Eine Zeitreise, die zum Gruseltrip wird: "Kriegen wir überhaupt noch eine Rente?"
Immer weniger Arbeitskräfte in Deutschland zahlen in die Sozialsysteme ein. Die jüngere Generation fürchtet, dass sie über die Maßen für die Absicherung der Senioren abkassiert wird. Der neue ARTE-Dokumentarfilm versucht sich an Lösungsansätze - mit Inspirationen aus den Nachbarländern.
Es ist eine bange Frage, die sich immer wieder aufdrängt: "Ja, kriegen wir überhaupt noch eine Rente?" - Das fragt sich jedenfalls die Frau, die für eine ARTE-Doku einen bizarr anmutenden Trip antritt - in ihre eigene Zukunft. Estelle Vie-Hofmann verbringt viel Zeit in der Maske. Und was wie ein mädchenhafter Verkleidungsspaß beginnt, entwickelt immer mehr Ernst. Die Protagonistin des neuen ARTE-Dokumentarfilms "Ist die Rente noch sicher?" (am Dienstag, 29. August 2023, 20.15 Uhr, nun in der Mediathek) lässt sich künstlich "altern".
Schminke täuscht plötzlich Falten und Augenringe vor. Und dann ist sich Estelle sicher: Sie ist eine alte Frau. Doch wie wird ihr Leben aussehen, wenn die heute 32-Jährige dem Verwandlungsziel auch "real" immer näher kommt? Es ist ein Gedanke, der sie nachdenklich stimmt - ja, auch ein wenig ins Gruseln bringt.
Zuversicht sieht anders aus
Die Stimme einer Verantwortlichen ist es nicht unbedingt, die in die spannende Spurensuche über Lösungswege und Reformansätze, Ruhe reinbringt. "Ich bin ganz fest davon überzeugt, dass kein OECD-Land einfach sagen wird: Wir können euch keine Rente mehr zahlen", sagt Monika Oueisser. Doch so richtig unerschüttert wirkt die Frau, die bei der europäischen Organisation OECD den Titel Leiterin der Abteilung Sozialpolitik trägt, dann doch nicht bei dieser Aussage.
Was sie sagt, erinnert verdächtig an das vor allem im ehemaligen West-Deutschland fast sprichwörtlich gewordene, vermutlich allzu voreilige Bonmont von Ex-Arbeitsminister Blüm: "Die Rente ist sicher", erklärte er damals - und strahlte.
Monika Oueisser sagt: "Ich glaube, dass alle Länder weiter Renten zahlen werden." Doch dabei sieht sie im Film deutlich grauer und sorgenvoller aus. Die Zeiten sind ernst. Und die Kameras müssen nur auf Demonstrationszüge etwa in Spanien oder Frankreich blenden. Dort hat der Kampf um sozialen Ausgleich schon die Straßen erreicht.
Auf den Punkt bringt das Dilemma der 19-jährige Moritz, der sein Gesicht mit der populären Face-App künstlich im Zeitraffer altern lässt, um sich ein Bild von seinem möglichen Seniorenalter vor Augen zu führen. "Wenn man sich das einmal klarmacht, dass irgendwann so viele Menschen in Rente gehen und man eigentlich nicht weiß, wie der Staat das zahlen kann, dann macht das schon Angst", sagt Moritz. Angst - "wie das in 10, 20 Jahren aussehen wird". Oder vielleicht schon früher?
Der junge Mann mit der ruhigen, überlegten Stimme hat für sich bereits einen Entschluss gefasst: Er engagiert sich in der sogenannten "Generationenstiftung" - für eine Rente, in die auch Beamte und Selbstständige einzahlen. "Es gibt eine Rentenkasse für alle und nicht mehr verschiedene Rentenkassen, bei denen für die, die in keine Rentenkasse einzahlen, der Staat alles übernimmt", sagt er zu der Alternative der Generationenstiftung.
Das Vorbild für dieses Modell ist Österreich, wo die Renten um 70 Prozent höher liegen als in Deutschland. Auch Estelle kann als Französin eine bessere Rente erwarten: Ihre Mutter Helga hat dank gesetzlicher Zusatzrenten ein gutes Auskommen und kann ihre Enkel betreuen, während ihre Tochter arbeiten und damit Geld verdienen geht.
Mit Augenzwinkern und Charme
Die Filmemacherinnen Sabine Jainski und Ilona Kalmbach gehen der Frage nach, wie die Rente heute noch gerecht verteilt werden kann. Es geht um nötige Reformen hierzulande und um einen Blick in die europäischen Nachbarländer. Denn immer mehr Jüngere befürchten, dass sie über die Maßen zur Kasse gebeten werden, ohne sich auf die Aussicht verlassen zu können, dass sie selbst jemals von ihren Renten-Einzahlungen profitieren werden.
Sozialer Sprengstoff, der nur entschärft werden kann, wenn generationenübergreifend Kompromisse geschlossen werden. Wie etwa in Österreich. Oder in Schweden: Dort funktioniert ein Modell mit einer Zusatzrente sehr gut, während die sogenannte "Riester-Rente" hierzulande als Flop gilt.
Es ist ein Film, der ein trockenes Thema mit Augenzwinkern und Charme in Szene setzt - und bei dem man trotz aller Betroffenheit auch mal lachen kann. So etwa, als die "Zeitreise" an ihr Ende gelangt: Estelles Kleinkind findet die Verkleidung der Mutter zunächst verwirrend, dann beginnt es aber, mit den grauen Locken der Perücke und der ungewohnten Brille der Mama zu spielen. "Mein Herz, Mama ist geschminkt", sagt Estelle und fragt bang: "Findest du das lustig?" Die Anspannung löst sich in Kichern. Und plötzlich ist auch ein wenig der Schreck des Alterns verflogen - bis auf Weiteres.
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