weiß es nicht, aber in Bukarest hat mich das fasziniert. Vielleicht lag es daran, dass ich dort im Sommer war. Aber die essen wie Draculas nur bei Dunkelheit - und die kommt im Sommer ja bekanntlich erst spät.

teleschau: Was bieten die Küchen Südosteuropas, das andere Regionen nicht haben?

Kaminer: Ich glaube, dass die Leute dort viel mehr Zeit haben. Das spiegelt sich auch im Kochen, dem Essen und den Gerichten wider. Jene Zeit, die diese Leute mehr haben, verbringen sie an Esstischen. Bei den Georgiern hatte ich wirklich das Gefühl, dass sie gar nichts anderes machen. Dass sie eigentlich von früh bis spät am Tisch sitzen.

teleschau: Und was gibt es dann?

Kaminer: Chatschapuri muss man unbedingt probieren. Im Prinzip handelt es sich dabei um überbackenes Käsebrot, aber eben sehr besonders gemacht. Ansonsten gibt es viel Deftiges, aber gern mit Nüssen und frischen Kräutern. Sehr gut! Ich möchte bald ein Buch schreiben über die schönsten Mahlzeiten Europas.

Wie kann man mit frischen Kräutern sein Essen auf ein anderes Niveau heben? Wladimir Kaminer besucht Maria Groß in Erfurt.
 (Bild: ZDF / Nadja Kölling)
Wie kann man mit frischen Kräutern sein Essen auf ein anderes Niveau heben? Wladimir Kaminer besucht Maria Groß in Erfurt. (Bild: ZDF / Nadja Kölling)

"Das Essen interessiert mich mehr als das Kochen"

teleschau: Auf was würden Sie darin eingehen? Auf die Gerichte an sich?

Kaminer: Das nur eher am Rande. Nein, das Essen interessiert mich mehr als das Kochen. Ich würde über diese Länder und die Menschen dort schreiben, denn man kann sie durchs Essen besser verstehen.

teleschau: Kochen Sie auch selbst?

Kaminer: Gestern habe ich einen Salat gemacht mit Blaubeeren und Tomate, das habe ich zu Hause bei meiner Literaturagentin abgeguckt. Meine Tochter kam gestern von einer langen Reise aus Schottland zurück. Die sagte zu meinem Essen: "Ja, cool".

teleschau: Aber das hört sich so an, als wären sie kein regelmäßiger Koch ...

Kaminer: Ja, das stimmt. Ich koche nicht allzu oft. Am liebsten möchte ich eingeladen werden. Zu Menschen, die ich vorher nicht kannte, um sie beim Essen kennenzulernen. Fremde wollen einen gerne überraschen mit ihrem Essen - und ich lassen mich gern von tollen Gerichten überraschen. Deshalb habe ich ja auch diese drei Filme gedreht.

teleschau: Zu Hause kocht meistens Ihre Frau?

Kaminer: Ja, meine Frau kocht - wenn auch zu selten ihre Bratkartoffeln.

Wladimir Kaminer (links) und Käser Eddy Baillifard: Wie schafft man es, dass der Schweizer Fondue-Käse so lecker-schöne Fäden zieht?

 (Bild: ZDF und SRF / Thomas Andenmatten)
Wladimir Kaminer (links) und Käser Eddy Baillifard: Wie schafft man es, dass der Schweizer Fondue-Käse so lecker-schöne Fäden zieht? (Bild: ZDF und SRF / Thomas Andenmatten)