Yahoo Jahresrückblick: Das sind die sieben Alltagshelden des Jahres 2023
Das Jahr 2023 ist bald vorbei - es ist Zeit, einen Blick auf die vergangenen zwölf Monate zu werfen. 2023 war dominiert von Kriegen und Krisen. Doch auch fernab davon gab es viele Geschichten, Schlagzeilen, technologische Innovationen und einiges mehr. Es wird sicher als ein Jahr in Erinnerung bleiben, das die Welt nachhaltig geprägt hat. Hier sieben Geschichten von weniger bekannten Alltagshelden, die eines taten: das Richtige.
Ein Rückblick von Jan Rübel
Manchmal steht die Entscheidung vor einem. Wie eine Weggabelung fordert sie von uns einen Entschluss – und oft besteht er darin, dass wir nichts entscheiden, das Leben so weitergeht wie bisher. Das ist normal und bestimmt okay. Aber dann gibt es Situationen, in denen wir einen Punkt setzen. Diese Alltagsgeschichten gibt es überall, nur sieht man sie selten. Sind ja so viele Menschen. Daher hier unsere Auswahl an Alltagsheldenstorys des Jahres 2023. Sie resultiert aus Willkür, hier und da aufgeschnappt. Und natürlich ist sie kein Ranking. Eine Heldentat steht immer nur für sich, kann nicht weniger oder mehr „wert“ sein als eine andere.
Ingrid Liebs
Im Interview mit „Yahoo Nachrichten“ sagte Ingrid Liebs einmal: „Ich möchte wissen, was passiert ist. Warum das passiert ist. Und wer daran beteiligt war.“ Beharrlich suchte sie Antworten auf den Mord an ihrer Tochter Frauke. Die war im Sommer 2006 auf dem Heimweg verschwunden – offenbar entführt. Eine Woche lang telefonierte sie von ihrem Handy aus mit Familienmitgliedern, dann verstummte sie. Ihre Leiche wurde Monate später gefunden. Die Polizei erklärte den Fall zum Cold Case, Ingrid Liebs aber machte weiter. Startete Aufrufe, wissend, dass irgendjemand etwas mitgekriegt haben musste. In diesem Sommer nun schaltete sie eine eigens erstellte Internetseite mit dem Aufruf zu Zeugenaussagen ab. "Der Jahrestag ist ein guter Zeitpunkt, um loszulassen. Aus meiner Sicht ist von mir alles getan, um den zu finden, der für Fraukes Tod verantwortlich ist", sagte die Lehrerin im Ruhestand der Deutschen Presse-Agentur. Den Appell an Täter oder Mitwisser, sich zu melden, hält sie aufrecht. Wir denken an sie.
Caio Benicio
Ende November fuhr Caio Benicio eine seiner täglichen Fuhren. Der Fastfood-Lieferant kurvte auf seinem Motorroller durch Dublin und sah aus den Augenwinkeln, wie ein Mann einer Frau ein Mädchen entriss und ein Messer zückte. „Ich stoppte sofort“, sagt er später. „Ich dachte nicht darüber nach, ob ich Furcht oder Mut habe, ich handelte aus Instinkt.“ Caio rannte auf den Mann zu – der hatte vorher schon auf andere Kinder eingestochen. Caio nahm seinen Helm ab und schlug damit den Mann zu Boden. Der wurde überwältigt. Die Mädchen wurden gerettet, sind teilweise noch im Krankenhaus. Der Täter wird wegen seiner Verletzungen erst jetzt vernommen. Caios Instinkt rettete.
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Laura N. und Max T.
Ungewollt in eine Heldenrolle schlüpften auch die beiden Lehrer in Burg, brandenburgischer Spreewald. Sie unterrichteten in einer landschaftlichen Idylle, stießen aber auf Hartes: "Wir wenden uns an die Öffentlichkeit, da wir in unserem Arbeitsalltag als Schulpersonal täglich mit Rechtsextremismus, Sexismus und Homophobie konfrontiert werden und nicht mehr länger den Mund halten wollen", schrieben sie in einem offenen Brief.
