"Wie ein Eisbecher in der Sonne" - Seehofer watscht Röttgen ab

Die interessantesten Statements machen Politiker oft, wenn das eigentliche Interview vorbei ist – unter vermeintlich vier Augen. So kritisierte CSU-Chef Horst Seehofer die Koalition in einer Videoschalte mit dem ZDF. Die Wahl in Nordrhein-Westfalen sei ein „Desaster“ gewesen, die Arbeit von Schwarz-Gelb „nicht gut genug“. Da die Kamera des "Heute-Journals" lief, blieb Seehofer betont moderat. Erst als das offizielle Interview beendet war, redete sich der CSU-Chef in Rage – insbesondere gegen Wahlverlierer Norbert Röttgen polterte er. Dass die Kamera dabei weiterlief, schien er nicht zu bemerken.



Während des Interviews, das am Montagabend von ZDF-Journalist Claus Kleber geführt wurde, übte Seehofer Kritik am Zustand der schwarz-gelben Regierung. Da die Kamera lief, zeigte sich der CSU-Chef offensichtlich enttäuscht, blieb jedoch im gemäßigten Politikerjargon. Die Wahlen in NRW seien ein „Desaster“ gewesen: „Man sollte nicht schön reden, was nicht schön ist, das ist die bittere Wahrheit.“ Die Schuld sah er jedoch betont diplomatisch zunächst nicht allein bei Wahlverlierer Röttgen. Dass sich der Bundesumweltminister nicht für die Oppostionsbank in NRW hergeben wollte, sei nicht allein seine Entscheidung gewesen: „Das hatte viele Ursachen, zum Beispiel, dass man sich nicht voll für dieses Land entschieden hat.“ Ob Röttgen nun ein Umweltminister auf Bewährung sei, wollte der Journalist daraufhin wissen. Seehofer winkte jedoch ab: „Das war ein Fehler der gesamten Union.“

Was er nun erwarte, sei der Wille zur Besserung bei der Union. „Ich will den Erfolg der Koalition und keinen Ärger machen. Aber damit wir Erfolg haben, müssen wir etwas ändern.“ Konkretisieren, was denn zu ändern sei, wollte er dies auf Nachfrage Klebers jedoch nicht. Als das Interview beendet war – die Schalte war vor der Sendung  aufgezeichnet worden – wollte Kleber mit dem Satz: „Na das hat sich ja mal wieder gelohnt“ offenbar einen ungezwungenen Smalltalk einleiten. Seehofer schien jedoch in Fahrt gekommen zu sein - dass die Kamera weiterlief, schien ihm nicht bewusst zu sein.

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„Wir haben jetzt noch vier Ministerpräsidenten mit FDP-Beteiligung, wir hatten mal über zehn!“, schimpfte er in die Kamera. Dann zählte er die Projekte auf, bei denen sich die Koalition momentan nicht einigen konnte. „Mir geht das alles zu zu zäh.“ Was ihm weh tue, sei, dass die Koalition das Potential habe, gut zu regieren, es aber einfach nicht gut genug mache, um die Zustimmung der Bevölkerung zu erhalten.

Röttgens Nichtentscheidung für NRW - "Ein Riesenfehler" - Kubicki für Rücktritt

Auf Norbert Röttgen angesprochen, sagte der CSU-Chef: “Wir waren bei Ihnen im Politbarometer vor wenigen Wochen bei 43 Prozent. Der Röttgen hat gegen die Frau Kraft mit einem Verhältnis von 37 zu 34 begonnen. Innerhalb von sechs Wochen ist es weggeschmolzen. Wie ein Eisbecher, der in der Sonne steht. Das ärgert mich.“

Liege es daran, dass er sich den Notausgang nach Berlin dabei offengelassen habe? "Ja, das war ein Riesenfehler", erwiderte Seehofer. Dabei habe er Röttgen noch gewarnt: „Er hat mich persönlich abtropfen lassen, die Kanzlerin war ja dabei.“ Als der Moderator andeutete, dass die Kamera noch lief und dies alles aufgezeichnet worden war, sagte Seehofer: „Sie können das alles senden! Machen Sie eine Sondersendung! Servus!“ Tatsächlich strahlte der Sender das komplette Interview aus.

Am Bundesumweltminister gab es derweil auch von anderer Seite Kritik. Der frisch gewählte Schleswig-Holsteiner FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki legte Röttgen den Rücktritt nahe. So sagte er der Leipziger Volkszeitung: „Ich würde mir überlegen, ob ich meine Funktion noch ordentlich ausüben könnte.“ Röttgen brauche nun eine „mentale Pause von ein, zwei, drei, vier Jahren, bevor er im politischen Betrieb wieder reüssieren kann.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel stellte sich derweil schützend vor ihren politischen Ziehsohn: „Die Aufgaben in seinem Ministerium haben sich nach der Wahl nicht verändert“, sagte sie RP-Online.