Zwischen den Fronten im Syrienkrieg: Wer sind die kurdischen Volksverteidigungseinheiten?

Die Türkei verstärkt ihre Angriffe auf die kurdischen Volksverteidigungseinheiten in Nordsyrien. Bei Luftschlägen auf von den Kurden kontrollierte Gebiete wurden nach Angaben der türkischen Armee bis zu 200 Kämpfer getötet. Die kurdische Miliz selbst meldete lediglich zehn Tote. Die Türkei setzt jedoch offenbar ihre Angriffe fort. Die Situation ist komplex: Auf der einen Seite gelten die Volksverteidigungseinheiten als wichtige Verbündete des Westens im Kampf gegen den “Islamischen Staat”. NATO-Mitglied Türkei betrachtet die Milizionäre jedoch als Terroristen, die ebenso bekämpft werden müssten wie der IS.

Gründung der Volksverteidigungseinheiten

Die Miliz, die sich in männliche (Yekîneyên Parastina Gel/YPG) und weibliche (Yekîneyên Parastina Jin/YPJ) Kampfverbände untergliedert, trat im Sommer 2012, ein Jahr nach Beginn des syrischen Bürgerkriegs, erstmals in Erscheinung. Sie übernahm die Verteidigung der kurdischen Gebiete, nachdem sich die Armee des Assad-Regimes nahezu kampflos aus diesen zurückgezogen hatte.

Parteimiliz oder Armee?

Bei der Einordnung der Volksverteidigungseinheiten gehen die Meinungen weit auseinander: Kritiker betrachten sie zumeist als bewaffneten Arm der in den Kurdengebieten dominanten Partei der Demokratischen Union (Partiya Yekitîya Demokrat/PYD). Die PYD wurde 2003 als syrischer Ableger der türkischen PKK gegründet und betrachtet deren inhaftierten Parteichef Abdullah Öcalan als Anführer, agiert nach eigenen Angaben jedoch unabhängig von der PKK. Vertreter anderer kurdischer Parteien in Syrien werfen der PYD vor, die innerkurdische Opposition zu unterdrücken und dabei auch die YPG/YPJ einzusetzen. YPG/YPJ selbst und deren Sympathisanten sehen sie jedoch als überparteiliche Armee der de facto autonomen syrischen Kurdengebiete („Rojava“) an.

Größe der YPG/YPJ

Schätzungen zufolge sollen den Volksverteidigungseinheiten 40.000 bis 50.000 Kämpfer angehören. Die Frauenverteidigungseinheiten YPJ sollen etwa ein Drittel davon ausmachen. Dazu kommen kleinere verbündete Milizen aus ortsansässigen Arabern und Minderheiten wie Jesiden und Assyrern, die zusammen mit YPG/YPJ die Demokratischen Kräfte Syriens (DKS) bilden, in denen jedoch zahlenmäßig die Kurden klar dominieren. Zudem haben sich mehrere hundert Kämpfer und Kämpferinnen aus Ländern wie den USA, Kanada, Australien oder auch Deutschland den YPG/YPJ angeschlossen. Das Spektrum reicht dabei von Militärveteranen, die vor allem den IS bekämpfen wollen, bis zu Linksautonomen, die sich für die kurdische „Revolution“ in Syrien begeistern.

Verhältnis zu anderen Kriegsparteien

Auch wenn es vereinzelt zu Kooperationen mit Verbänden der Freien Syrischen Armee (FSA) kam, ist das Verhältnis zu anderen Gruppierungen der bewaffneten Opposition angespannt. PYD und YPG/YPJ wird von Seiten der Opposition vorgeworfen, mit dem Assad-Regime zu kollaborieren. Tatsächlich existieren nach wie vor weitgehend unbehelligte Enklaven des Regimes in den kurdischen Gebieten. In den vergangenen Monaten kam es jedoch auch hier immer wieder zu Gefechten. Die PYD streitet die Zusammenarbeit mit Assad ab. Ihr erklärtes Ziel ist nicht die Unabhängigkeit der Kurdengebiete sondern ein demokratisches, föderales Syrien, dem die kurdischen Kantone weiter angehören sollen.

Kampf gegen den Islamischen Staat

Im Laufe des Syrienkonflikts wurden der im Norden vorrückende IS und andere dschihadistische Milizen zu den Hauptgegnern der YPG/YPJ. Internationale Aufmerksamkeit erlangten die Volksverteidigungseinheiten vor allem ab 2014: Im Juli dieses Jahres ermöglichten Kämpfer der YPG/YPJ zehntausenden im Sindschar eingeschlossenen Jesiden die Flucht vor dem IS. Von September 2014 bis Februar 2015 verteidigten YPG/YPJ mit westlicher Luftunterstützung erfolgreich die Stadt Kobanê gegen den angreifenden IS. Die Miliz etablierte sich als einer der wichtigsten Verbündeten der Anti-IS-Koalition und wurde als zeitweise als einzige Kriegspartei sowohl von den USA als auch von Russland durch Nachschublieferungen und Luftschläge unterstützt.

Auseinandersetzungen mit der Türkei

Die türkische Regierung lehnt seit Beginn des Konflikts eine kurdische Autonomie in Nordsyrien ab, da sie eine Stärkung kurdischer Unabhängigkeitsbestrebungen im eigenen Land fürchtet. Die PYD wird als der PKK gleichgestellte Terrororganisation betrachtet, deren Unterstützung durch den Westen die Türkei regelmäßig kritisiert. Die türkischen Grenzen zu den syrischen Kurdengebieten sind seit Kriegsbeginn weitgehend abgeriegelt, türkische Luftangriffe in Syrien treffen regelmäßig neben dem IS auch Stellungen der YPG/YPJ.

Im August startete die türkische Armee mit verbündeten syrischen Rebellen eine Bodenoffensive gegen den IS, die zugleich auch den Einfluss der kurdischen Milizen eindämmen soll. Die USA forderten ihre kurdischen Verbündeten daraufhin auf, sich in die von ihnen zuvor gehaltenen Gebiete zurückzuziehen und nicht weiter vorzurücken. Mit den jüngsten Angriffen hat sich die türkische Offensive auf das Grenzgebiet des kurdischen Kantons Afrin ausgedehnt. Die Kurden drohen zunehmend zwischen alle Fronten zu geraten, da die USA sich mit Kritik an ihrem NATO-Partner Türkei zurückhalten. Auch Russland näherte sich in letzter Zeit der Türkei an, unterstützt aber weiterhin in erster Linie das Assad-Regime, das nach wie vor die Kontrolle über ganz Syrien und damit auch die Kurdengebiete zurückerlangen will.

Bilder: dpa, Wikimedia, dpa

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