Wir wenden uns an die Öffentlichkeit, da wir in unserem Arbeitsalltag als Schulpersonal täglich mit Rechtsextremismus, Sexismus und Homophobie konfrontiert werden und nicht mehr länger den Mund halten wollenLaura N. und Max T.
Denn sie wurden mit rechtsextremen Umtrieben in der Schülerschaft und einem Achselzucken im Umfeld konfrontiert. Faschisten riefen dann zur Jagd gegen sie auf, Spuckis mit ihren Fotos wurden verteilt. Laura N. und Max T. haben inzwischen den Ort gewechselt. Mit dem Brief taten sie das Richtige.
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Unbekannte Helfer, Bayreuth
Es war August 2023, auf der Autobahn A9 bei Bayreuth. “Im Auto zeigte es 38 Grad an”, erinnert sich Marion Schumann gegenüber dem „Bayreuther Tagblatt“. Sechs Stunden lang standen sie und ihre drei Kinder bei brütender Hitze in dem Stau, für den ein brennender Lkw gesorgt hatte. Dann erreichte ein Anwohner mit einer großen Tasche die Autobahn. Er gab Wasserflaschen an die Autofahrer aus. „Jemand fragte ihn: ‘Kann ich bei Ihnen eine Flasche Wasser kaufen?’“, erinnerte sich Schumann im „Bayreuther Tagblatt“. „Da sagte er in seinem fränkischen Akzent: ‘Nein - die verschenke ich.'” Bald darauf kam ein zweiter Mann und verschenkte auch Wasserflaschen. Wer die beiden waren, erfuhr Familie Schumann nicht.
Andreas Toelke
In diesem Jahr verbrachte er über 260 Tage in der Ukraine: Andreas Toelke ist ein Beweger – von Menschen und Menschlichkeit. Seit Ausbruch des Krieges kümmert er sich mit der von ihm mitgegründeten Organisation „Be an Angel“ um Flüchtlingshilfe und Evakuierung aus den Kampfgebieten. Dieses Engagement ist dem Berliner seit Jahren Alltag geworden: Alles fing 2015 an, als er einen Geflohenen vorübergehend in seiner Wohnung aufnahm; viele folgten, es wurde eine Art offenes Haus. Und Toelke verschrieb sich dem „Humanitären“, mitunter betrieb er die Gründung des erfolgreichen Restaurants „Kreuzberger Himmel“, welches von Geflüchteten gestemmt wird. Kürzlich schrieb er auf Facebook: „Warum bei Politik noch nicht angekommen ist, dass Migration eine Lösung ist … keine Ahnung.“
Andreas Ebert
Wo man spielt, da lass dich nieder. In Zeiten beklagter Vereinsamung und individuellen Digitalmedienkonsums setzt der Bremer Andreas Ebert auf einen Gegentrend: Er organisiert seit über 15 Jahren offene Spieletreffs, und zwar in der Volkshochschule, in Kirchengemeinden und anderen Orten – quer über die Stadt verteilt. Und er hat damit Erfolg. Leute, die sich nicht kennen, kommen zusammen und würfeln miteinander, spielen Karten aus. Damit ist Ebert ein Brückenbauer, der durch diese Zusammenkünfte Gutes tut. Und das Spielen macht natürlich auch Spaß.
Jimmy Carter
Eigentlich passt er nicht hierher, geht es doch um Alltagshelden. Die sind in der Regel No Names. Und Jimmy Carter ist eine lebende Legende. Der US-Präsident zwischen 1977 und 1981 hatte zwar nur eine Amtszeit. Aber er arbeitete wegweisend. Carter, mittlerweile 99 Jahre alt, setzte sich erfolgreich für Menschenrechte ein, für Verständigung, zum Beispiel zwischen Ägypten und Israel. Warum er aber ein Alltagsheld ist? Zeitlebens führte er mit seiner vor Kurzem gestorbenen Ehefrau Rosalynn ein bescheidenes Leben, voller Demut und Einfachheit. Offen waren die beiden. Leute aus dem Volk. Und Vorbilder. Carter wird nicht mehr lange leben. Aber sein Vorbild wird bleiben.
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