Assata Shakur - Mörderische Terroristin oder Opfer der Polit-Justiz?


Im vergangenen Jahr setzte das FBI zum ersten Mal eine Frau auf die Liste der meistgesuchten Terroristen Amerikas. Eine Frau, die auch hierzulande politisch Interessierten bekannt ist und die viele Künstler aus der Hip-Hop-Szene zu Liedern inspiriert hat: Joanne Deborah Chesimard, besser bekannt als Assata Shakur. Die US-Bundespolizei lobte eine Million Dollar für Hinweise aus, die zur ihrer Ergreifung führen. Der Staat New Jersey verdoppelte auf zwei Millionen.



Für Aaron Ford, Special Agent beim FBI, gibt es kein Vertun: „Joanne Chesimard ist eine inländische Terroristin, die einen Polizisten im Hinrichtungs-Stil ermordete.“ Ihre Unterstützer sehen in ihr etwas ganz anderes: eine politische Kämpferin, die sich in der Studentenbewegung gegen den Vietnamkrieg und gegen den Rassismus in den USA betätigte. Tatsache ist: Als Mitglied zunächst der Black Panther Party, später dann in deren gewaltbereiter Abspaltung Black Liberation Army (BLA) gehörte Assata Shakur zu den von FBI-Direktor J. Edgar Hoover ausgerufenen Staatsfeinden.

Der Anlass, um Chesimard, geboren 1947, noch 2013 auf die Liste zu setzen, war der 40. Jahrestag eines Mordfalls, der die USA erschütterte. Am 2. Mai 1973 hatten State Trooper die damals 25 Jahre alte Assata Shakur und zwei männliche Begleiter, allesamt Mitglieder in der schwarzen Untergrundorganisation BLA, auf der Autobahn „New Jersey Turnpike“ wegen eines kaputten Rücklichts an ihrem Auto angehalten. Über die folgenden Geschehnisse gibt es unterschiedliche Versionen. Fest steht: Es kam zu einem Schusswechsel, der State Trooper Werner Foerster starb ebenso wie der BLA-Aktivist Zayd Shakur. Assata Shakur und der Trooper James Harper waren hinterher verletzt.

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Vier Jahre später verurteilte ein Gericht in Middlesex, New Jersey, Assata Shakur wegen Mordes sowie einer Reihe weiterer Tatvorwürfe. Strafe: Lebenslage Haft. Eine vorzeitige Haftentlassung wäre frühestens nach 25 Jahren möglich gewesen. Der Prozess sorgte in aller Welt für Aufsehen – denn viele Unterstützer Chesimards warfen der Polizei ebenso wie der Justiz politische Motive vor. Ein wichtiger Aspekt: Die Jury, die die Schuldsprüche fällte, setzte sich ausschließlich aus weißen Bürgern zusammen.

„Die Beweise in dem Fall deuten darauf hin, dass sie unmöglich den Mord begangen haben kann, und das führt zu dem Schluss, dass es sich um ein politisches Urteil handelt“, bewertet heute Alondra Nelson den Schuldspruch. Nelson ist Soziologieprofessorin an der Columbia-Universität in New York und Expertin für die Black-Panther-Bewegung. Sie erinnert: „Wir müssen Assata Shakur in einen Kontext sehen mit schwarzen und Latino-Aktivisten in den USA, die in den 60ern und 70ern für sehr lange Zeit ins Gefängnis gesperrt wurden.“ Prägendes Element der Justiz sei damals eine „extreme Unverhältnismäßigkeit“ gewesen, sagt die Soziologin im Gespräch mit Yahoo! Deutschland.  Sie erinnert an eine Zeit, als der Staat Straftaten provozierte, unter dem Label COINTELPRO allerlei dreckige Tricks gegenüber eigenen Bürgern beging, um seine Feinde zu überlisten. Und es sei jene Zeit gewesen, als der Trend zum massenhaften Wegsperren in den USA begann – inzwischen sitzen weit mehr als zwei Millionen erwachsene Häftlinge dort ein, darunter im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung enorm viele Schwarze.

Im Gefängnis traf es Assata Shakur hart, eine Delegation der Vereinten Nationen rügte die Bedingungen als „vollkommen unpassend für jeden Häftling“. Im November 1979 gelang Shakur die Flucht. Drei BLA-Mitglieder besuchten sie im Clinton Correctional Facility for Women, holten Pistolen hervor, nahmen zwei Wächter als Geiseln und flohen mitsamt der befreiten Shakur in einem Gefängnistransporter. In den folgenden Jahren konnten die US-Behörden Shakur nicht finden. Es gab den Verdacht, die schwarzen Bewohner New Yorks - wo Shakur vermutet wurde – deckten die Flüchtige.

1984 tauchte sie in Kuba auf, wo sie seither politisches Asyl genießt. Shakur meldet sich gelegentlich zu Wort, setzt Statements ab – und wird auch verehrt, insbesondere in der Hip-Hop-Kultur. Sie war Stief-Tante und Patin des verstorbenen Rappers Tupac Shakur, der Kind zweier Black-Panther-Aktivisten war. Eine ganze Reihe prominenter Künstler, darunter Public Enemy, Jay-Z und The Roots, widmete ihr Musikstücke. Warum das so ist? Columbia-Soziologin Nelson meint: „Ihre Flucht, ihr Abtauchen, das hat etwas vom Action-Abenteuer, etwas romantisches, etwas von ‚Outlaw‘. Aber es gibt auch ein allgemeines Interesse an den Black Panthers.“ Das FBI hält von der kulturellen Verehrung nicht viel. „Es ist unglücklich, dass jemand, der in einen Polizistenmord, Entführungen, Geiselnahmen und Raubüberfällen verwickelt war, in einem Teil der Gesellschaft verehrt wird“, sagt FBI-Fahnder Ford.

Jetzt steht Assata Shakur auf jener Liste von Terroristen, die das FBI nach dem 11. September 2001 einführte und der vor allem international tätige islamistische Verdächtige angehören. Der liberale US-Anwaltsverband National Lawyers Guild protestierte dagegen und forderte das FBI auf, Shakurs  politisches Asyl zu respektieren. Auch Alondra Nelson findet es unpassend, den Namen unter den „Most Wanted Terrorists“ zu lesen:  „Der Kontext des Terrorismus damals war ein ganz anderer. Der Aktivismus der 1970er hat nichts zu tun mit dem, was wir nach dem 11. September darunter verstehen. Sie passt nicht auf diese Liste. Nur weil sie Teil der Black Liberation Army war, ist sie nicht automatisch Terroristin.“

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